Diabetes bei Kindern |
Isabel Weinert |
30.08.2024 14:30 Uhr |
Für Kinder mit Diabetes ist Unbeschwertheit nicht selbstverständlich. Moderne Therapien erleichtern jedoch ein beinahe normales Leben. / Foto: Adobe Stock/Evgeny Atamanenko
Der Stoffwechsel und das Immunsystem gesunder Menschen arbeiten so ungeheuer präzise und exzellent, wie es keine Technik dieser Welt nachzuahmen vermag. Das merken Menschen dann, wenn irgendwo im System etwas nicht mehr funktioniert. So wie bei Typ-1-Diabetes. Hier ist es das Immunsystem, das einen Fehlangriff startet, auf körpereigenes Gewebe und in diesem Fall auf die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse. Diese Zellen stellen Insulin her, zu 100 Prozent fein abgestimmt auf den Bedarf der Körperzellen an Glucose, auf die Menge Kohlenhydrate, die ein Mensch isst und auf viele weitere wichtige Parameter. Wenn sie ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen können, weil sie vom eigenen Immunsystem zerstört wurden, dann hat das fatale Folgen für den Menschen. Unbehandelt stirbt er binnen weniger Wochen.
Typ-1-Diabetes ist also zunächst eine tödliche Erkrankung. Sie mündet in einer tödlichen Übersäuerung, in einer Ketoazidose. Noch heute gibt es Todesfälle, weil ein Typ-1-Diabetes inadäquat behandelt wurde. Das letzte Opfer, von dem öffentlich geschrieben wurde, war eine 13-Jährige Schülerin, die auf einer Klassenfahrt an den Folgen ihrer unbehandelten Ketoazidose verstarb.
Insulin von außen zuzuführen, ist der einzige Weg, Typ-1-Diabetiker vor dem Tod zu bewahren. Zum Glück stellt das heute zumindest in den reichen Ländern dieser Erde kein Problem mehr dar. Mehr noch, die Technisierung der Therapie von Typ-1-Diabetes hat das Leben damit leichter und immer sicherer gemacht. Allerdings schafft auch die beste Technik nicht, was der gesunde Körper vermag: eine exzellente Einstellung des Stoffwechsels. Deshalb besteht die Aufgabe an Diabetes erkrankter Kinder und von deren Eltern darin, den Spagat hinzubekommen zwischen einer guten Stoffwechseleinstellung und einer guten Lebensqualität.
Für Eltern kann dieser Weg schon beginnen, wenn ihr Kind noch ein Baby ist. Erkranken diese in den ersten sechs Lebensmonaten, handelt es sich meist um einen genetisch bedingten neonatalen Diabetes. Bei den meisten Betroffenen bricht die Erkrankung zwischen dem zehnten und dem 13. Lebensjahr aus. Jungen trifft es dabei häufiger als Mädchen.
Doch wie bemerken Eltern überhaupt, dass ihr Kind an Typ-1-Diabetes erkrankt ist? Die Symptome zu kennen ist für alle Eltern sehr wichtig und PTA können dabei helfen. Diese Symptome zeigen Typ-1-Diabetes bei Kindern/Babys an:
Der Durst, den Typ-1-Diabetiker als Symptom ihrer Erkrankung vor Diagnosestellung haben, ist grenzenlos. / Foto: Adobe Stock/Andrej Schurawlew
Bemerken Eltern eines oder mehrere dieser Anzeichen, sollten sie rasch einen Kinderarzt aufsuchen und auch PTA sollten dazu raten, wenn sie derlei Berichte von Eltern hören. Denn ein Typ-1-Diabetes geht nicht von alleine weg. Er wird auch nicht besser, sondern mit jedem Tag ohne Therapie schlimmer. Wegen des Insulinmangels steigt der Blutzucker immer höher, eine Ketoazidose entwickelt sich und kann tödlich enden, zumindest aber mit einer schweren Bewusstlosigkeit. Kinder in diesem Zustand sind Notfälle und müssen unverzüglich in ein Krankenhaus. Seit Jahren liegt die Rate von potenziell lebensgefährlichen Ketoazidosen bei Manifestation eines Typ-1-Diabetes auf einem hohen Niveau, schreiben die Autoren der AWMF-Leitlinie »Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter«.
Um Eltern, Babys und Kindern solch eine Entwicklung zu ersparen, setzt Professor Dr. med. Annette-Gabriele Ziegler vom Helmholtz-Zentrum in München seit Jahrzehnten ihre Forschung daran, schon ganz früh herauszufinden, welches Kind ein hohes Risiko für einen Typ-1-Diabetes hat. Ihr Ziel ist es, mit Typ-1-Diabetes-Screenings und Präventionsstudien eine frühe Diagnose schon vor klinischem Ausbruch der Krankheit zu ermöglichen. Auf diese Weise lässt sich auch rechtzeitig behandeln.
Laut Ziegler beginnt der Autoimmunprozess in den ersten beiden Lebensjahren. »Darum ist ein frühes Screening im Vorschulalter und die Möglichkeit, ein erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes bereits bei der Geburt zu entdecken, sehr wichtig«, so die Wissenschaftlerin in einem Interview mit dem Helmholtz-Zentrum München. In Screenings wird im Blut von Kindern gezielt nach Autoimmunität gesucht. Mit Typ-1-Diabetes assoziierte Autoantikörper lassen sich meist bereits zwischen dem neunten und 24. Lebensmonat eines Kindes finden.
Viele Situationen im Leben von Kindern mit Typ-1-Diabetes brauchen genaue Regeln und Absprachen mit anderen Eltern, Verwandten und Erziehenden. / Foto: Adobe Stock/sborisov
Bricht die Krankheit klinisch aus, dann finden sich meist mehrere verschiedene Autoantikörper, wie ICA, GAD, IA-2, ZnT8. Zeigt sich ein Diabetes bei einem Kind, ohne dass sich Autoantikörper nachweisen lassen, oder aber nur mit Nachweis eines Autoantikörpers, dann sollte das immer Anlass sein, weiter zu untersuchen, denn dann handelt es sich um eine andere Diabetesform. Bislang hilft die Untersuchung von Risikokindern auf Autoantikörper vor Ausbruch der Krankheit nicht, letzteren zu verhindern. Es ließ sich also noch kein Medikament entwickeln, dass das vermag. Allerdings gelingt es mit Teplizumab, das 2022 in den USA für diesen Zweck eine Zulassung bekam, den Beginn des Ausbruchs um etwa drei Jahre hinauszuzögern. Zudem werden unter dieser Therapie nicht alle Inselzellen zerstört.
Der monoklonale Antikörper Teplizumab, eine Art Biologikum, dämmt die Aktivität der T-Lymphozyten ein, die den Oberflächenmarker CD3 tragen. Auf diese Weise werden auch autoreaktive T-Zellen unterdrückt, die Inselzellen attackieren. Der Wirkstoff unterdrückt dabei nicht etwa die körpereigene Abwehr, sondern reguliert sie. Screenings auf Typ-1-Diabetes bei Kindern gehören in Deutschland (noch) nicht zur Regelversorgung. PTA können besorgten Eltern raten, ihren Kinderarzt nach einer entsprechenden Untersuchung zu fragen.
Warum Menschen und vor allem Kinder an Typ-1-Diabetes erkranken, das ist immer noch nicht zu 100 Prozent klar. Aber es gibt einige Erkenntnisse. So erhöhen laut Professor Dr. med. Annette-Gabriele Ziegler wiederholte frühkindliche Atemwegsinfektionen und Entzündungen das Risiko für die sogenannte Inselzellautoimmunität. Und schon vor Beginn dieser Autoimmunität steigt der Blutzucker leicht an. Das gebe einen Hinweis darauf, dass äußere Faktoren die Betazellen schädigten und veränderten und dass diese Veränderungen den Autoimmunprozess triggerten, so Ziegler.
Virusinfektionen als einen möglichen von außen kommenden Auslöser für autoimmune Prozesse stehen besonders im Fokus der Wissenschaftler. Ein Beispiel dafür ist auch die Coronapandemie. Hier beobachtete man, dass bei Kindern mit einem hohen Risiko für Typ-1-Diabetes eine Coronainfektion die Wahrscheinlichkeit für Autoantikörper gegen Inselzellen verdoppelte. Die Gefahr für einen autoimmunen Prozess lag gar circa fünfmal höher, wenn Kinder in sehr jungem Alter eine Coronainfektion durchmachten. Die überwiegende Mehrheit der Patienten (etwa 85 bis 90 Prozent) hat bei Diagnose des Typ-1-Diabetes keinen betroffenen Verwandten ersten Grades.
Was macht Typ-1-Diabetes über die akute Ketoazidose-Gefahr hinaus so gefährlich? Das sind die über der Norm liegenden und oft auch bei bestem Therapiewillen schwankenden Blutzuckerwerte. Sie schädigen auf lange Sicht tatsächlich jedes Gewebe im Organismus bis hin zum Funktionsausfall. Die Folgen bezeichnen Mediziner als Mikro- und Makroangiopathie. Bei einer Mikroangiopathie sind die allerkleinsten Blutgefäße geschädigt. Sie zeigt sich zum Beispiel in der Netzhaut der Augen, in den Gefäßen der Nieren in den Nervenzellen bis hin zur Erblindung, zum Nierenversagen und zu starken Störungen der Nervenfunktion. Makroangiopathie bezeichnet die Verkalkung der großen Gefäße und verursacht Herz-Kreislauf-Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall.
Im Bereich des Nervensystems kann das Zuviel an Glucose zu peripheren und autonomen Neuropathien führen. Im ersteren Fall schwindet die Sensibilität in den Füßen und Waden, mitunter auch in den Händen zunehmend oder aber Betroffene nehmen nahezu jede Berührung als starken Schmerz wahr. Die gestörte Wahrnehmung kann irgendwann dazu führen, dass der Boden unter den Füßen nicht mehr gespürt und das Gleichgewicht nicht mehr gehalten werden können. Wunden an den Füßen bemerken von einer Polyneuropathie betroffene Diabetiker mitunter nicht mehr. Weil sie dann nicht rechtzeitig richtig versorgt werden, können sich daraus schwere chronische Wunden entwickeln.
Die autonome Neuropathie hingegen betrifft die inneren Organe. Zum Beispiel schlägt das Herz schlägt plötzlich nicht mehr bedarfsgerecht, sondern gerät immer wieder aus dem Takt oder kann sich den Anforderungen des Körpers nicht mehr anpassen. Magen und Darm arbeiten nicht mehr wie es die Nahrungszufuhr verlangt, sondern unkontrolliert.
Menschen mit Typ-1-Diabetes haben ein erhöhtes Risiko, auch andere Autoimmunerkrankungen zu entwickeln wie zum Beispiel eine Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow, aber auch die Weißfleckenkrankheit Vitiligo, Zöliakie oder Morbus Addison. Das müssen die Betroffenen beziehungsweise bei Kindern deren Eltern wissen.
Einen Typ-1-Diabetes so früh wie möglich bestmöglich zu behandeln, so, dass zumindest über die meiste Zeit normnahe Blutzuckerwerte gehalten werden, die nach heutigem Stand den besten Schutz vor Folgeschänden bieten, ist also eine zentrale und lebenslange Aufgabe. Dazu braucht es die passenden Insuline, Therapieregime, gute Diabetologen, engagierte Eltern und motivierte Kinder. Wurde ein Typ-1-Diabetes bei einem Kind diagnostiziert, wird unverzüglich eine Insulintherapie eingeleitet. Eltern und betroffenes Kind erhalten eine ausführliche Schulung zu Therapie und Ernährung sowie den Einflussfaktoren auf die Blutzuckerwerte.
Die beste Therapieform für Typ-1-Diabetiker ist die intensivierte Insulintherapie (ICT). Sie hat vor einigen Jahrzehnten die CT, also die konventionelle Insulintherapie abgelöst. Während es sich bei letzterer um starre, unflexible Spritz-Ess-Schemata handelt, erlaubt die ICT eine große Flexibilität in der Insulinmenge und –dosierung sowie auch in Bezug auf die Ernährung. Neben der Verabreichung von Insulin ist die Messung der Glucosewerte unabdingbar für eine erfolgreiche Therapie.
Für die Diagnose Typ-1-Diabetes reicht zwar ein alleiniger Blutzuckertest nicht aus, ist aber richtungsweisend. / Foto: Adobe Stock/Andrey Popov
Das Insulin wird mithilfe von Insulinpens verabreicht oder über eine Insulinpumpe kontinuierlich in das subkutane Fettgewebe geleitet, von wo aus es resorbiert wird. Die Autoren der Leitlinie empfehlen ein AID-System (automated insulin delivery oder auch »Closed Loop«) für Kinder und Jugendliche mit Insulinpumpentherapie dann, wenn sie oder ihre Eltern in der Lage sind, die Therapieform sicher anzuwenden. Ein AID-System setzt sich aus einem CGM-System zur kontinuierlichen Blutzuckermessung und einer Insulinpumpe zusammen. Beide Komponenten werden von einem Algorithmus gesteuert.
Moderne Insuline wirken sehr lang (Basisinsulin) und sehr kurz (Mahlzeiteninsulin). Beide Prinzipien verringern das größte akute Risiko einer Insulintherapie: die Unterzuckerung oder Hypoglykämie. Doch die Gefahr dafür bannen weder modernste Insuline noch eine Insulinpumpen- noch eine AID-Therapie. Und mehr noch, je normnaher ein Diabetes mit Insulin eingestellt ist, je besser und damit gesünder also die Blutzuckerwerte, desto höher das Risiko für Unterzuckerungen. Mit dieser Ambivalenz müssen Diabetiker lebenslang zurechtkommen. Ein schwieriges und je nach Lebensphase sehr belastendes Unterfangen.
Eine Hypoglykämie ist immer eine von mehreren Möglichkeiten, wenn ein Mensch über folgende Symptome klagt beziehungsweise, folgende Symptome auftreten:
Solange der Betroffene bei Bewusstsein ist, können mit (Trauben-)zucker gesüßte Getränke, Glucose in Gelform oder als Täfelchen den Blutzucker wieder aus dem Tief holen. Bei Bewusstlosigkeit des Patienten darf man nichts dergleichen, sondern verständigt den Notarzt, bringt den Patienten in die stabile Seitenlage und spritzt 1 Milligramm Glucagon in den Oberschenkel (das geht auch durch einlagige Kleidung).
Hypoglykämien entstehen unter anderem, wenn die Insulindosis zu hoch ist, bei zu viel Bewegung für eine bestimmte Insulindosis, bei zu wenigen Kohlenhydraten für eine bestimmte Insulindosis, bei Magen-Darm-Infekten mit Erbrechen und/oder Durchfall, mit Einsetzen der Periode bei Frauen durch den damit einhergehenden Abfall an Sexualhormon, in bestimmten Phasen der Schwangerschaft. Es gibt also eine Vielzahl, zu beachtende Einflussfaktoren auf den Blutzucker, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung.
Hyperglykämien etwa entstehen leicht im Rahmen von Infekten, in bestimmten Phasen der Schwangerschaft, bei Bettlägerigkeit, bei einer Therapie mit Glucocorticoiden (auch bei Spritzen in ein Gelenk), prämenstruell, bei einer zu geringen Insulindosis für eine bestimmte Kohlenhydratmenge, bei starkem Stress, Therapieverweigerung in der Pubertät et cetera.
Diese Aufzählungen verdeutlichen, wie schwierig es für Typ-1-Diabetiker ist, ihre Blutzuckerwerte möglichst lebenslang in einem möglichst normalen Bereich zu halten. Wer sich das Ganze bei Kindern vorstellt, mag einschätzen können, was Eltern und Kinder mit Typ-1-Diabetes leisten. Und dabei macht es ihnen die Gesellschaft nicht immer leicht. In Kindergärten und Schulen gibt es noch immer Vorbehalte, manche dort Erziehenden oder Lehrenden haben kein Interesse daran, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Für PTA kann das nur bedeuten, Eltern von Kindern mit Diabetes und den Kindern viel Verständnis entgegen zu bringen und sie zu unterstützen, wo immer es im Rahmen der Apotheke möglich ist.
Es nervt gerade auch junge Menschen immer wieder gewaltig, die Anforderungen der Krankheit in ein Lebensgefühl der Freiheit integrieren zu müssen. Mitunter riskieren sie deshalb vorübergehend sehr schlechte Werte. In dieser Phase brauchen sie besondere Unterstützung. / Foto: Adobe Stock/Antonioguillem
Menschen mit chronischen Krankheiten erleiden häufiger eine Depression als gesunde Menschen. Das scheint logisch im Hinblick auf die körperlichen Beschwerden, die die Stimmung auf Dauer beeinflussen können. Zudem triggern hohe Blutzuckerwerte an sich Depressionen.
Auch Essstörungen treten bei Diabetikern gehäuft auf. Ebenfalls nicht verwunderlich, muss doch das Essen therapiebedingt immer kontrolliert werden. Vorwiegend Mädchen und junge Frauen mit Typ-1-Diabetes nutzen den Effekt hoher Blutzuckerwerte zur Gewichtsabnahme, indem sie deutlich weniger Insulin spritzen als sie bräuchten. Ein selbst schädigendes Verhalten, das sich in einer schlechten Stoffwechseleinstellung zeigen kann (hohe HbA1c-Werte) und auch in häufigen Ketoazidosen.
Angststörungen entwickeln sich zum Beispiel als Folge häufiger Unterzuckerungen (Angst, daran zu versterben) oder vor möglichen Folgeschäden der Erkrankung. Mitunter übertragen auch Eltern ihre eigenen Ängste auf das erkrankte Kind. Mit einfachen Ratschlägen ist bei den genannten Erkrankungen niemandem geholfen, wohl aber mit der Hinführung zu Fachärzten.