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Künstliche Intelligenz

»Dr. Data« hält Sprechstunde

Das Wissenschaftsjahr 2019 steht ganz im Zeichen der künstlichen Intelligenz (KI): Computer ahmen das menschliche Entscheidungsverhalten nach. Ihr Wissen schöpfen sie aus großen Datensätzen. KI unterstützt Heilberufler bei der Diagnostik und Therapie, ohne sie zu ersetzen.
Michael van den Heuvel
13.03.2019  15:20 Uhr

In den letzten Jahren sind Computer besser und vor allem schneller geworden. Außerdem stehen große Speicherkapazitäten für wenig Geld zur Verfügung. Diese Voraussetzungen haben dem maschinellen Lernen zum Durchbruch verholfen. Digitale Systeme werten Daten aus und übertragen dieses Wissen auf neue Fragestellungen. Tools der künstlichen Intelligenz gehen noch einen Schritt weiter. Sie ahmen das menschliche Denken nach und schlagen Lösungen vor.

Lange Zeit arbeiteten die Entwickler intelligenter Systeme im Verborgenen. Ab 2011 richteten sich alle Blicke auf Watson, den Supercomputer von IBM. Er trat bei der US-Quizshow Jeopardy! gegen einen menschlichen Top-Kandidaten an – und besiegte ihn. Aus technischer Sicht galt das Experiment als bahnbrechend, weil viele Quizfragen mehrdeutig formuliert wurden. Trotzdem konnte Watson auf Basis seiner Datenquellen sinnvolle Antworten liefern. Dieses Prinzip lässt sich auf medizinische Fragestellungen übertragen.

KI-Systeme unterstützen Ärzte bei der Entscheidungsfindung. Nicht immer lassen sich in komplexen Daten, wie sie etwa aus der Bildgebung kommen, Strukturen klar erkennen. Ob das Röntgenbild Tumore oder vielleicht nur Bindegewebe zeigt, bleibt fraglich. Kollege Computer greift auf Datenbanken mit Bildern und Diagnosen zurück. Per Tools aus dem maschinellen Lernen werden Empfehlungen errechnet. Ärzte haben das letzte Wort, bekommen aber Unterstützung.

KI sticht Ärzte aus

Welche Fortschritte Programme machen, zeigt ein internationaler Software-Wettbewerb zur Diagnose von Metastasen in Biopsien. Die Proben kamen aus Wächterlymphknoten von Patientinnen mit Brustkrebs. Forscherteams reichten 32 KI-Programme ein. Außerdem beteiligten sich elf Patho­logen mit klinischer Erfahrung. Dabei galt es, 129 Präparate auszuwerten.

Sieben der Programme lieferten bessere Ergebnisse als die Ärzte. Fünf der Tools waren sogar erfolgreicher als ein Pathologe, der sich 30 Stunden Zeit nahm. Ärzte übersahen häufig Mikrometastasen, was bei KI-Tools seltener der Fall war.

Mit ähnlichen Herausforderungen werden Gastroenterologen jeden Tag konfrontiert. Ob es sich bei Anomalien im Darm um Polypen oder Kolonkarzinome handelt, zeigt mitunter erst die Biop­sie. Japanische Ärzte schickten 500-fach vergrößerte Bilder der Endoskop-Kamera an ein KI-System zur Analyse. Auch hier schnitt Kollege Computer hervorragend ab, wobei keine Vergleiche mit ärztlichen Diagnosen stattfanden.

Beim Hautkrebs-Screening unterstützen Algorithmen die Beurteilung von Läsionen ebenfalls. Im Herbst 2018 traten 58 Dermatologen aus 17 Ländern gegen KI-Tools an. Hautärzte erkannten 86,6 Prozent aller Melanome, beim IT-Netzwerk waren es 95 Prozent. Das klingt gut. Allerdings stuften Dermatologen 75,7 Prozent der harmlosen Muttermale korrekt ein, der Computer schnitt etwas schlechter (63,8 Prozent) ab. Um die Ergebnisse zu verbessern, sind beim maschinellen Lernen größere Datenmengen erforderlich. Sollten sich die Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen, eröffnet sich ein weites Feld für Smartphone-Apps. Die Kameras sind mittlerweile gut genug, um Läsionen hoch aufgelöst zu fotografieren. Aufnahmen müssten nicht zwangsläufig an Ärzte geschickt werden. Ein erstes Screening wäre per KI schon durch Patienten möglich.

Von der Dermatologie zur Neurologie. An der Berliner Charité wollen Ärzte per KI die Behandlung und Versorgung von Schlaganfall-Patienten verbessern. Das Forschungsprojekt ist gerade angelaufen. Leitlinien zufolge liegt das Fenster für Lysetherapien bei viereinhalb Stunden. Innerhalb dieses Zeitraums lösen Enzyme wie Alteplase, Reteplase oder Tenecteplase Blutgerinnsel auf. Danach führen sie zu mehr Schaden als Nutzen. »Das mag statistisch korrekt sein, für den individuellen Patienten ist das jedoch nicht immer die richtige Therapie«, sagt Projektleiter Dietmar Frey. Er hofft, per KI individueller zu behandeln.

Umstrittener Symptomchecker

Solche Tools sollen nicht in ärztlicher Hand bleiben. Die Techniker Krankenkasse (TK) will Patienten innovative Diagnostik zugänglich machen. Ende 2018 präsentierte sie einen auf KI basierenden Symptomcheck. Als Kooperationspartner ist das Berliner Unternehmen »Ada Health« mit im Boot. User geben ihre Symptome ein, wobei so lange Fragen gestellt werden, bis ausreichend viele Daten vorliegen. Anschließend erfahren sie, welche Ursachen hinter den Symptomen möglicherweise stecken und welche nächsten Schritte erforderlich sind.

Mediziner reagierten empört: »Diese Form von Einmischung einer Krankenkasse in das individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis ist für uns eine klare Grenzüberschreitung«, erklärt Dr. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes, in einer Pressemeldung. »Da erhält der Begriff ›Kassen-Arzt‹ eine ganz neue Bedeutung, und das Gesundheitssystem gerät in Schieflage, wenn den Kolleginnen und Kollegen in der Niederlassung oder der Klinik am Ende die Rolle des Zweitmeinungs-Lieferanten bleibt.« Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des NAV-Virchow-Bundes, ergänzt: »Wichtig ist, dass am Ende dieser Angebote immer ein Vertragsarzt steht. Das erwarte ich auch vom neuen Angebot der TK.«

Im Krankenhaus gut versorgt

Bei der stationären Überwachung schwerkranker Patienten spielen KI-Tools ebenfalls ihre Stärken aus. In einem kanadischen Klinikum wurde die Intensivstation zum Datenlabor. Carolyn McGregor von der Universität Toronto schreibt, in der Vergangenheit seien zwar etliche Vitalparameter erhoben, aber nicht systematisch analysiert worden. Sehen Pflegekräfte einmal pro Stunde auf die Monitore, fallen 99 Prozent aller Messpunkte unter den Tisch. Deshalb hat McGregor für Watson »Artemis« programmiert: eine Software, um EKG, Puls, Atmung, Sauerstoffsättigung, Körpertemperatur und Blutdruck lückenlos zu erfassen. Mit speziellen Algorithmen erkennt das elektronische Tool anhand von Abweichungen mögliche Vorboten einer Infektion, und zwar 24 Stunden, bevor Ärzte aufmerksam werden. Bislang erhielten Risikopatienten oft prophylaktisch Antibiotika. Dies lasse sich McGregor zufolge in vielen Fällen vermeiden, der künstlichen Intelligenz sei Dank.

Auf der Jagd nach neuen Arzneistoffen

Wissenschaftler sehen darüber hinaus große Chancen, um schneller neue Arzneistoffe zu entwickeln. Basis sind große Mengen an Molekülen, sogenannte Substanzbibliotheken. Diese werden mit Hochdurchsatzverfahren untersucht, um beispielsweise Effekte gegen bestimmte Krebszellen nachzuweisen. Das Verfahren ist aufwendig. Mehrere Arbeitsgruppen optimieren jetzt per KI die Suche nach neuen Strukturen. Ihre Tools setzen weit vor dem eigentlichen Experiment an. Sie überprüfen Hypothesen, werten aber auch Ergebnisse früherer Experimente aus, Schnittstellen zu Literarturdatenbanken sind möglich. Erst danach beginnt die Sichtung von Substanzen – und bringt überraschende Ergebnisse. Per KI zeigte sich, dass der bekannte antimikrobielle Wirkstoff Triclosan gegen Malaria wirkt.

Abrechnungssündern auf der Spur

Es geht bei KI aber nicht nur um Diagnostik oder Therapie. Die Unternehmensberatung McKinsey sieht in Tools auch Vorteile für Krankenkassen. Bislang läuft die Rechnungsprüfung in weiten Teilen manuell ab. Die Kosten stationärer Leistungen – deutschlandweit rund 73 Milliarden Euro – machen 30 bis 40 Prozent des GKV-Gesamtbudgets aus. Zwischen acht und zehn Prozent aller Rechnungen waren in den letzten Jahren fehlerhaft. Solche Vorgänge zu identifizieren und richtigzustellen, würde allen Beteiligten – Krankenkassen wie Leistungserbringern – viel Zeit, Geld und Aufwand ersparen. »Das bisherige starre Regelwerk der Rechnungsprüfung würde abgelöst durch intelligente Algorithmen, die aus historischen Sachverhalten lernen und sich fortlaufend weiterentwickeln – mit dem Effekt, dass Fehler gezielt erkannt und korrigiert und zugleich überflüssige oder aussichtslose Interventionen vermieden werden«, schreiben die Autoren. Sie erwarten Einsparungen in Höhe von mindestens 500 Millionen Euro pro Jahr, sollten Rechnungen intelligent ausgewertet werden. Ob im nächsten Schritt mehr Retaxationen für Apotheken folgen, ist nicht bekannt.

Ein herber Rückschlag

Moderne Technik hat trotz aller Euphorie auch ihre Schattenseiten, wie folgende Begebenheit zeigt. Watson for Oncology berät Mediziner in 230 Krankenhäusern weltweit, um die Behandlung von Krebspatienten zu optimieren. Leif Jensen, ein leitender Onkologe an Kopenhagens Reichskrankenhaus, kritisiert, folge man Watsons Empfehlungen, könne es sein, dass Patienten sterben statt zu genesen. Deshalb stoppte er den weiteren Einsatz. Wie konnte das passieren? Experten erklären die Probleme mit zu wenigen Testdaten. Watson benötigt in der Trainingsphase Tausende an Diagnosen und Therapien zum maschinellen Lernen. Nun ist Krebs aber keine homogene Erkrankung. Unterschiedliche Organsysteme sind betroffen, es gibt verschiedene Stadien und histologische beziehungsweise molekularbiologische Unterschiede. Diesen Unterschieden wurde zu wenig Rechnung getragen. Zum Teil seien die Fälle gar nicht real, sondern von den Ärzten konstruiert gewesen, kritisierten Experten. Auch die Leitlinien zur Behandlung unterschieden sich von Land zu Land. Watson selbst lernte anhand von US-Leitlinien, Entscheidungen zu treffen. Jensen arbeitete mit dänischen Empfehlungen, und der Widerspruch war perfekt. Wie bei jeder neuen Technologie müssen zu Beginn etliche Schwächen überwunden werden.

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