Die (angeblichen) Probleme mit Astra-Zeneca |
Die zahlreich gemeldeten Nebenwirkungen nach einer Impfung mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff könnten einem Novebo-Effekt zuzuschreiben sein. / Foto: imago images/ZUMA Wire
In vielen deutschen Regionen lag die Vakzine von Astra-Zeneca, die gemeinsam mit der renommierten Universität Oxford entwickelt wurde, in den vergangenen Tagen und Wochen auf Halde – auch, weil etliche Bürger ihre Impfangebote nicht wahrnehmen. Nach ersten Studiendaten und Berichten hatten viele das Mittel wohl für deutlich weniger wirksam oder sicher gehalten als die Impfstoffe von Biontech oder Moderna.
»Ich weiß gar nicht, ob wirklich etwas schiefgelaufen ist», sagte Klaus Hinterding, deutscher Vize-Chef von Astra-Zeneca in Deutschland mit Blick auf das Imageproblem und hält das für eine «Verzerrung der Wahrnehmung«. »Es gingen unglaublich viele Zahlen durch die wissenschaftliche Literatur und auch durch die Tagespresse«, so der Vize-Chef. »Das Wesentliche war immer, dass der Impfstoff mit ganz großer Wirksamkeit vor schweren Verläufen der Krankheit schützt.«
Dafür spricht auch eine Analyse mehrerer schottischer Universitäten und der Gesundheitsbehörde Public Health Schottland. Den noch nicht in einem Fachmagazin veröffentlichten Daten von 5,4 Millionen Menschen zufolge kann schon die erste der zwei Impfungen mit der Astra-Zeneca-Vakzine das Risiko eines Klinikaufenthalts wegen Covid-19 um bis zu 94 Prozent reduzieren. Bei Biontech/Pfizer sind 85 Prozent.
Dieser und weiterer Daten wegen wird der Impfstoff inzwischen auch in Deutschland für Menschen ab 65 Jahren empfohlen. Die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs seien aus Sicht der Ständige Impfkommission (STIKO) auch bei älteren Menschen eindeutig belegt. In vielen anderen Ländern wurden schon von Beginn an alle Altersgruppen damit geimpft.
Dass die STIKO Ende Januar – anders als die EU-Arzneimittelbehörde EMA – den Impfstoff zunächst nur für Menschen zwischen 18 und 64 Jahren empfohlen hatte, habe daran gelegen, dass eben solche Daten zur Wirkung bei Älteren gefehlt haben, sod ie STIKO. Sie betont, nie den Impfstoff an sich kritisiert zu haben. Es sei immer nur um die zunächst dünne Datenlage gegangen.
Wie das PEI berichtet, sind für den Vektorimpfstoff mehr Verdachtsfälle von Nebenwirkungen gemeldet worden, als für die beiden mRNA-Impfstoffe. Daraus könne jedoch »nicht zwangsläufig auf eine höhere Reaktogenität des Impfstoffes geschlossen werden, da die erhöhte Melderate auch mit der erhöhten medialen Aufmerksamkeit für den Impfstoff und den unterschiedlichen Altersgruppen der geimpften Personen zusammenhängen könnte«, erklärt das PEI. Jüngere reagieren den Zulassungsstudien zufolge im Durchschnitt stärker auf Covid-19-Impfungen als ältere Personen.
Zudem seien viele Nebenwirkungen als »gefühlt schwerwiegend« gemeldet worden, obwohl es sich beispielsweise nur um vorübergehendes Fieber gehandelt habe. In Großbritannien etwa gibt es dem PEI zufolge keinen großen Unterschied bei den gemeldeten Nebenwirkungen der unterschiedlichen Impfstoffe. Die unerwünschten Reaktionen nach einer Impfung mit einem der drei Produkte seien »vor allem vorübergehende Lokalreaktionen und Allgemeinreaktionen«, so das PEI. Bei Astra-Zeneca seien vor allem Fieber, Schüttelfrost und grippeähnliche Beschwerden gemeldet worden. Diese seien auch in den klinischen Prüfungen vor der Zulassung berichtet worden. Insgesamt lässt dies darauf schließen, dass die vermehrt gemeldeten Nebenwirkungen eher an einem Nocebo-Effekt und nicht am Impfstoff liegen dürften.
Sowohl Placebo- als auch Nocebo-Effekte sind inzwischen anerkannte Phänomene. Dabei stellt Nocebo das »dunkle« Gegenstück zum besser bekannten Placebo-Effekt dar. Nocebo bedeutet, dass schon die negative Einstellung eines Patienten gegenüber einem Medikament oder medizinischem Eingriff Krankheitssymptome auslösen oder verschlimmern kann.
Experten gehen davon aus, dass der Nocebo-Effekt größer ist als der Placebo-Effekt. In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass 70 bis 80 Prozent der berichteten Nebenwirkungen nicht von der untersuchten Substanz verursacht wurden. Aus klinischen Studien ist zudem bekannt, dass rund ein Viertel der Teilnehmer, die ein Placebo einnehmen, über Nebenwirkungen klagen. Werden die Teilnehmer gezielt nach Nebenwirkungen gefragt, steigt der Anteil der Betroffenen nochmal deutlich an. Patienten der Placebo-Gruppe berichten zudem meist von ähnlichen Nebenwirkungen wie die Probanden der Medikamentengruppe. Auch stimmen diese häufig gut mit den Symptomen überein, die im Rahmen der Aufklärungsgespräche besprochen wurden. Nocebo-Effekte können zudem, wie bei der Vakzine von Astra-Zeneca geschehen, durch mediale Berichterstattung verstärkt werden.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.