Drei neue Wirkstoffe am Start |
Sven Siebenand |
28.10.2022 09:00 Uhr |
Startschuss für drei neue Medikamente gegen seltene Krankheiten und häufige Augenerkrankungen. / Foto: Getty Images/Mr.mansuang Suttakarn / EyeEm
Die Netzhauterkrankungen neovaskuläre altersabhängige Makuladegeneration (nAMD) und diabetisches Makulaödem (DMÖ) zählen zu den häufigsten Ursachen für den Verlust der Sehkraft. Der neue Antikörper Faricimab (Vabysmo®, Roche) ist eine weitere Therapieoption für betroffene Patienten im Erwachsenenalter.
Faricimab zeichnet sich dadurch aus, dass es ein sogenannter bispezifischer Antikörper ist. Er wirkt durch Hemmung von zwei unterschiedlichen Signalwegen. Zum einen neutralisiert der Wirkstoff Angiopoietin-2 (Ang-2), zum anderen auch den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor A (VEGF-A). Ang-2 führt unter anderem dazu, dass Zellen für die Wirkung von VEGF-A empfindlicher werden, und verstärkt den negativen Einfluss von VEGF-A auf die Stabilität und Durchlässigkeit von Gefäßen sowie entzündliche Prozesse. Daher macht der bispezifische Ansatz Sinn. Durch die synergistische Hemmung von VEGF-A und Ang-2 werden die antientzündliche und gefäßstabilisierende Wirkung verstärkt.
Faricimab muss — wie andere Therapieoptionen auch — direkt in den Glaskörper gespritzt wird. Dies erfolgt unter aseptischen Bedingungen. Für beide Zulassungsgebiete beträgt die empfohlene Dosis 6 mg alle vier Wochen für die ersten vier Dosen. Danach ist es möglich, dass die Gabe nur noch seltener erfolgen muss. Der Arzt passt die Behandlung in Abhängigkeit von der Krankheitsaktivität an. Unter Umständen muss der Antikörper dann nur noch alle vier Monate appliziert werden. Unmittelbar nach der Injektion von Faricimab sind die Patienten auf eine mögliche Erhöhung des Augeninnendrucks zu überwachen.
Neben einem erhöhten Augeninnendruck waren in Studien Katarakt, Bindehautblutung, Mouches volantes, Augenschmerzen und Einriss des retinalen Pigmentepithels (nur bei nAMD) die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen von Faricimab.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung sowie nach der letzten Injektion für mindestens drei Monate eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Der neue Wirkstoff darf während der Schwangerschaft nicht zum Einsatz kommen, es sei denn, der potenzielle Nutzen überwiegt das Risiko für den Fetus. In der Stillzeit ist zu entscheiden, ob auf das Stillen oder die Faricimab-Gabe verzichtet wird.
Die Progerie ist eine seltene genetische Erkrankung, bei der die betroffenen Kinder wie im Zeitraffertempo zu altern scheinen. Patienten mit dem Hutchinson-Gilford-Progeria-Syndrom und mit progeroiden Laminopathien mit Verarbeitungsfehler weisen eine Akkumulation abnormer Formen der Proteine auf, die als Progerin oder Progerie-ähnliche Proteine bezeichnet werden. Diese schädigen die Zellen und verursachen bereits in jungem Lebensalter deutliche Alterungserscheinungen.
Der neue Wirkstoff Lonafarnib (Zokinvy®, Eigerbio Europe) ist ein Inhibitor des Enzyms Farnesyltransferase. Er sorgt dafür, dass sich weniger Progerin in der inneren Zellkernmembran ansammelt. Dies soll zur Aufrechterhaltung der Zellintegrität und der normalen Funktion beitragen. Heilen kann Lonafarnib die Erkrankung nicht, aber die Studiendaten zeigen, dass es möglich ist, das Voranschreiten der frühzeitigen Vergreisung bei den jungen Betroffenen zu bremsen.
Lonafarnib ist ab einem Alter von zwölf Monate zugelassen. Die Kapseln werden zweimal täglich zu einer Mahlzeit eingenommen. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 115 mg/m2 Körperoberfläche. Die Erhaltungsdosis nach viermonatiger Behandlung soll 150 mg/m2 betragen. Auch hier wird die Gesamtdosis auf zwei Dosen im Abstand von zwölf Stunden aufgeteilt. Nebenwirkungen wie Erbrechen und Übelkeit sind sehr häufig. Ebenso treten zum Beispiel Appetitlosigkeit, Übelkeit, Bauchschmerz, Gewichtsverlust, Müdigkeit, Infektionen der oberen Atemwege und Verstopfung sehr häufig auf.
Kontraindiziert ist Lonafarnib bei schwerer Leberfunktionsstörung sowie bei gleichzeitiger Anwendung mit starken CYP3A-Hemmern. Moderate CYP3A-Hemmer sind zu vermeiden, heißt es in der Fachinformation. Ebenso ist es bei CYP3A-Induktoren, insbesondere moderaten und starken. Wiederum tabu ist die gleichzeitige Anwendung von Arzneimitteln, die vorwiegend über CYP3A4 verstoffwechselt werden. Dazu zählen Statine wie Atorvastatin, Simvastatin und Lovastatin.
Die zweite seltene Erkrankung, für die es eine neue Therapieoption gibt, ist die hereditäre Transthyretin-vermittelte (hATTR)-Amyloidose. Das ist eine erbliche, beeinträchtigende und in der Regel tödlich verlaufende Krankheit, die durch Mutationen im für Transthyretin (TTR) codierenden Gen verursacht wird. Abnorme Amyloid-Proteine lagern sich dann ab und schädigen dadurch Gewebe und Körperorgane wie peripheren Nerven und Herz. Dies verursacht zum Beispiel Neuropathien und/oder Kardiomyopathie.
Vutrisiran (Amvuttra®, Alnylam) ist zugelassen für erwachsene Patienten mit Polyneuropathie der Stadien 1 und 2. Es ist wie das seit einigen Jahren verfügbare Patisiran (Onpattro®) ein sogenanntes RNA-i-Therapeutikum. Es schaltet die Boten-RNA (mRNA) für TTR stumm und blockiert damit dessen Synthese im Körper. Während Patisiran intravenös alle drei Wochen appliziert wird, sind im Falle von Vutrisiran subkutane Gaben alle drei Monate möglich. Die empfohlene Dosis von Amvuttra beträgt jeweils 25 mg. Die Gabe erfolgt durch medizinisches Fachpersonal. Wenn die Fertigspritze gekühlt gelagert wurde, sollte vor der Anwendung etwa 30 Minuten gewartet werden, bis das Medikament Raumtemperatur angenommen hat. Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen von Vutrisiran sind Arthralgie und Schmerzen in den Extremitäten.
Eine Behandlung mit Amvuttra reduziert den Vitamin-A-Spiegel im Serum. Allen Patienten wird in der Fachinformation daher zu einer Ergänzung von Vitamin A in einer Dosis von etwa 2500 bis 3000 Internationalen Einheiten pro Tag geraten.
Der Vitamin-A-Spiegel hat auch hinsichtlich einer möglichen Schwangerschaft Relevanz: Sowohl zu hohe als auch zu niedrige Vitamin-A-Spiegel können mit einem erhöhten Risiko für fetale Fehlbildungen in Zusammenhang stehen. Aus diesem Grund muss eine Schwangerschaft vor der Einleitung der Therapie ausgeschlossen werden und Frauen im gebärfähigen Alter müssen eine zuverlässige Methode zur Empfängnisverhütung anwenden. Aufgrund des potenziellen teratogenen Risikos durch einen unausgeglichenen Vitamin-A-Spiegel sollte Amvuttra während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. In der Stillzeit ist zu entscheiden, ob auf das Stillen oder die Behandlung mit Vutrisiran verzichtet wird.