Drei neue Mittel im September |
Sven Siebenand |
05.09.2024 08:00 Uhr |
Drei neue Arzneistoffe bereichern seit Anfang September den deutschen Markt. / Foto: Adobe Stock/areebarbar
Basalinsuline wie Insulin degludec, detemir oder glargin spielen in der Apothekenpraxis eine wichtige Rolle. Nun kam ein besonders lang wirksames Basalinsulin hinzu: Insulin icodec (Awiqli® Injektionslösung im Fertigpen, Novo Nordisk). Es ist das erste Basalinsulin, das nur noch einmal wöchentlich gespritzt werden muss.
Für die sehr lange Halbwertszeit von 196 Stunden sind im Wesentlichen zwei Mechanismen verantwortlich. Zum einen weist Insulin icodec im Vergleich zu anderen Insulinen eine verminderte Affinität zum Insulinrezeptor auf. Dies hat man durch einen Aminosäureaustausch an nur drei Stellen im Molekül erreichen können. Zum anderen hat Insulin icodec eine verstärkte Bindung an Albumin. Dies ist bedingt durch das Ankoppeln einer langkettigen Fettsäure. Zugelassen ist Insulin icodec zur Behandlung von Erwachsenen mit Diabetes mellitus. Bei Kindern und Jugendlichen sind Sicherheit und Wirksamkeit des neuen Insulins noch nicht erwiesen. Die Applikation von Insulin icodec erfolgt einmal wöchentlich als subkutane Injektion in den Oberschenkel, Oberarm oder die Bauchdecke. Auch bei diesem Insulin gilt es, die Injektionsstellen rotieren zu lassen und bei jeder Injektion eine neue Nadel zu benutzen.
Bei Typ-2-Diabetikern, die bisher noch kein Insulin bekommen haben und die eine Insulintherapie mit Awiqli® beginnen, wird eine wöchentliche Anfangsdosis von 70 Einheiten empfohlen. Anschließend sollte die Dosis einmal wöchentlich individuell angepasst werden. Sicherheit und Wirksamkeit von Insulin icodec bei insulinnaiven Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes sind nicht erwiesen, heißt es in der Fachinformation. Diabetikern, die von ein- oder zweimal täglich verabreichtem Basalinsulin auf Insulin icodec umsteigen, wird empfohlen, die erste Awiqli-Gabe am Tag nach der letzten verabreichten Dosis ihres alten Basalinsulins zu injizieren.
Die empfohlene Dosis Awiqli entspricht der täglichen Basalinsulin-Gesamtdosis multipliziert mit 7, gerundet auf die nächsten 10 Einheiten. Lediglich für die erste Injektion wird eine zusätzliche einmalige Aufsättigungsdosis von 50 Prozent empfohlen, falls ein schnelleres Erreichen der Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit Typ-2-Diabetes angestrebt wird. Für Patienten mit Typ-1-Diabetes wird diese Aufsättigungsdosis bei der ersten Injektion immer empfohlen.
Ein Beispiel: Hat ein Typ-1-Diabetiker bisher 15 Einheiten eines Basalinsulins gespritzt, so rechnet man für die erste Dosis 7 x 15 Einheiten x 1,5 = 157,5 Einheiten. Aufgerundet wird dann auf 160 Einheiten. Ab der zweiten Woche errechnet sich die wöchentliche Dosis dann wie folgt: 7 x15 Einheiten = 105 Einheiten. Aufgerundet wird auf 110 Einheiten. In der Fachinformation findet sich eine entsprechende Tabelle. Die am häufigsten beobachtete Nebenwirkung von Insulin icodec ist die Unterzuckerung, was für ein Insulin natürlich wenig überraschend ist. Häufig sind auch Reaktionen an der Injektionsstelle.
Aufgrund fehlender Erfahrungen während der Schwangerschaft muss Frauen im gebärfähigen Alter geraten werden, Awiqli abzusetzen, wenn sie schwanger werden oder schwanger werden möchten. In der Stillzeit ist zu entscheiden, ob auf das Stillen verzichtet wird oder die Behandlung mit Insulin icodec beendet wird. Dabei soll sowohl der Nutzen des Stillens für das Kind als auch der Nutzen der Therapie für die Frau berücksichtigt werden. Wie andere Insuline muss auch Awiqli vor dem ersten Gebrauch im Kühlschrank bei 2 bis 8 Grad Celsius aufbewahrt werden. Nach Anbruch darf das Arzneimittel maximal zwölf Wochen bei maximal 30 Grad Celsius gelagert werden.
Tislelizumab (Tevimbra® Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, BeiGene Germany) gehört zu den sogenannten Immun-Checkpoint-Inhibitoren. In den vergangenen Jahren kamen bereits einige Antikörper dieser Art für die Behandlung von Krebserkrankungen in den Handel. Tislelizumab richtet sich wie zum Beispiel der Antikörper Nivolumab gegen den PD-1-Rezeptor auf T-Zellen. Dadurch wird verhindert, dass die Liganden PD-L1 und PD-L2 an PD-1 andocken und die T-Zell-Funktion hemmen. Die Folge: Tislelizumab verstärkt die T-Zell-Antwort einschließlich der Anti-Tumor-Antwort. Zugelassen ist der Antikörper bei bestimmten Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) beziehungsweise Speiseröhrenkrebs.
Die Patienten sollen mit Tislelizumab bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder bis zu einer inakzeptablen Toxizität behandelt werden. Die empfohlene, intravenös applizierte Dosierung liegt bei 200 mg alle drei Wochen.
Wird der Antikörper in Kombination mit einer Chemotherapie gegeben und wird diese am selben Tag verabreicht, dann muss Tislelizumab vor der Chemotherapie appliziert werden. Die erste Infusion des neuen Antikörpers muss über einen Zeitraum von 60 Minuten verabreicht werden. Verträgt der Patient diese Infusion gut, können die nachfolgenden Infusionen über einen Zeitraum von 30 Minuten gegeben werden.
Die Liste möglicher Nebenwirkungen ist leider lang. In der Fachinformation von Tevimbra ist eine entsprechende Tabelle zu finden. Sehr häufig entstehen unter anderem Anämie, Husten, Ausschlag und Juckreiz sowie Fatigue. Ebenfalls in der Fachinformation wird über die Möglichkeit immunvermittelter Nebenwirkungen informiert und wie die Behandlung mit Tislelizumab möglicherweise anzupassen ist.
Frauen im gebärfähigen Alter sollen während der Behandlung und für mindestens vier Monate nach der letzten Gabe des Antikörpers eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Tislelizumab darf während der Schwangerschaft nicht angewendet werden, es sei denn, dass eine Behandlung aufgrund des klinischen Zustandes der Frau erforderlich ist. Wegen des Potenzials für schwerwiegende Nebenwirkungen bei gestillten Neugeborenen durch Tevimbra soll Frauen geraten werden, während der Behandlung und für mindestens vier Monate nach der letzten Gabe des Arzneimittels nicht zu stillen.
Das Pharmaunternehmen Takeda hat die Enzymersatztherapie Adzynma® auf dem deutschen Markt eingeführt. Enthalten ist rADAMTS13, eine rekombinante Form des körpereigenen Enzyms ADAMTS13. Durch Mutationen im ADAMTS-13-Gen fehlt Betroffenen mit der seltenen Erbkrankheit, angeborene thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (cTTP), dieses Enzym. Schätzungsweise liegt die Prävalenz von cTTP bei 0,5 bis 2 Fälle pro eine Million Menschen. Neben akuten Problemen macht cTTP auch chronische Probleme, etwa Nieren- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
ADAMTS13 ist eine Zink-Metalloprotease im Plasma, die die Aktivität des von Willebrand-Faktors (VWF) reguliert, indem sie große und ultragroße VWF-Multimere in kleinere Einheiten spaltet und dadurch die Bindungseigenschaften von VWF an Thrombozyten und seine Neigung zur Bildung von Mikrothromben reduziert. Fehlt das Enzym, bilden sich im Blut lange vWF-Ketten, die große Mengen Thrombozyten binden. Das kann zum Verstopfen von Gefäßen führen (thrombotische Wirkung). Zudem werden so viele Blutplättchen gebunden, dass es andererseits auch zu einem Mangel kommt (thrombozytopenische Wirkung). Als Folge kommt es unter anderem zu purpurfarbenen Blutergüssen.
Adzynma ist zur Behandlung eines ADAMTS13-Mangels bei Kindern und Erwachsenen mit cTTP zugelassen. Für die erworbene Form der Erkrankung (aTTP), bei der sich Autoantikörper gegen ADAMTS-13 bilden, kommt es derzeit noch nicht infrage. Eine Phase-II-Studie läuft allerdings. Bereits bei aTTP, aber nicht bei cTTP zugelassen, ist der Antikörper Caplacizumab, der 2018 auf den deutschen Markt kam.
Adzynma wird intravenös verabreicht. Für die Prophylaxe sind 40 I.E./kg Körpergewicht einmal alle zwei Wochen empfohlen. Je nach Ansprechen kann aber auch eine wöchentliche Gabe nötig sein. Im Falle einer akuten TTP-Episode wird empfohlen, 40 I.E./kg Körpergewicht an Tag 1, 20 I.E./kg Körpergewicht an Tag 2 und 15 I.E./kg Körpergewicht ab Tag 3 einmal täglich bis zwei Tage nach Abklingen der akuten Episode zu verabreichen. Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren Kopfschmerz, Durchfall, Schwindel, Infektionen der oberen Atemwege, Übelkeit und Migräne.