Die fünf Weisen im Juni |
Sven Siebenand |
23.06.2021 16:00 Uhr |
Fünf neue Medikamente kommen Mitte Juni in die Apothekenregale und bieten damit neue Therapieoptionen. / Foto: Adobe Stock/ Kenstocker
Im Präparat Recarbrio® von MSD werden dem Carbapenem-Antibiotikum Imipenem zwei Helfer zur Seite gestellt. Wie Imipenem ist auch die erste Beigabe kein Neuling. Cilastatin verzögert den Metabolismus des Antibiotikums in den Nieren. Neu ist der zweite Helfer. Relebactam hemmt β-Lactamasen und verhindert so die Hydrolyse des Carbapenems. Damit erhält auch Relebactam die antibiotischen Fähigkeiten von Imipenem aufrecht.
Recarbrio soll zur Behandlung von Infektionskrankheiten eingesetzt werden, die durch gramnegative Erreger bei Erwachsenen hervorgerufen wurden und für die es nur limitierte Therapieoptionen gibt. Ein Anwendungsgebiet ist zum Beispiel die Behandlung der im Krankenhaus erworbenen Lungenentzündung.
Das neue Medikament wird intravenös als Infusion über eine Dauer von 30 Minuten verabreicht. Es wird je nach Art der Infektion 5 bis 14 Tage lang alle sechs Stunden gegeben. Die häufigste Nebenwirkung ist Durchfall. Es darf nicht bei Patienten angewendet werden, die überempfindlich auf Imipenem oder andere Carbapenem-Antibiotika reagieren. Ebenso ist das Medikament bei Patienten mit schwerer Überempfindlichkeit gegen jegliche andere Betalaktam-Antibiotika, etwa Penicilline und Cephalosporine, tabu.
Das Präparat Ponvory® von Janssen-Cilag enthält mit Ponesimod einen Wirkstoff zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig verlaufender Multipler Sklerose (MS) mit aktiver Erkrankung.
Bei MS greift das Immunsystem in Gehirn und Rückenmark die schützende Isolierung um die Nerven sowie die Nerven selbst an und schädigt diese. Wie die bereits verfügbaren oralen Wirkstoffe Fingolimod, Siponimod und Ozanimod wirkt auch Ponesimod an sogenannten Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptoren modulierend.
Diese sind an der Bewegung von Lymphozyten im Körper beteiligt. Durch die Bindung an diese Rezeptoren halten die Wirkstoffe Lymphozyten davon ab, von den Lymphknoten zu Gehirn und Rückenmark zu gelangen, wodurch die von ihnen bei MS verursachten Schädigungen begrenzt werden. Während Fingolimod ein unselektiver Rezeptor-Modulator ist, docken Ozanimod und Siponimod selektiv an die Rezeptorsubtypen 1 und 5 an. Ponesimod greift nur noch am Subtyp 1 an.
Ponesimod wird einmal täglich als Filmtablette eingenommen. In den ersten zwei Wochen findet eine Dosistitration statt, wobei die tägliche Dosis von 2 mg nach und nach auf 10 mg erhöht wird. Nach zwei Wochen nimmt der Patient dann eine 20-mg-Tablette einmal täglich ein.
Sehr häufige Nebenwirkungen von Ponvory sind Entzündungen der Nase und des Rachens sowie erhöhte Leberenzymwerte. Einige Kontraindikationen sind zu beachten: So darf Ponesimod bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen, einem Schlaganfall, einem stark geschwächten Immunsystem, schweren oder chronischen Infektionen, Krebs oder mittelschweren bis schweren Leberproblemen nicht angewendet werden. Kontraindiziert ist der Wirkstoff auch bei Schwangeren oder Frauen im gebärfähigen Alter, die kein zuverlässiges Verhütungsmittel anwenden.
Von den sogenannten Checkpoint-Inhibitoren für die Krebsimmuntherapie gibt es mittlerweile einige Vertreter im Handel. Sie verhindern, dass sich Tumorzellen dem Angriff des körpereigenen Immunsystems entziehen können. Das heißt sie lösen eine Bremse des Immunsystems, direkt gegen Krebszellen richten sie sich nicht. So auch der neue Antikörper Dostarlimab (Jemperli®; GSK).
Dostarlimab kommt zur Behandlung bestimmter Arten des Endometriumkarzinoms zum Einsatz, die fortgeschritten oder erneut aufgetreten sind und sich trotz Behandlung mit einer Platin-basierten Chemotherapie verschlimmert haben. Jemperli wird als intravenöse Tropfinfusion über 30 Minuten verabreicht. Die Dosis beträgt 500 mg alle drei Wochen für die ersten vier Dosen und danach 1000 mg alle sechs Wochen. Wenn bestimmte Nebenwirkungen auftreten, kann der Arzt die Behandlung unterbrechen oder ganz beenden. Eine Dosisreduktion wird nicht empfohlen.
Sehr häufige Nebenwirkungen sind Anämie, Übelkeit, Durchfall, Erbrechen, Gelenkschmerzen, Juckreiz, Ausschlag, Fieber und Hypothyreose. In der Fachinformation gibt es einen expliziten Warnhinweis zu immunvermittelten Nebenwirkungen.
Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine seltene genetische Erkrankung, die zu wiederholten Ödemattacken führt. Diese können sehr schmerzhaft und lebensbedrohlich sein. Ursache der Erkrankung ist ein Mangel oder eine Funktionsstörung des C1-Inhibitors, einem wichtigen Regulator im Kallikrein-Kinin-System. Folge davon ist, dass der Körper ständig Bradykinin produziert, welches letztlich durch Vasodilatation und erhöhte Kapillarpermeabilität die Bildung von Ödemen fördert.
Wie das bereits 2019 eingeführte Lanadelumab ist der neue Wirkstoff Berotralstat (Orladeyo®, BioCryst) ein Hemmstoff des Plasma-Kallikreins. Dadurch wird der Bradykinin-Spiegel normalisiert und das Entstehen von Ödemattacken verhindert. Anders als Lanadelumab kann Berotralstat oral eingenommen werden. Zugelassen ist es ab einem Alter von zwölf Jahren zur routinemäßigen Prävention wiederkehrender HAE-Attacken. Das Medikament ist nicht zur Akutbehandlung vorgesehen.
Die empfohlene Dosis beträgt 150 mg einmal täglich. Sehr häufige Nebenwirkungen sind Kopf- und Abdominalschmerz sowie Durchfall. Die Anwendung in der Schwangerschaft sowie bei Frauen im gebärfähigen Alter, die keine Verhütung anwenden, wird nicht empfohlen.
Der fünfte neue Wirkstoff, Tagraxofusp, ist in Elzonris® von Stemline enthalten. Das Arzneimittel wird zur Behandlung der blastischen plasmazytoiden dendritischen Zellneoplasie (BPDCN), einer Art von Blutkrebs, verwendet. BPDCN tritt typischerweise im Knochenmark und/oder in der Haut auf. Tagraxofusp ist der erste zugelassene Arzneistoff für die Behandlung dieser Erkrankung.
Tagraxofusp setzt sich aus dem Diphtherietoxin und dem Protein Interleukin-3 zusammen. Der Interleukin-3-Anteil bindet an Rezeptoren, die in einer hohen Anzahl auf BPDCN-Zellen zu finden sind. Danach wird der Arzneistoff in die Zelle aufgenommen. Im Inneren wird das Toxin freigesetzt, das die Krebszelle dann abtötet.
Die empfohlene Dosis beträgt 12 µg/kg Körpergewicht, die einmal täglich für die Dauer von 15 Minuten über eine Infusion gegeben wird. Elzonris wird an den ersten fünf Tagen von jeweils 21- tägigen Zyklen gegeben. Der erste Zyklus wird in einem Krankenhaus verabreicht, weitere können ambulant erfolgen. Etwa eine Stunde vor jeder Infusion sollten die Patienten Antihistaminika, ein Kortikosteroid und Paracetamol erhalten, um das Risiko allergischer Reaktionen zu senken.
Sehr häufige Nebenwirkungen von Elzonris sind zum Beispiel niedrige Albuminspiegel im Blut, erhöhte Transaminase-Werte, verminderte Zahl der Blutplättchen, Übelkeit, Müdigkeit und Fieber. Auch ein Kapillarlecksyndrom, eine unvorhersehbare, lebensbedrohliche Nebenwirkung, die durch kleine undichte Blutgefäße entsteht, ist sehr häufig beobachtet worden.