Eine Vakzine geht immer |
Derzeit wird hierzulande mit vier verschiedenen Vakzinen gegen Covid-19 geimpft, die fünfte hat vor Weihnachten ihre Zulassung bekommen und wird vermutlich ab Februar im Einsatz sein. / Foto: Getty Images/Andriy Onufriyenko
Seit ihrer Zulassung hat man zur Wirksamkeit, Sicherheit und Immunologie der Covid-19-Vakzinen viel dazugelernt, sagte Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor der Pharmazeutischen Zeitung, anlässlich der digitalen Fortbildungsveranstaltung pharmacon@home, bei der er einen Überblick über die Corona-Impfstoffe gab. Vor etwa einem Jahr sorgten etwa vereinzelt aufgetretene Anaphylaxien sowohl infolge der mRNA- als auch der Vektorimpfstoffe für große Verunsicherung bei Allergikern hinsichtlich der Frage, sich überhaupt impfen lassen zu können. Mittlerweile weiß man, mit dieser sehr seltenen Nebenwirkung umzugehen – auch weil man den Urheber der allergischen Reaktion gefunden hat, erklärte Dingermann in der anschließenden Diskussion.
Die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty® (Biontech/Pfizer) und Spikevax® (Moderna) enthalten mRNA in Lipidnanopartikeln, welche stellenweise mit dem potenziellen Allergen Polyethylenglykol (PEG) vernetzt sind. Bei den beiden Vektorimpfstoffen Vaxzevria® (Astra-Zeneca) und Covid-19 Vaccine Janssen (Johnson & Johnson) sowie bei dem demnächst verfügbaren proteinbasierten Impfstoff Nuvaxovid® (Novavax) sind vor allem die enthaltenen Polysorbate allergieauslösend.
Die Praxis lehrte im vergangenen Jahr, dass sogenannte Ausweichimpfungen möglich sind. Will heißen: Im Falle einer Allergie gegen Bestandteile eines bestimmten Präparates kann unter Berücksichtigung von Kreuzallergien auf einen anderen Impfstoff ausgewichen werden. Das bedeute laut Dingermann, dass Personen mit nachgewiesener PEG-Allergie mit einem Vektorimpfstoff und Personen mit Polysorbat-Allergie mit einem mRNA-Impfstoff geimpft werden können. Eine Kreuzreaktion, die zwischen PEG und Polysorbaten möglich wäre, trete so gut wie nie auf. Der Ärzteverband deutscher Allergologen empfiehlt, in unklaren Fällen oder bei einer schweren IgE-vermittelten allergischen Reaktion oder einer Anaphylaxie in der Vergangenheit rechtzeitig vor dem Impftermin eine adäquate Allergiediagnostik in einem Allergiezentrum machen zu lassen.
Eine echte Kontraindikation gebe laut des Referenten für die allerwenigsten Allergiker oder anderweitig Erkrankte. Denn chronische Erkrankungen sind größtenteils gerade keine Kontraindikationen, sondern Indikationen fürs Impfen, da die betroffenen Patienten ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf haben, stellte Dingermann klar. Generell haben sich alle zugelassenen Präparate als sehr sicher erweisen. Allerdings wurden auch Nebenwirkungen erkannt, die Konsequenzen für die Anwendung hatten. Stichpunkt Hirnvenenthrombosen: Diese speziellen Thrombosen in Verbindung mit einer Thrombozytopenie können bei den Vektorimpfstoffen von Astra-Zeneca und Janssen meist innerhalb von zwei Wochen nach der ersten Impfdosis, aber insgesamt sehr selten (1 bis 2 Fälle pro 100.000 Impfungen) auftreten. Besonders Frauen unter 60 Jahren waren betroffenen. Diese Komplikation führte dazu, dass die Ständige Impfkommission (STIKO) die beiden vektorbasierten Vakzinen in der Regel nur noch für Menschen ab 60 Jahre empfiehlt (siehe Tabelle).
Personengruppe (Jahre) | Grundimmunisierung1. Impfstoffdosis | Grundimmunisierung2. Impfstoffdosis | Impfabstandzwischen 1. und 2. Dosis (Wochen) | Auffrischimpfung3. Impfstoffdosis (in der Regel 3 Monate nach 2. Dosis) |
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Nur mRNA-Impfung | ||||
5 bis 11 | Comirnaty (10 µg) | Comirnaty (10 µg) | 3 bis 6 | – |
12 bis 17 | Comirnaty (30 µg) | Comirnaty (30 µg) | 3 bis 6 | Comirnaty (30 µg) |
18 bis 29 | Comirnaty (30 µg) | Comirnaty (30 µg) | 3 bis 6 | Comirnaty (30 µg) |
30 bis 59 | Comirnaty (30 µg)Spikevax (100 µg) | Comirnaty (30 µg)Spikevax (100 µg) | 3 bis 6 | Comirnaty (30 µg)Spikevax (50 µg) |
Schwangere jeden Alters | Comirnaty (30 µg) | Comirnaty (30 µg) | 3 bis 6 | Comirnaty (30 µg) |
mRNA-Impfung oder heterologes Impfschema | ||||
ab 60 | Comirnaty (30 µg)Spikevax (100 µg) | Comirnaty (30 µg)Spikevax (100 µg) | 4 bis 6 | Comirnaty (30 µg)Spikevax (50 µg) |
ab 60 | Vektorimpfstoff (Vaxzevria oder Covid-19 Vaccine Janssen) | Comirnaty (30 µg)Spikevax (100 µg) | ab 4 | Comirnaty (30 µg)Spikevax (50 µg) |
andere Situationen | ||||
Personen, die einen in der EU nicht zugelassenen Impfstoff erhalten haben | erneute Impfserie mit einem in der EU zugelassenen Impfstoff | ab 4 | Comirnaty (ab 18 Jahre)Spikevax (50 µg) (ab 30 Jahre) |
Stichpunkt Myo- und Perikarditiden als seltene Nebenwirkung im Zusammenhang mit einer mRNA-Vakzine: Analysen von Meldedaten zeigen, dass diese Komplikationen verstärkt bei jungen Menschen bis 30 Jahre auftreten. Nach Impfungen mit Spikevax sind sie häufiger als nach Comirnaty. Daher empfiehlt die STIKO derzeit, junge Menschen unter 30 Jahren ausschließlich mit der Vakzine von Biontech/Pfizer zu immunisieren. Für Menschen ab 30 Jahre besteht für beide mRNA-Impfstoffe kein erhöhtes Risiko für eine Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündung.
Was ist vom Totimpfstoff zu erwarten, der kurz vor der Markteinführung steht? Nuvaxovid von Novavax hat kurz vor Weihnachten als fünfte Vakzine seine EU-Zulassung bekommen und wird aller Voraussicht nach ab Februar in Deutschland lieferbar sein. Im Gegensatz zu den bisherigen neuartigen mRNA- und Vektor-Technologien ist Nuvaxovid ein proteinbasierter Impfstoff und damit ein klassischer Totimpfstoff, erklärte der Referent.
Anders als die anderen Vakzinen induziert Nuvaxovid neben der Antikörperantwort bei den T-Zellen nur eine CD4-, aber keine CD8-Antwort. Doch da die mutationsreiche Omikron-Variante des Coronavirus unseren Immunschutz recht gut unterlaufen kann, könnte sich genau dies als nachteilig erweisen. »Denn während alle anderen vier zugelassenen Impfstoffe noch einen akzeptablen Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen durch die T-Zell-Immunität bieten, die vor allem durch die CD8-Zellen erwirkt wird, liegt ein solcher Schutz nach einer Impfung mit Nuvaxovid vermutlich nicht vor«, sagte Dingermann. Eine Boosterung – für die die neue Vakzine gar nicht zugelassen ist – würde insofern gar nichts bringen. Die dritte Impfung mit einer mRNA-Vakzine hebe dagegen die Spiegel der neutralisierenden Antikörper wieder deutlich an.
An angepassten Omikron-Impfstoffen wird laut Dingermann gearbeitet. Sechs Impfstoff-Anpassungen und zwölf Neuentwicklungen gegen die derzeit vorherrschende Corona-Variante seien in Arbeit. Während bei Letzteren frühestens im September 2022 mit Zulassungen zu rechnen sein wird, funktionierten Anpassungen deutlich schneller. »Vielleicht können wir jetzt im Februar oder März schon mit einem angepassten Omikron-Impfstoff rechnen.« Dann sei es vermutlich sinnvoll, dass sich alle Geimpften noch einmal impfen lassen – wahrscheinlich nach Prioritätskriterien wie zu Beginn der Impfkampagne. Eine vierte Impfung mit den bestehenden Vakzinen habe keinen Sinn.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.