PTA-Forum online Avoxa
instagram facebook
Mehr als nur dicke Lippe

Der Clan der Herpesviren

Aus der Familie der Herpesviren kennt man vor allem den Erreger des Lippenherpes. Doch außer ihm treiben weitere Verwandte im Körper des Menschen ihr Unwesen. Einmal eingenistet, bleiben sie für immer – und sind dabei alles andere als harmlos.
AutorKontaktEdith Schettler
Datum 11.01.2021  08:30 Uhr

Bei den Herpesviren handelt es sich um behüllte DNA-Viren. Mit 150 bis 200 Nanometer Durchmesser gehören sie zu den größten Viren. Auch ihre DNA ist relativ groß. Der Raum zwischen der Virushülle und dem Kapsid, das die DNA umschließt, enthält bei den meisten DNA-Viren eine zelluläre Flüssigkeit. Bei den Herpesviren hingegen ist dieser Raum mit Proteinen angefüllt, die am Kapsid dicht gepackt liegen und ihren Verbund in Richtung Hülle immer weiter auflockern. Diese besondere Struktur bezeichnen die Virologen als Tegument. Die Tegumentproteine haben die Aufgabe, nach dem Eindringen in die Wirtszelle deren Abwehrmechanismus auszuschalten und die Proteinsynthese auf die Produktion von Virusproteinen umzustellen. Einige von ihnen erfüllen auch Aufgaben beim Transport der Viren-DNA in den Zellkern der Wirtszelle, beim Aufbau der neuen Virenstrukturen oder beim Übergang des Virus in die Latenzphase.

Pause im Nervensystem

Die Vermehrung der Herpesviren geschieht im Zellkern der Wirtszelle. Spezielle Virusenzyme lösen die Zellmembran auf, die Viren verlassen die Zelle, verteilen sich im Körper und rufen die spezifischen Krankheitssymptome hervor. Die Viren veranlassen manche Wirtszellen auch zur Produktion von Virusgenen, die nahezu unbegrenzt in der Zelle überdauern können. Dieses Latenzstadium ruft beim Wirt keine Symptome hervor und ist auch für sein Immunsystem nicht erkennbar. Das führt dazu, dass der Wirt, einmal infiziert, das Virion lebenslang in sich trägt. Sobald sein Immunsystem durch andere Infekte, Stress oder eine Immunschwäche beeinträchtigt ist, wechselt das Virus von der Latenz- in die akute Phase und verursacht erneut einen Krankheitsschub. Danach zieht sich das Virus erneut in das Latenzstadium zurück. Besonders deutlich erkennbar ist diese Strategie beim Herpes-Simplex-Virus anhand der Lippenbläschen, die bevorzugt im Gefolge eines grippalen Infekts erscheinen. Jeder erwachsene Mensch trägt Forschungen zufolge mindestens eine Herpesvirenspezies ständig in sich.

Die Viren persistieren bevorzugt in Nervenzellen. Forscher haben für das Virus HHV-6 herausgefunden, dass es über die Geruchszellen in das Nervensystem eindringt. Über die olfaktorischen Signalbahnen gelangen die Viren bis ins Gehirn – wie jüngst auch für das SARS-CoV-2-Virus bestätigt. In den Gliahüllen der Nervenbahnen können sie sich gut vermehren und auch die Blut-Hirn-Schranke passieren. Bei Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer oder Multipler Sklerose konnten Forscher tatsächlich durch Herpesviren geschädigte Gehirnzellen nachweisen.

Kaum spezialisiert

Virologen teilen die Herpesviren anhand ihrer Merkmale in drei Unterfamilien ein. Zu den Alphaherpesviren gehören die Herpes-Simplex- und die Varizella-Zoster-Viren. Das Humane Cytomegalie-Virus und die Humanen Herpesviren HHV-6A, -6B und -7 sind Betaherpesviren. Vertreter der Gammaherpesviren sind das Epstein-Barr-Virus und das Kaposi-Sarkom-assoziierte Virus.

Alphaherpesviren sind kaum auf bestimmte Wirtszellen spezialisiert. So kann das Herpes-Simplex-Virus Infektionen auf der Haut, im Auge oder im Nervensystem verursachen. Die Hautinfektionen treten bevorzugt, aber nicht ausschließlich, am Übergang der Haut zur Schleimhaut auf. Mund und Genitalbereich sind bevorzugte Orte für den Ausbruch der bekannten Herpes-Bläschen (Herpes labialis, Herpes genitalis). Auch eine Infektion der Mundschleimhaut ist möglich, die von Fieber und schmerzhaften Aphthen gekennzeichnete Gingivostomatitis herpetica. Vor allem Kleinkinder leiden an dieser unangenehmen Erkrankung. Sie heilt in der Regel nach zehn Tagen von allein aus, aber auch schwerere Verläufe mit einem Befall des Naseneinganges, der Lippen und der Finger sind möglich.

Eine schwerwiegende Komplikation ist die Herpes-Simplex-Enzephalitis, die auch bei Erwachsenen auftreten kann. Ohne Behandlung versterben 70 Prozent der Patienten, mit einer frühzeitig eingeleiteten adäquaten Therapie immerhin noch 20 Prozent. Ein Drittel der Überlebenden leidet an bleibenden Lähmungen.

Das Varizella-Zoster-Virus verursacht beim Erstkontakt, meist im Kindesalter, die Windpocken. Auch diese an sich harmlose Kinderkrankheit kann einen schweren Verlauf nehmen. Neugeborene, Schwangere und immungeschwächte Personen können eine Varizellen-Pneumonie oder -Meningoenzephalitis erleiden und sind daneben für eine bakterielle Sekundärinfektion anfällig. Staphylococcus aureus oder Streptococcus pyogenes können Superinfektionen der Haut, Rachenentzündungen oder im schlimmsten Fall eine Sepsis auslösen. Für Schwangere ist eine Erstinfektion im ersten oder zweiten Trimenon gefährlich, weil eine Infektion des Fetus zu einer Fehlgeburt oder schweren Schädigungen des Kindes führen kann. Auch unter der Geburt kann die Mutter Virionen auf das Neugeborene übertragen, für das diese Infektion tödlich enden kann. Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut empfiehlt aus diesem Grund die Varizellenimpfung für Kinder, Jugendliche und Frauen im gebärfähigen Alter. Auch Patienten, die immunsuppressive Wirkstoffe einnehmen, zum Beispiel Fingolimod (Gilenya®), sollten vor Beginn der Therapie geimpft werden.

Nach einer jahrzehntelangen Latenzphase kann des Varizella-Zoster-Virus eine Gürtelrose auslösen. Diese ist für den Betroffenen zwar schmerzhaft, jedoch an sich harmlos, kann aber noch Jahre nach der akuten Phase mit einer Postherpetischen Neuralgie starke Schmerzen bereiten. Auch hiergegen ist eine Impfung möglich. Für Personen ab einem Alter von 50 Jahren ist seit 2013 ein Herpes-Zoster-Lebendimpfstoff (Zostavax®) verfügbar.

Erstinfektion unbemerkt

Ebenso allgegenwärtig wie Herpes-Simplex-Viren sind die Cytomegalie-Viren (CMV), mit denen in Deutschland 40 Prozent der Erwachsenen und in Entwicklungsländern 90 Prozent infiziert sind. Die Erstinfektion verläuft symptomlos und wird von den Betroffenen so gut wie nicht bemerkt. Erst während einer Schwangerschaft können Probleme durch eine Infektion des Ungeborenen entstehen. Ähnlich wie das Zika-Virus verursacht das Cytomegalie-Virus eine Mikrozephalie und schädigt das Innenohr. Auch bei Transplantationen von Organen eines CMV-positiven Spenders auf einen CMV-negativen Empfänger kann es Komplikationen geben, ebenso bei einer Übertragung von Knochenmark eines CMV-negativen Spenders auf einen CMV-positiven Empfänger. In beiden Fällen ist das Immunsystem auf das Virus nicht vorbereitet, was eine ungebremste Virenvermehrung im Empfänger zur Folge hat. Klinisch manifestiert sich diese in Form einer Hepatitis, Pneumonie oder Meningoenzephalitis.

Die Humanen Herpesviren HHV-6A, -6B und -7 verursachen bei Kleinkindern das Dreitagesfieber, wobei die Infektion mit HHV-7 schwerer verläuft als mit den HHV-6-Spezies. Die Kinderkrankheit beginnt mit einem drei bis fünf Tage andauernden Fieber und respiratorischen Symptomen. Nach dem Abklingen der ersten Phase, die bei manchen Kindern auch unbemerkt bleibt, erscheint ein Exanthem an Brust, Bauch und Rücken, das ebenfalls nach drei Tagen wieder verschwindet. Komplikationen wie Fieberkrämpfe und ein Fatigue-Syndrom sind sehr selten.

Potenziell krebserregend

Das Epstein-Barr- und das Kaposi-Sarkom-assoziierte Virus befallen ausschließlich B-Lymphozyten und stellen potenzielle Onkoviren dar. Das Epstein-Barr-Virus ist eines der am weitesten verbreiteten Viren, mit ihm haben sich 95 bis 98 Prozent aller 50-Jährigen weltweit im Laufe ihres Lebens infiziert. Das auch als »Kissing Disease« bekannte Pfeiffer´ sche Drüsenfieber verbreitet sich vor allem unter jungen Leuten rasch über den Speichel. Je älter der Patient bei Erstkontakt ist, desto schwerer verläuft die Erkrankung mit Müdigkeit, Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Lymphknotenschwellungen und einer Vergrößerung der Milz. Spätfolgen der Infektion können maligne Lymph-Tumore oder das Nasopharynxkarzinom sein.

Das Kaposi-Sarkom-assoziierte Virus kommt vor allem in Afrika vor. Es verursacht in immunsupprimierten Patienten das Kaposi-Sarkom mit knotigen Tumoren unter der Haut und in inneren Organen. Da der Anteil von HIV-positiven Patienten in der afrikanischen Bevölkerung relativ hoch ist, ist dort das Kaposi-Sarkom häufig zu sehen. Südlich des Äquators nimmt die Krankheit einen sehr aggressiven Verlauf.

Die humanpathogenen Herpesviren begleiten den Menschen schon seit Millionen von Jahren und haben sich entsprechend gut an ihn angepasst. Sie können sein Immunsystem perfekt täuschen. Deshalb ist die Entwicklung von weiteren entsprechenden Impfstoffen eine wichtige Aufgabe für die Virenforschung. 

Frag die KI
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
BETA
Menü
Zeit
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
Zeit
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
Senden
SENDEN
KI
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
KI
KI
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.
TEILEN
Datenschutz

Mehr von Avoxa