Einkaufen ohne Reizüberflutung |
Der Einkauf im Supermarkt ist selten entspannt, besonders zur Rush-Hour. / Foto: Getty Images/Tom Werner
Gedimmtes Licht, leise Kassen und eine friedlichere Atmosphäre sollen Autisten und sensiblen Menschen einen entspannteren Einkauf ermöglichen – auch in der wuseligen Adventszeit. »Stille Stunde« heißt das Konzept, das aus Neuseeland stammt und in immer mehr Supermärkten in Deutschland praktiziert wird.
»Das grelle Licht in Supermärkten empfinden die Menschen im Autismus-Spektrum oft als schmerzhaft in den Augen«, sagt Katrin Zorn, Vorsitzende des Autismus-Netzwerks in Konstanz. »Geräusche werden zum Teil viel stärker wahrgenommen.« Das Reduzierte bei der »stillen Stunde« mache vieles leichter. Einkaufen sei eine wichtige Alltagskompetenz für Autisten, weil es ein selbstständiges Leben bedeute.
Immer mehr Märkte in Deutschland gehen mit »stillen Stunden» auf die Bedürfnisse der autistischen und sensibleren Kundschaft ein. Die Initiativen sind bundesweit verstreut, flächendeckend ist das Angebot noch nicht. Von Rewe etwa hieß es, dass man großes Verständnis für Kunden habe, die es etwas leiser haben wollen. »Daher kann in jedem Markt die Lautstärke der Musik individuell geregelt werden, ohne dass man auf bestimmte Einkaufszeiten festgelegt ist«, so ein Sprecher. Das Kassensignal könne nicht in der Lautstärke geregelt werden. Auch andere Ketten zeigten sich etwas zurückhaltend.
»Die Nachfrage und der Zuspruch der Kundschaft werden darüber entscheiden, ob sich ein solches Angebot bundesweit durchsetzen wird«, erklärt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland. Das Feedback sei bisher gut, deshalb sei das Angebot gewachsen.
»Es funktioniert nicht über Zwang«, sagt Fabian Diekmann vom Verband Autismus Deutschland. Die Initiative müsse von den Supermärkten selbst kommen. »Immer mehr Märkte beteiligen sich.« Wie viele es bundesweit genau sind, weiß der Verband nicht. Angebote wie die »stille Stunden« gebe es mal regelmäßig, mal zu bestimmten Anlässen.
Gerade in der Vorweihnachtszeit sei das Shoppen besonders stressig. Überall sei es voller und lauter als sonst. Die Lichter zu dimmen und die Musik abzustellen, koste die Supermärkte nichts. Es helfe aber Menschen. »So leicht kriegt man selten Punkte auf dem Karma-Konto.« Die Möglichkeit, einkaufen gehen zu können, ohne Angst vor Reizüberflutung haben zu müssen, sei besonders wichtig für autistische Menschen. »Sie laufen sonst Gefahr, in die Isolation und Einsamkeit abzudriften.«
Autismus ist laut Verband eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung. Eine Statistik über die Häufigkeit in Deutschland gibt es nicht. Man gehe aber davon aus, dass zwischen 600.000 und 800.000 Menschen betroffen seien, erklärt Diekmann. »Nicht alle sind diagnostiziert.«