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»Künstlicher Pankreas«

Diabetes-Therapie mit Technik

Technische Hilfsmittel ermöglichen Menschen mit Typ-1-Diabetes ein Leben mit immer weniger Einschränkungen. Ganz ohne eigenes Zutun geht es aber noch nicht. Auch der Umgang mit dem künstlichen Pankreas muss gelernt und beherrscht werden.
Nicole Schuster
29.08.2022  09:00 Uhr

Künstliche Pankreassysteme bedeuten einen enormen Fortschritt in der Therapie des Diabetes. Allerdings bringen sie weder eine Heilung noch entlassen sie die betroffenen Diabetiker aus deren Verantwortung für eine gute Stoffwechseleinstellung ihrer Krankheit. Anstelle des Marketing-Begriffs »künstlicher Pankreas« für derlei Systeme spricht man besser von »Automatisierten Insulin-Dosierungs-Systemen«, kurz AID-Systemen. Das ist der offizielle Terminus der amerikanischen Gesundheitsbehörde (FDA) für die zugelassenen kommerziellen Medizinprodukte. Sie werden außen am Körper getragen und ähneln klassischen Insulinpumpen. Der ebenfalls kursierende Begriff Closed-Loop-Systeme beschreibt die drei wesentlichen Komponenten, nämlich eine Insulinpumpe, ein System zur kontinuierlichen Blutzuckermessung (CGM-System) und einen Algorithmus zur Steuerung.

Insulinpumpen geben kontinuierlich Insulin ins Unterhautfettgewebe ab. Die meisten Geräte verfügen über eine Schnittstelle zu CGM-Geräten, wobei CGM für »Continuous Glucose Monitoring« (Deutsch: kontinuierliche Glucosemessung) steht. Das CGM-System besteht aus einem Sensor mitsamt Sender, der auf die Haut geklebt wird. Den fadenförmigen Sensor »schießen« Patienten über eine spezielle Einstechhilfe am Oberarm in das Unterhautfettgewebe. Der Sensor ist mit einem Empfangsgerät verbunden. Es speichert die Daten und kann sie auf einem Bildschirm anzeigen. Das Gerät überwacht den Blutzuckerspiegel rund um die Uhr und kann bei zu hohen oder zu niedrigen Werten Alarm geben. Wenn der Blutzuckerwert eine bestimmte Schwelle unterschreitet, sollte beispielsweise die Insulinzufuhr gestoppt werden, um eine Unterzuckerung zu vermeiden.

Herzstück der Closed-Loop-Systeme ist eine Steuerungssoftware. Dabei handelt es sich bei von Patienten selbst zusammengestellten »Do-it-yourself-Geräten« in der Regel um Open-Source-Algorithmen. Die selbst konstruierten Systeme wenden die Nutzer auf eigene Verantwortung an, da diese nicht offiziell zugelassen sind. Daraus ergeben sich Konsequenzen für den medizin-, straf- und zivilrechtlichen Umgang.

Algorithmus lernt dazu

Die kommerziell erhältlichen AID-Systeme werden ebenfalls durch einen Algorithmus gesteuert, diesen haben die Hersteller allerdings verschiedenen Sicherheitstests unterziehen müssen, um eine Zulassung zu bekommen. Der Algorithmus kann in die Insulinpumpe, ein separates Handgerät oder eine Smartphone-App integriert sein und unterscheidet die modernen Systeme von den herkömmlichen Insulinpumpen.

»In den fortschrittlichsten Geräten auf dem Markt setzen die Hersteller keine klassischen Algorithmen mehr ein, sondern eine künstliche Intelligenz, also eine Technologie, die basierend auf den Werten der letzten Tage ständig dazulernen kann«, sagt Professor Dr. med. Olga Kordonouri, ärztliche Direktorin des Kinder- und Jugendkrankenhauses »Auf der Bult« in Hannover im Gespräch mit PTA-Forum. Ziel ist es, Insulin so zuzuführen, dass es der physiologischen Insulinausschüttung bei sich verändernden Glucosewerten möglichst nahekommt. Dabei gilt in der Regel, dass sich die Glucosewerte im Blut 70 Prozent der Zeit im Bereich von 70 bis 180 mg/dl beziehungsweise 3,9 bis 10 mmol/l bewegen sollen. Der Prozentsatz der gesamten Zeit, in der der Blutzuckerspiegel im Zielbereich liegt, wird als Time in Range (TiR) bezeichnet. Die Glucosewerte sollten nur für maximal 4 Prozent des Tages unter 70 mg/dl fallen. Der HbA1c-Wert liegt bestenfalls unter 7 Prozent und schwere Hypoglykämien und Ketoazidosen werden vermieden.

Vorteile aufzeigen

»Grundsätzlich sind AID-Systeme für alle Patienten mit Typ-1-Diabetes geeignet«, berichtet die Expertin vom Diabetes Zentrum Auf der Bult. Sie empfiehlt die Systeme besonders im Kinder- und Jugendbereich. Auch die Eltern können dadurch Erleichterung erfahren. Wenn beispielsweise Zielwerte über Nacht eingehalten werden, wirkt sich das positiv auf die Schlafqualität der Kinder und der Eltern aus.

Bedingter geeignet können die Geräte für Senioren sein, die bereits unter einigen Einschränkungen leiden und ihre Therapiegewohnheiten ungern aufgeben möchten. »Ältere Menschen mit Diabetes, die es bereits seit Jahren gewohnt sind, Insulin zu spritzen, stehen der neuen Technik bisweilen etwas misstrauisch gegenüber«, erklärt die Chefärztin. »Diesen Patienten versuchen wir in einfühlsamen Gesprächen die Ängste und Vorbehalte zu nehmen.«

Den Nutzen von AID-Systemen belegen mittlerweile zahlreiche Studien und Metaanalysen. Ein Problem ist allerdings noch die eingeschränkte Vergleichbarkeit, da in den einzelnen Studien zum Teil recht heterogene Systeme getestet wurden.

Schulung als A und O

Aktuell gibt es zwei Arten von Systemen auf dem Markt. Den kompletten Systemen wie »MiniMed 780G« von der Firma Medtronic stehen interoperable Lösungen gegenüber, bei denen drei Systeme verschiedener Hersteller kombiniert werden. Die einzelnen Komponenten funktionieren auch unabhängig voneinander. Ein Beispiel ist die Insulinpumpe t:slim X2 mit dem Dexcom G6 CGM und dem Algorithmus Control IQ. Offiziell zugelassene Systeme können mittlerweile zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden, wenn sie zu einer verbesserten Einstellung des Diabetes führen. Neben der ärztlichen Verordnung ist für eine Kostenübernahme in der Regel auch ein Gutachten zur medizinischen Notwendigkeit erforderlich.

Wenn Patienten auf ein AID-System umgestellt werden sollen, ist eine gute Schulung Voraussetzung. Die aktuell verfügbaren Geräte können ausschließlich den nahrungsunabhängigen Insulinbedarf decken, weswegen sie auch als Hybrid-AID-Systeme oder Hybrid-Closed-Loop-Systeme bezeichnet werden. Einen plötzlichen Blutzuckeranstieg infolge einer Nahrungs- oder Glucoseaufnahme können sie nicht abfangen.

»Wenn der Patient eine Mahlzeit einnehmen oder Sport treiben möchte, muss er das den Geräten ankündigen und die Insulinboli selbst eingeben«, erklärt Kordonouri. Dabei sei eine zeitliche Verzögerung zu beachten: »Die Bauchspeicheldrüse schüttet Insulin aus und dieses ist sofort im Blutkreislauf verfügbar. Bei der Applikation durch die Haut muss das Insulin erst aus dem subkutanen Fettgewebe aufgenommen werden.« Auch bei der kontinuierlichen Glukosemessung im Interstitium ist eine Verzögerung zu berücksichtigen, die der Algorithmus bei den Berechnungen aber berücksichtigt.

Kontrolle nötig

Weiterhin wollen die Geräte gut gepflegt sein, damit sie verlässlich funktionieren. Die Sensorgenauigkeit stellen die Anwender durch eine regelmäßige Kalibrierung sicher und auch die Pumpenfunktion muss immer wieder überprüft werden. Für die Insulinzufuhr ist die korrekte Katheterlage wichtig. Die Katheter sind alle zwei bis drei Tage zu wechseln. Bei der Einweisung erklären die Diabetesexperten auch, was bei einem Alarm wegen Signalverlust zu tun ist.

An vielen Stellen ist die Beratung in der Apotheke eine wertvolle Ergänzung. »Es ist zum Beispiel hilfreich, wenn PTA und Apotheker im Beratungsgespräch auch noch mal unterschwellig an die regelmäßigen Katheterwechsel erinnern«, so Kordonouri. Um ins Gespräch zu kommen, bieten sich in der Apotheke gezielte Fragen etwa nach möglichen postprandialen Glusosespitzen an. Wenn diese auftreten, kann die PTA den Patienten noch mal daran erinnern, dass er rechtzeitig vor der Mahlzeit den Insulinbolus verabreichen muss, um bestmögliche Therapieergebnisse zu erzielen.

Möglichkeiten bei Hautproblemen

»Wenn auch selten, so kommen doch auch Hautprobleme infolge von Pflasterallergien vor«, sagt die Expertin. In diesen Fällen kann ein Hautschutzspray helfen. Auch gibt es alternative Möglichkeiten, etwa den Sensor mit Kinesiotape anzubringen oder auf Pflaster umzusteigen, die frei vom häufig allergieauslösenden Isobornylacrylat (IBOA) sind. Bei Allergien auf Kunststoffkomponenten des Sensors können Patienten versuchen, eine Zwischenschicht mit einem Blasen- oder Stomapflaster zwischen Sensor und Tragestelle einzuführen. »Gerade Menschen mit trockener Haut profitieren sehr von einer guten Hautpflege insbesondere im Bereich der Katheter«, sagt die Ärztin. Anhaltende Hautprobleme können die Anwendbarkeit von AID-Systemen limitieren. »Bei Ekzemen halten Betroffene am besten Rücksprache mit ihrem Diabetologen. Oft lassen sich die Beschwerden durch eine kurzzeitige Cortisonbehandlung der betroffenen Hautareale in den Griff bekommen.«

Auch im Umgang mit ihrem Diabetes müssen Patienten weiterhin geschult sein. Bei einem Ausfall der Systeme sollten sie in der Lage sein, die Therapie konventionell fortzuführen. Von der technischen Heilung des Typ-1-Diabetes ist man also noch entfernt und AID-Systeme sollten auch nicht als vollwertiger Ersatz für das Pankreas missverstanden werden. Für die Einstellung des Blutzuckers können die Systeme – eine richtige Bedienung und Pflege vorausgesetzt – jedoch durchaus wertvoll sein.

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