Der dauernde Drang zu müssen |
Isabel Weinert |
29.11.2024 08:00 Uhr |
Tenemus geht meistens mit starken Krämpfen im Unterbauch einher. / © Adobe Stock/jcsmilly
Das Phänomen, sich trotz gefühlten Stuhl- oder Harndrangs nicht entleeren zu können, heißt bei Medizinern »Tenesmus«. Betroffene haben dauernd wieder das Gefühl, zur Toilette gehen und sich entleeren zu müssen. Sind sie fertig, bleibt immer der Eindruck, es sei noch nicht alles draußen. Die Beschwerden können die Psyche belasten. Umgekehrt kann aber seelischer Stress nicht die Ursache eines Tenesmus sein.
Er rührt vielmehr entweder von Erkrankungen des Darms oder von solchen der Harnblase. Genauer heißt eine solche Erkrankung »Tenesmus ani«, wenn die Ursache im Darm liegt, und »Tenesmus vesicae« bei einem Auslöser in den ableitenden Harnwegen. Menschen, die daran leiden, haben zusätzlich zum starken Druck, Stuhl oder Harn absetzen zu müssen, zumeist auch Schmerzen im Unterbauch, verbunden mit Krämpfen.
Tenesmus ani liegt am häufigsten eine der beiden chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) zugrunde, also Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Beide Erkrankungen entwickeln sich als Folge eines autoimmunen Geschehens. Bei Morbus Crohn betrifft die immunologische Entzündung den gesamten Darm, bei Colitis ulcerosa den Dickdarm. Etwa ein Drittel der Menschen mit einer CED leiden unter Tenesmus.
Entzündungen, die zu Tenesmus führen, können jedoch auch andere Ursachen haben. So kann eine Endometriose, die sich in den Darm ausgedehnt hat, dazu führen, aber auch Enddarmpolypen, eine Divertikulitis, Hämorrhoiden, ein Abszess im Analbereich sowie Verstopfung kommen als Auslöser infrage. Auch Krankheitserreger, vor allem solche sexuell übertragbarer Krankheiten (STI) wie Chlamydien, sowie akute Gastroenteritiden können die Symptomatik hervorrufen, außerdem ein Reizdarmsyndrom (RDS) oder auch eine Thrombose in diesem Bereich. Letztlich kann auch eine Tumorerkrankung derartige Beschwerden verursachen.
Die entzündlichen Prozesse lassen unter anderem im Bereich des Enddarms die Schleimhaut anschwellen. Nerven, die dort verlaufen, werden bedrängt und reagieren überempfindlich auf den Druck, den der sich wegen der Enge vermehrt dort ansammelnde Stuhl ausübt. Diese Nerven kommunizieren dann nicht mehr richtig mit der Muskulatur und leiten Fehlinformationen weiter.
Die Ursache für Tenesmus vesicae ist bei Frauen zumeist eine bakterielle Entzündung der ableitenden Harnwege, in der Regel der Harnblase. Die auslösenden Bakterien entzünden die Blasenschleimhaut, die anschwillt, was Schmerzrezeptoren registrieren. Der Drang, Harn lassen zu müssen, zeigt sich dann bereits bei winzigsten Mengen Flüssigkeit in der Blase. Bei Männern liegt dem starken Drang, der kaum mehr als ein paar Tröpfchen Harn entlässt, sehr viel seltener eine Blasenentzündung zugrunde, eine Entzündung der Prostata ist wahrscheinlicher. Aber auch Tumoren im Bereich der Harnblase kommen als Ursache infrage. Neuropathien sind weitere mögliche Auslöser des dauernden Harndrangs sowie Blasensteine.
Bei einer Blasenentzündung müssen Mediziner mittlerweile sehr kritisch mit dem Einsatz von Antibiotika umgehen, wie die aktuelle S3-Leitlinie zu unkomplizierten Harnwegsinfektionen (HWI) beschreibt. Die Resistenzsituation verbietet den unkritischen Einsatz. In einem großen Teil der Fälle heilt eine HWI unter dem Einsatz von Ibuprofen sowie speziellen Phytopharmaka aus.
Wer immer wieder einen starken Stuhl- oder Harndrang bemerkt, muss sich unverzüglich an einen Arzt wenden, um die Ursache abklären zu lassen. Menschen mit bereits diagnostizierter CED sind ohnehin in Behandlung, sollten ein neues Symptom aber auf jeden Fall zeitnah klären. Die Therapie zielt auf die jeweils diagnostizierte Ursache. Dabei kommen häufig Medikamente zum Einsatz, die die Entzündung eindämmen und auch Schmerzmittel sowie Antibiotika.