Diese Menschen leiden besonders |
Wie geht es mit der Schule weiter? Wann darf ich mich wieder mit Freunden treffen? Wie sieht meine Zukunft aus? Vor allem junge Menschen fühlen sich psychisch durch die Pandemie belastet. / Foto: Adobe Stock/TheVisualsYouNeed
Um die Veränderungen des seelischen und gesundheitlichen Zustands vor und nach dem Covid-19-Ausbruch näher benennen zu können, führt die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der LVR-Kliniken Essen seit März 2020 eine breit angelegte, anonyme Online-Befragung von fast 25.000 Menschen durch.
Generell habe die Umfrage bislang ergeben, dass eine deutliche Mehrheit der Befragten unter seelischem Stress (65 Prozent) und Covid-19-bezogener Furcht (59 Prozent) leidet, erklärt Professor Martin Teufel, Leiter der Studie, in einer ersten Zwischenbilanz. Dass Frauen über einen höheren psychischen Druck berichten, könnte seiner Ansicht zufolge an der häufigen Doppelbelastung durch Homeoffice und Homeschooling liegen. Bei den ebenfalls stärker betroffenen Heranwachsenden wiederum setzten vermutlich Bildungssorgen verbunden mit der Einschränkung der wichtigen Interaktion in Peer-Groups zu, erklärt er in einer aktuellen Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM).
Als besonders gefährdet hätten sich zudem Menschen mit psychischen Vorerkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen erwiesen. Sie reagieren verstärkt unter anderem mit Schlafstörungen oder Antriebslosigkeit – zumal die Möglichkeit regelmäßiger psychotherapeutischer Interventionen derzeit entfällt. Generell fehle das interaktionelle zwischenmenschliche Korrektiv im Sportverein, in der Familie oder am Arbeitsplatz, das hilft, im seelischen Gleichgewicht zu bleiben.
»Für Betroffene ist es besonders wichtig, in der Zeit der Pandemie auf psychologische Unterstützung über Telefonate, Videositzungen oder andere Online-Angebote zurückgreifen zu können«, so Teufel mit Verweis auch auf erste Erfahrungen bei der Entwicklung des Online-Unterstützungsprogramm »CoPE It«. Als webbasiertes Unterstützungsangebot für Menschen in belastenden Situationen wird dieses derzeit in Essen in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Tübingen entwickelt.
Im Rahmen der bisherigen Studien in Essen und in Tübingen wurden auch Faktoren identifiziert, die in der Pandemie psychisch entlastend wirken. »Die Untersuchung zeigt klar auf: Wer sich subjektiv gut aufgeklärt fühlt oder Vertrauen in staatliche Maßnahmen entwickeln kann, leidet weniger unter Covid-19-bezogener Angst oder psychischem Stress«, so Teufel weiter. Daher sei es von besonderer Bedeutung, dass verantwortliche Politiker in Krisensituationen transparent und verständlich informieren und kommunizieren.
»Nachvollziehbare Informationen fördern die individuelle Selbstwirksamkeit, die Einstellung, Dinge ein Stück weit selbst in der Hand zu haben und bedrohlichen Situationen adäquat begegnen zu können«, unterstreicht Privatdozent Florian Junne, Tübingen. »So kann es Menschen gelingen, ihre Angst unter Kontrolle zu halten und nicht lähmend werden zu lassen«, sagt der Arzt für Psychosomatische Medizin.
»Das Horten von Toilettenpapier beziehungsweise Leugnungen oder Verschwörungstheorien sind Formen der Pseudo-Kontrolle. Im Sinne psychologischer Abwehrmechanismen können diese Reaktionsweisen als Korrelate intrapsychischer Vorgänge im Umgang mit Unsicherheit und Angst verstanden werden«, so Teufel und Junne.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.