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Hochflexibel, aber anfällig
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Die Schulter und ihre Schwachpunkte

Die Schulter ist das Gelenk mit den meisten Funktionen im menschlichen Körper. Sie ermöglicht Kraft, Präzision und eine hohe Beweglichkeit. Doch gerade Letztere geht auf Kosten der Stabilität. Das macht die Schulter anfällig für Erkrankungen und Verletzungen.
AutorKontaktCarina Steyer
Datum 20.05.2022  15:00 Uhr

In der Schulter treffen drei Knochen – das Schlüsselbein, das Schulterblatt und der Oberarmknochen – sowie etliche Muskeln, Bänder und Sehnen aufeinander. Gemeinsam bilden sie die drei Gelenke des Schultergürtels: Das Sternoclaviculargelenk verbindet das Brustbein mit dem Schlüsselbein. Obwohl es sich um ein Kugelgelenk handelt, ist die Bewegungsfähigkeit durch sehr straffe Bänder stark eingeschränkt. Wir benutzen das Gelenk zum Beispiel beim Verschränken der Arme vor dem Oberkörper oder beim Zusammenziehen der Schulterblätter. Das Schultereckgelenk verbindet das Schulterdach mit dem Schlüsselbein. Es ist gefordert, wenn der Arm über Schulterhöhe bewegt werden soll. Das Schulterhauptgelenk wird vom Oberarmkopf und dem Schulterblatt gebildet. Damit der Oberarmkopf nicht aus der relativ flachen Gelenkpfanne rutscht, wird der Oberarmknochen zusätzlich von vier Muskeln, der sogenannten Rotatoren-Manschette, fixiert. Den Arm heben und senken, nach vorne und hinten schwenken, nach außen und innen kreisen, gelingt durch die Arbeit des Schulterhauptgelenks.

Neben Knochen, Muskeln und Sehnen tragen weitere Strukturen zu den Funktionen der Schultergelenke bei. Dazu gehören die Gelenkkapsel des Schulterhauptgelenks und die Gelenklippe, ein knorpeliger Ring, der zur Stabilität des Oberarmkopfs in der Gelenkpfanne beiträgt. Schleimbeutel verringern die Reibung zwischen Muskeln, Sehnen und Knochen. Der größte befindet sich unter dem Schulterdach.

Die Anatomie der Schulter ermöglicht, dass der Arm in fast alle Richtungen bewegt werden kann. Diese hohe Beweglichkeit hat jedoch eine Folge: Die Schulter ist anfällig für Erkrankungen und Verletzungen. So liegt die Lebenszeitprävalenz von Schulterschmerzen bei 70 Prozent. Neben Rücken- und Nackenschmerzen gehören sie damit zu den häufigsten orthopädischen Beschwerden.

Zu wenig Raum unter dem Dach

Bei einem Großteil der von Schulterschmerzen-Betroffenen entstehen die Beschwerden direkt unter dem Schulterdach. Mediziner sprechen von einem Impingement-Syndrom. Auslöser ist eine Verengung des Raums unter dem Schulterdach. Sie führt dazu, dass beim Anheben des Armes Teile der Schultersehnen und der Schleimbeutel zwischen Oberarmkopf und Schulterdach eingeklemmt werden. Typischerweise spüren Betroffene die Schmerzen zu Beginn der Erkrankung belastungsabhängig, meist an der Außenseite der Schulter beim seitlichen Anheben des Armes. Später kommen auch Ruheschmerzen und Beschwerden bei Druck auf den vorderen Gelenkspalt hinzu. Viele Betroffene berichten außerdem, dass sie ungewohnte Gelenkgeräusche auf der betroffenen Schulterseite wahrnehmen.

Eine Verengung unter dem Schulterdach kann durch zahlreiche Faktoren ausgelöst werden. Dazu gehören zum Beispiel Knochenwucherungen, Verschleiß oder kalkartige Ablagerungen in der Sehne des Obergrätenmuskels, der zur Rotatoren-Manschette gehört. Auch ein entzündeter Schleimbeutel oder eine anatomische Abweichung des Schulterdachs können ursächlich sein. Zudem gelten berufsbedingtes häufiges Überkopfarbeiten (zum Beispiel bei Malern) und das intensive Ausüben von Sportarten, bei denen der Arm viel über den Kopf bewegt wird (wie Basketball, Tennis, Kraulschwimmen), als Risikofaktoren.

Physiotherapie und Cortisol

Mitunter lässt sich der tatsächliche Auslöser nicht einwandfrei feststellen. Auffälligkeiten in den radiologischen Bildern können die Beschwerden verursachen, finden sich aber auch bei vielen Menschen ohne Schulterschmerzen. Auswirkungen auf die Behandlung hat das nicht. Sie besteht standardmäßig aus einer intensiven Physiotherapie und einer Cortisonbehandlung und führt bei den meisten Patienten zur Beschwerdefreiheit. Ein operatives Eingreifen ist nur selten notwendig und wird von Orthopäden aufgrund möglicher Risiken wie Wundheilungsstörungen, Thrombosen, Nervenverletzungen und Schultersteife so lange wie möglich vermieden.

Rund um das Impingement-Syndrom hat sich zusätzlich ein breites Angebot an alternativen Heilmethoden entwickelt. Dazu gehören Akupunktur, Spritzen mit Hyaluronsäure, Injektionen von plättchenreichem Plasma (PRP), Interferenzstrom, Taping, Lichttherapien, Low-Level-Lasertherapie, Magnetfeldtherapie, Massagen, Mikrowellentherapie, transkutane elektrische Nervenstimulation, Triggerpunkt-Behandlung und Ultraschallwellen. Einen Wirksamkeitsnachweis gibt es derzeit für keine der Behandlungsmethoden. Zudem sollten Betroffene berücksichtigen, dass viele der Verfahren keine Kassenleistung sind und selbst bezahlt werden müssen.

Wenn nichts mehr geht

Schätzungen zufolge sind 2 bis 5 Prozent der Bevölkerung einmal in ihrem Leben von einer sogenannten »Frozen Shoulder«, einer Schultersteife, betroffen. Mediziner sprechen von einer adhäsiven Kapsulitis. Der Erkrankungshöhepunkt liegt zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr, wobei Frauen etwas häufiger erkranken als Männer. Eine besondere Häufung lässt sich zudem bei Diabetikern beobachten.

Die Schultersteife verläuft in drei Phasen: Zu Beginn der Erkrankung sind Schmerzen das dominierende Symptom. Sie werden als dumpf und tiefliegend beschrieben, mitunter strahlen sie bis in den Bizeps aus. Da sie anfangs gut auszuhalten sind, messen die meisten Betroffenen ihnen zunächst nur wenig Bedeutung zu. Über Monate hinweg kommt es jedoch zu einer deutlichen Verstärkung der Schmerzen, bis diese auch in Ruhe und vor allem nachts auftreten. Das erleben Betroffene nun als große Belastung: Der Schlaf wird empfindlich gestört und Liegen auf der betroffenen Seite ist unmöglich, da es die Beschwerden zusätzlich verstärkt.

In der zweiten Phase der Erkrankung lassen die Schmerzen nach, dafür nimmt die Beweglichkeit des Gelenks immer weiter ab. Betroffene haben Schwierigkeiten, den Arm nach oben und hinten zu bewegen. Viele Alltagstätigkeiten wie Anziehen, Kochen oder Autofahren werden zur Herausforderung. Im Extremfall kommt es zu einer vollständigen Bewegungsunfähigkeit des Gelenks.

Trotz der enormen Einschränkungen durch die Erkrankung ist die Prognose gut. Die Schultersteife gilt als selbstlimitierende Erkrankung. In 80 bis 90 Prozent der Fälle löst sich die Unbeweglichkeit des Gelenks in der dritten Erkrankungsphase langsam von selbst wieder auf. Wie lange jede einzelne Phase in Anspruch nimmt, lässt sich allerdings kaum vorhersagen. Im Durchschnitt sind die Einschränkungen nach ein bis zwei Jahren weitestgehend gelöst, mitunter kann es aber auch bis zu vier Jahre dauern.

Verklebung als Auslöser

Auslöser der Schultersteife ist eine massive Verklebung in der Gelenkkapsel, die die Kugel des Oberarmknochens und die Pfanne des Schulterblattes im Schulterhauptgelenk umschließt. Das Kapselgewebe verdickt sich und die Kapsel schrumpft. Wodurch die Verklebung ausgelöst wird, ist bisher nicht bekannt. Mediziner vermuten, dass Entzündungen eine tragende Rolle spielen. So tritt die Schultersteife häufig nach Unfällen, Operationen oder Impfungen auf. Auch eine unbehandelte Kalkschulter kann zum Auslöser werden. Hier bildet sich an der Schultersehne ein Kalkdepot aus, dass neben Schmerzen vor allem mechanische Beschwerden wie ein Knacken und Reiben im Gelenk verursacht. Darüber hinaus gibt es jedoch viele weitere Fälle, bei denen sich keine eindeutige Ursache nachweisen lässt.

Bei der Behandlung der Schultersteife steht zunächst die Schmerzlinderung im Vordergrund. Mittel der Wahl sind Cortisontabletten oder -spritzen. Betroffene sollten im Alltag zudem möglichst schonend mit der Schulter umgehen. Leichte Bewegungs- und Dehnübungen sollten in den ersten beiden Phasen nur durchgeführt werden, wenn sie keine Schmerzen verursachen. Wenn die Schulter in der dritten Erkrankungsphase wieder beweglicher wird, werden die Übungen intensiviert, um die Schulterfunktion wieder vollständig herzustellen.

Zeigt sich über Monate hinweg keine Verbesserung der Beschwerden, raten Orthopäden, nach sechs bis neun Monaten ein operatives Eingreifen in Erwägung zu ziehen. Dafür stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder werden im Rahmen einer Schulterarthroskopie (Gelenkspiegelung) einzelne Bänder durchtrennt und entzündetes Gewebe entfernt, sodass die Schulter wieder beweglich wird. Hierfür müssen Patienten einen Krankenhausaufenthalt von etwa zwei bis drei Tagen einplanen. Oder die Schulter wird unter Narkose in verschiedene Richtungen manipuliert, sodass die Verklebungen reißen und die Beweglichkeit dadurch wieder zunimmt.

Steht die Entscheidung »Abwarten oder Operieren« an, ist es wichtig zu wissen, dass in Studien das operative Eingreifen der konservativen Behandlung nicht überlegen war. Ausschlaggebend ist in diesem Fall der Faktor Zeit. Eine Operation kann den selbstlimitierenden Verlauf der Schultersteife deutlich abkürzen. Dafür gibt es Risiken aufgrund des Eingriffes und der Narkose. Beides sollte deshalb gut gegeneinander abgewogen werden. Einige Patienten ziehen es vor, zunächst alternative Methoden wie Ultraschallwellen, Akupunktur, Lasertherapie, Magnetfeldtherapie oder Kurzwellen-Diathermie auszuprobieren. Wie beim Impingement-Syndrom gilt jedoch auch hier, dass eine Wirksamkeit bisher nicht wissenschaftlich belegt werden konnte und die Kosten wahrscheinlich selbst getragen werden müssen. Entscheiden sich Betroffene für einen Eingriff, wird anschließend ebenfalls eine intensive Physiotherapie notwendig. Sie hilft, den Muskel wieder aufzubauen und die Bewegungsfunktionen der Schulter wiederherzustellen.

Knorpelabbau übersteigt -aufbau

Die Schulter ist nach dem Knie und der Hüfte am dritthäufigsten von Arthrose betroffen. Bei der Omarthrose liegt ein Ungleichgewicht zwischen knorpelaufbauenden und knorpelabbauenden Prozessen im Gelenk vor. Auslöser dafür sind bei der primären Arthrose eine genetische Veranlagung oder eine Überbeanspruchung des Gelenks, oftmals handelt es sich auch um Kombinationen aus beiden Faktoren. Sekundäre Arthrosen treten häufig nach Verletzungen wie Rissen an den Sehnen der Rotatoren-Manschette, zurückliegende Knochenbrüche oder Ausrenkungen der Schulter auf.

Unabhängig vom Auslöser hat die Schulterarthrose eine entscheidende Folge: Es kommt zu einem fortschreitenden Verlust des Knorpelgewebes, das den Oberarmkopf und die Gelenkpfanne im Schulterhauptgelenk überzieht. Durch die zunehmende Abnutzung reiben der Oberarmknochen und die Schulterblattpfanne immer stärker aufeinander. Knorpel- und später auch Knochengewebe werden abgetragen, das Gelenk verändert sich. Der Oberarmknochen wird entrundet, an den Gelenkrändern bilden sich knöcherne Anlagerungen, sogenannte Osteophyten, aus. Kopf und Pfanne passen immer weniger zueinander, die Gelenkfunktion nimmt ab. Dazu kommen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen durch den Abrieb sowie Entzündungen des umliegenden Gewebes.

Schmerzlinderung im Fokus

Typisch für eine Schulterarthrose sind Anlaufschmerzen am Morgen, auf die ein schmerzfreies Intervall folgt. Viele Betroffene berichten außerdem von einem spür- und hörbaren Reiben oder Knirschen im Gelenk, wenn die Arme nach vorne oder über den Kopf gestreckt werden. Zu Beginn der Erkrankung sind die Schmerzen für viele Betroffene gut aushaltbar, es kommt mit der Zeit jedoch zu einer deutlichen Steigerung. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium können Arthrosen zu sehr starken Schmerzen führen, die auch in Ruhe und in der Nacht auftreten. Eine ausreichende Schmerzlinderung steht deshalb im Fokus der Behandlung. Hier werden neben Schmerzmitteln auch physikalische Maßnahmen wie Kälte oder Wärme eingesetzt. Einige Betroffene erleben zudem die Unterstützung des Gelenks mit Tapes oder Bandagen als angenehm. Therapieformen wie eine Hyaluronsäure- oder PRP-Behandlung sollen die Knorpelschmierung und -regeneration unterstützen.

Obwohl eine Schulterarthrose zu deutlichen Veränderungen am Gelenk führt, werden diese im Alltag von vielen Betroffenen lange Zeit nicht als bewegungseinschränkend wahrgenommen. Das liegt in erster Linie daran, dass Betroffene in der Lage sind, die Einschränkungen des Gelenks durch eine vermehrte Schulterblattaktivität zu kompensieren. Dennoch empfehlen Mediziner bereits frühzeitig eine Physiotherapie. Hier wird gezielt am Kraftaufbau und der Funktionsverbesserung gearbeitet.

Kommt es trotz konservativer Maßnahmen weiterhin zu Beschwerden und einem Fortschreiten der Erkrankung, wird eine operative Behandlung notwendig. Im Rahmen einer Arthroskopie können die Gelenkhaut, der freie Gelenkskörper und scharfkantige Osteophyten entfernt werden. Dadurch bessern sich nicht nur die Schmerzen, sondern auch die Beweglichkeit. Ist das Gelenk bereits schwer geschädigt, kann die Funktion der Schulter und des Arms nur noch durch den Einsatz eines künstlichen Gelenks erhalten werden. In Deutschland werden jährlich etwa 24.000 künstliche Schultergelenke eingesetzt.

Notfall Schulterluxation

Die hohe Beweglichkeit des Schultergelenks und die flache Gelenkpfanne im Schulterhauptgelenk können dazu führen, dass bei Überlastung der Oberarmkopf aus der Gelenkpfanne springt. Dies passiert in der Regel im Rahmen eines Unfalls mit großer Krafteinwirkung oder durch eine starke Überdehnung. Einige Sportarten wie Turnen oder Klettern gelten als Risikofaktoren für eine Schulterluxation.

Meist geschieht die Ausrenkung nach vorne, sie ist aber auch nach hinten oder unten möglich. Unabhängig von der Richtung gilt eine Schulterluxation als Notfall. Das Gelenk sollte möglichst innerhalb von 30 Minuten wieder eingerenkt werden, sodass eine schnelle medizinische Behandlung erforderlich ist. Anschließend wird die Schulter für drei bis vier Wochen ruhiggestellt. In dieser Zeit heilen in der Regel auch die mitverletzten Bänder, Sehnen und Muskeln vollständig. Mithilfe von Physiotherapie wird im Anschluss die Kraft und Beweglichkeit der Schulter wieder aufgebaut.

Eine Operation kann notwendig werden, wenn es erneut zu einer Ausrenkung kommt, die Verletzung sehr groß ist oder die Schulter extremen Belastungen wie bei Leistungssportlern standhalten muss. Sportler müssen mit einem Ausfall von drei bis vier Monaten rechnen.

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