Der Einfluss der Blutgruppe auf Covid-19 |
Menschen mit der Blutgruppe 0 erkranken häufiger nicht so schwer an Covid-19, verglichen mit Trägern der Blutgruppe A. / Foto: iStock/wakila
Bei Blutgruppen-Antigenen handelt es sich um spezifische glykolysierte Oberflächenstrukturen auf den Erythrozyten. Zu unterscheiden sind verschiedene Blutgruppen-Systeme, besonders bekannt sind das ABO-System und der Rhesus-Faktor, der für Schwangere bedeutsam ist.
Welche Blutgruppe ein Mensch hat, ist erblich bedingt. Dabei sind für das AB0-System die Allele für die Faktoren A und B dominant gegenüber dem Allel für den Blutgruppenfaktor 0. Untereinander verhalten sich A und B kodominant, sind also gleichwertig. Eine Person, die ein Allel für Blutgruppenfaktor A und eins für B hat, prägt die Blutgruppe AB aus. Bei einem Genotyp von AA oder A0 ergibt sich die Blutgruppe A und bei BB oder B0 die Blutgruppe B. Für Blutgruppe 0 ist ein Genotyp von 00 erforderlich. In Deutschland sind 43 Prozent der Menschen Träger der Blutgruppe A, 41 Prozent haben Blutgruppe 0, 11 Prozent Blutgruppe B und 5 Prozent Blutgruppe AB.
Wichtig ist die Blutgruppe in der Transfusionsmedizin. Geben Ärzte einem Patienten eine ungeeignete Blutgruppe, verbinden sich Antigene auf den roten Blutkörperchen mit den Antikörpern im Blutplasma und das Blut verklumpt (Agglutination).
Die Blutgruppen des AB0-Systems sind aber nicht nur im klinischen Alltag von Bedeutung, sie werden auch mit bestimmten Erkrankungsrisiken assoziiert.
Bakterien und Viren tragen oft ähnliche Strukturen auf ihrer Oberfläche wie die Erythrozyten mit ihren Blutgruppen-Antigenen. Von der Ähnlichkeit der Strukturen könnte abhängen, ob eine Immunreaktion auf einen Erreger stärker oder schwächer ausfällt.
»Seit langem ist bekannt, dass Menschen mit der Blutgruppe 0 weniger anfällig für Malaria sind. Erkrankte haben auch weniger schwere Krankheitsverläufe und geringere thromboembolische Komplikationen«, so Professor Dr. Renate Heinz, Fachärztin für Innere Medizin, Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin sowie Humangenetik vom Institut für Innere Medizin am Universitätsklinikum Wien gegenüber PTA-Forum. Warum das so ist, könnte sich mit der sogenannten Rosettenbildung erklären lassen, die der Malaria-Erreger Plasmodium falciparum auslöst. Dabei haften sich befallene Erythrozyten an andere befallene und nicht befallene rote Blutkörperchen an. Die entstandenen Rosetten verkleben mit dem Endothel und verstopfen die Gefäße. Gefährliche Komplikationen sind die Folge. Bei Menschen mit Blutgruppe 0 tritt die Rosettenbildung in viel geringerem Maß auf als bei Trägern anderer Blutgruppen. Komplikationen und schwere Verläufe beobachten Ärzte daher seltener. »In Malariagebieten ist Blutgruppe O ein Überlebensvorteil«, sagt die Expertin. »Dies erklärt auch die ungleiche weltweite Blutgruppen-Verteilung.« Wissenschaftler vermuten dahinter einen »Selektionsdruck«, ausgeübt durch Bakterien und Viren beziehungsweise in diesem Fall durch Plasmodien. Im Laufe der Evolution überlebten vermehrt Träger der Blutgruppe, die einen besseren Schutz gegen eine Seuche bot, und vererbten das Merkmal weiter. In dieses Bild passt auch, dass Menschen mit den Blutgruppen A, B oder AB wahrscheinlich besser gegen die Pest gewappnet sind. Ähnlich ist die Situation bei Cholera, wie die Expertin erklärt: »Infektionen mit den Stämmen des Choleraerregers Vibrio cholerae O1 El Tor und O139 verlaufen bei Menschen mit dem Blutgruppen-Phänotyp 0 schwerer. Die niedrige Prävalenz der Blutgruppe 0 und die hohe Prävalenz der Blutgruppe B im Gangesdelta in Bangladesch wird durch den Selektionsdruck der dort endemischen Cholera erklärt.«
Auch bei Infektionen mit E. coli scheint die Blutgruppe 0 von Nachteil zu sein. Die Träger sind anfälliger, zudem gibt es Hinweise auf einen schwereren Verlauf.
Mit Ausnahme von der Malaria ist die genaue Assoziation zwischen Blutgruppe und Erkrankungsverlauf aber nicht immer ausreichend untersucht beziehungsweise durch Daten belegt.
Was unsere Vorfahren vor einer seuchenartigen Infektionskrankheit schützte, macht möglicherweise anfälliger für Störungen in anderen Körperprozessen.
»Die Assoziation zwischen Blutgruppe und Erkrankungsrisiko wird auch für andere Krankheiten wie Krebs oder thromboembolische Erkrankungen diskutiert«, berichtet die praktische Ärztin aus Wien. Die Publikationen seien aber zum Teil widersprüchlich. »Wahrscheinlich deshalb, weil die Entstehung nicht von einem wohldefinierten Erreger bestimmt wird, sondern viele Faktoren Einfluss auf das Krankheitsgeschehen nehmen.« Hinweisen zufolge erhöhen zum Beispiel die Blutgruppen A, B und AB das Thromboserisiko. Im Vorteil könnten Träger dieser Blutgruppen aber sein, wenn es um Verletzungen oder größere Blutverluste bei Geburten geht, da sie mehr prokoagulatorische Faktoren (Faktor VIII und Willebrandfaktor) im Blut haben.
Auch bei Infektionen mit SARS-CoV-2 könnte die Blutgruppe eine Rolle spielen. Aktuellen Studienergebnissen zufolge haben Menschen mit Blutgruppe A ein knapp 50 Prozent höheres Risiko für einen schweren Infektionsverlauf bei COVID-19 als Personen mit anderen Blutgruppen. Sie entwickeln öfter schwere Atemprobleme bis hin zu Atemversagen und Tod. Besonderes Glück haben hingegen anscheinend Menschen mit Blutgruppe 0. Der Studie zufolge ist ihr Risiko für eine ernste Covid-19-Erkrankung um etwa 50 Prozent geringer. Diese Ergebnisse veröffentlichte kürzlich ein internationales Forscherteam im »New England Journal of Medicine« (DOI: 10.1056/NEJMoa2020283). Für ihre Arbeit hatten die Forscher um den Molekularbiologen Andre Franke von der Universitätsklinik Kiel die Blutproben von 1610 Covid-19-Intensivpatienten aus Spanien und Italien untersucht. Die Patienten waren mit Sauerstoff behandelt beziehungsweise künstlich beatmet worden. Zum Vergleich betrachtete das Forscherteam Blutproben von 2205 zufällig ausgewählten Menschen aus denselben Ländern. Sie identifizierten Regionen im Genom, die das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 wahrscheinlich erhöhen. Mit vermehrten Atemproblemen und einem schweren Verlauf assoziiert zu sein, scheint eine Genvariante auf Chromosom 9. Hier liegt das AB0-Gen, das ausmacht, welche Blutgruppe ein Mensch ausprägt.
Ganz neu sind diese Erkenntnisse für COVID-19 nicht. Bereits im März gab es Hinweise aus China und den USA, dass die Blutgruppe einen Einfluss auf das COVID-19-Risiko haben könnte. Die Wissenschaftler untersuchten das Erkrankungsrisiko und fanden heraus, dass dieses für Träger der Blutgruppe A am höchsten und für Träger der Blutgruppe 0 am niedrigsten ist. Die Forscher aus den USA konnten diesen Zusammenhang allerdings nur bei den Rh-positiven Blutgruppen erkennen (doi: https://doi.org/10.1101/2020.03.11.20031096, doi: https://doi.org/10.1101/2020.04.08.20058073).
Der Grund für die Assoziation Blutgruppe A – schwerer Verlauf beziehungsweise erhöhtes Erkrankungsrisiko ist noch unbekannt. Die Antigene auf den Erythrozyten, die bei den einzelnen Blutgruppen unterschiedlich sind, könnten es Coronaviren erschweren oder erleichtern, anzudocken. Ähnlichkeiten zwischen viralen und blutgruppenspezifischen Antigenstrukturen könnten die Immunabwehr beeinflussen. Vielleicht spielt auch das Gerinnungssystem eine Rolle. Menschen mit Blutgruppe 0 weisen eine geringere Konzentration an Blutgerinnungsfaktoren auf als Personen mit einer anderen Blutgruppe.
Patienten, die jetzt gerne ihre Blutgruppe erfahren möchten, kann die PTA einen Schnelltest für Zuhause empfehlen. Wer Blut spendet, erfährt seine Blutgruppe sogar kostenlos und vollbringt dabei auch noch eine gute Tat. Mütter finden ihre Blutgruppe im Mutterpass.
Blutgruppe | Mögliche Assoziation* |
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Blutgruppe 0 | bessere Überlebenschancen bei Malaria |
Blutgruppe 0 | geringeres Herzinfarktrisiko |
Blutgruppe 0 | geringeres Risiko für Diabetes mellitus vom Typ 2 |
Blutgruppen A oder AB | erhöhtes Risiko für Diarrhoe infolge einer Infektion mit Rotaviren |
Blutgruppe AB | erhöhtes Risiko Für Demenz |
Blutgruppen A, B, und AB | gewisser Schutz vor einer Pest-Erkrankung, E. Coli-Infektion und vor Cholera |
Blutgruppen A, B und AB | erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten und Thrombosen |
Blutgruppe B | erhöhtes Risiko für eine chronische Pankreatitis |
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.