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Kinder und Übergewicht

Einmal dick, immer (wieder) dick?

Es ist besonders für Kinder und Jugendliche fatal, wenn sie zu viel wiegen. Auch, weil sich die in der frühen Kindheit entstandenen Fettzellen (Adipozyten) mit Abnehmversuchen epigenetisch verändern. Ein Grund, warum Menschen nach erfolgreichem Abnehmen oft immer wieder stark zunehmen. Wie können Eltern verhindern, dass ihre Kinder lebenslang mit dieser Last zu kämpfen haben? Das fragte PTA-Forum den Ernährungs-Doc Matthias Riedl.
Isabel Weinert
02.07.2025  08:00 Uhr

PTA-Forum: Wann gilt ein Kind als übergewichtig?

Riedl: Eltern können dazu in den Perzentilenkurven für den Body Mass Index im Kindes- und Jugendalter nachschauen, wo ihr Kind mit seinem Gewicht in seinem Alter einzuordnen ist. Diese Kurven findet man zum Beispiel in den Leitlinien der Deutschen Adipositas Gesellschaft. 

PTA-Forum: Gibt es Zahlen, die verdeutlichen, dass Kinder mit Übergewicht auch eher zu Erwachsenen mit Übergewicht heranwachsen?

Riedl: Ja, es ist tatsächlich so, dass von denjenigen Menschen mit einer »schlanken Kindheit« nur etwa zehn von 100 später zu viel wiegen, während 75 Menschen von 100, die als Kind zu viel gewogen haben, auch als Erwachsene mit Übergewicht zu kämpfen haben.

PTA-Forum: Wann entstehen und wachsen Fettzellen?

Riedl: Fettgewebe entsteht bereits im Mutterleib, erst sind das nur die braunen Fettzellen, dann entwickelt sich auch das weiße Fettgewebe. Dieses weiße Fettgewebe, beziehungsweise die Fettzellen oder Adipozyten, aus denen es besteht, vermehrt sich bis zur Pubertät. Dabei ist es allerdings entscheidend, welchen Einflüssen dieses Fettgewebe unterliegt. Faktoren, die bei Kindern und Erwachsenen Übergewicht bedingen – neben genetischen Faktoren sind das vor allem Überernährung und auch Bewegungsmangel – bringen Fettgewebe dazu, sich stärker zu vermehren, als das bei Kindern der Fall ist, die normal gesund essen. Das heißt, von Kindheit an vermehren sich die Fettzellen bei Kindern mit Übergewicht deutlich stärker als bei schlanken Kindern. Nach der Pubertät vermehren sich Fettzellen nicht mehr, sondern bei Menschen, die zu viel essen, füllen sie sich stark. Kinder mit Übergewicht haben also mit einer schweren Hypothek zu kämpfen: Weil sie mehr Fettzellen haben, können sich auch mehr Fettzellen stark füllen, wenn die Kinder erwachsen sind. Sie nehmen deshalb leichter an Gewicht zu und müssen sich stärker anstrengen, um schlank zu bleiben als Menschen, die noch nie zu viele Kilos mit sich herumgetragen haben.

PTA-Forum: Wie gelingt es, Übergewicht in der Kindheit vorzubeugen?

Riedl: Dabei spielen die Eltern eine entscheidende Rolle, deren Vorbild und Lebensgewohnheiten, aber auch die Einrichtungen, die das Kind besucht, also Kindergarten und Schule. Ein »gewichtsgesunder« Tag für ein Kind sieht etwa so aus: Das Kind steht auf und bekommt ein gesundes Frühstück, das auch noch lange satthält, also nicht das berühmte Toastbrot mit Honig, am besten auch nicht industriell gefertigte Cerealien, sondern zum Beispiel ein Müsli aus naturbelassenen Haferflocken, Banane, Apfel und Rosinen mit Milch und Naturjoghurt. Möglich ist auch ein Omelette mit Vollkornbrot, wenn das Kind das mag. Frühstückt das Kind in Kindergarten oder Schule, sollte die Verpflegung dort natürlich nach gesundheitlichen Aspekten ausgerichtet sein. Bereiten die Eltern die Mahlzeit für die Schule, können sie sich zahlreiche Ideen für gesunde Snacks oder für ein zweites Frühstück auch aus dem Internet holen.

Auch das Mittagessen als zweite Hauptmahlzeit setzt sich aus gesunden Lebensmitteln zusammen, also einer guten Proteinquelle wie Linsen, Tofu, Fisch, Fleisch oder Quark, einer Kohlenhydratquelle, am besten auf Vollkornbasis, wie Vollkornnnudeln oder Vollkornreis, aber auch Hirse, und gesunden Fetten, am besten aus hochwertigen Ölen wie Oliven- oder Rapsöl – und selbstverständlich Gemüse und Salat. Wer ans fertige Essen immer noch einen kleinen Schuss Leinöl gibt, tut seinem Kind zusätzlich Gutes.

Für den kleinen oder großen Hunger zwischendurch eignen sich Obst, Gemüseschnitze mit Joghurtdip oder auch ein Vollkornbrot mit einem Gemüseaufstrich.

Das Abendessen ist in vielen Familien mittlerweile die warme Mahlzeit. Dann gilt, was unter Mittagessen steht. Bleibt die Küche kalt, macht Abwechslung das Abendbrot interessant. Buntes Gemüse, vielleicht auch zwei Sorten Vollkornbrot, Dips, Oliven, Avocado – hier sind der Fantasie für ein gesundes Abendbrot kaum Grenzen gesetzt.

PTA-Forum: Welche Rolle spielen die Getränke?

Riedl: Getränke sind mitentscheidend für Normal- oder Übergewicht. Im Grunde genügt Wasser. Das kann man auch gut aromatisieren, jetzt im Sommer zum Beispiel mit Melonenstückchen und ganzjährig mit Zitrone. Tees sind auch eine Alternative, im Sommer als kalte Variante köstlich. Eistees, Softdrinks aller Art und Obstsäfte sollten aber am besten gar nicht eingekauft werden. Das würde deutlich auch Erwachsenen helfen, schlank zu bleiben. Denn flüssige Kalorien sind die größten Dickmacher. Wenn Eltern davon konsumieren, ist zu befürchten, dass auch Kinder nicht einsehen, warum es für sie »nur« Wasser gibt.

PTA-Forum: Warum sind die ersten 1000 Tage so bedeutsam und ab wann wird gezählt?

Riedl: In den ersten 1000 Tagen bilden sich Geschmacksvorlieben maßgeblich aus und hier beeinflussen die Essgewohnheiten der Mutter bereits das Kind im Mutterleib. Man zählt dabei die Schwangerschaft und die ersten beiden Lebensjahre. In diesen 1000 Tagen sollte zumindest in der Schwangerschaft die Mutter und später das Kind soweit es irgend geht, keinen Zucker oder gezuckerte Lebensmittel essen. Denn das Kind entwickelt schon in dieser Zeit dann wahrscheinlicher eine Vorliebe für den Geschmack »süß«.

PTA-Forum: Wie sollten Eltern vorgehen, wenn ein Kind Übergewicht entwickelt oder schon entwickelt hat?

Riedl: Was dem Kind hilft, hängt auch von dem Ausmaß des Übergewichts ab. Bei starkem Übergewicht können Eltern alleine nichts oder nur wenig ausrichten. Um diese überschüssigen und gesundheitsschädlichen Fettdepots möglichst dauerhaft loszuwerden, braucht das Kind professionelle Hilfe, am besten in einer darauf spezialisierten Einrichtung.

Wenn das Kind nur mit wenigen Kilos in die Richtung Übergewicht tendiert, dann können Eltern sehr viel ausrichten, indem sie ihre Ernährung und die des Kindes wie oben beschrieben umstellen und für sich selbst sowie für das Kind für ausreichend Bewegung sorgen. Das Übergewicht des Kindes anzugehen, kann auf diese Weise für die gesamte Familie zum Gewinn werden hin zu mehr Lebensqualität und Gesundheit.

Eltern dürfen das Abnehmen allerdings nie zum dominierenden Thema machen, denn das kann das Kind direkt in eine schwerwiegende Essstörung führen. Wer sich hier unsicher ist, holt sich am besten professionellen Rat ein.

PTA-Forum: Welche Rolle spielt Bewegung?

Riedl: Sich gerne bewegen, das ist ein natürlicher Impuls der meisten Kinder. Leider gibt es heute Faktoren, die das unterdrücken. Dazu gehören Smartphones, Computer und die Beschäftigung mit allem, was das Netz bietet. Dadurch sitzen Kinder zu viel, statt sich mit Freundinnen und Freunden draußen zu verabreden, wo man sich naturgemäß eher bewegt. Zudem neigen Eltern mitunter dazu, den Bewegungsdrang ihres Kindes als »unnormal« zu empfinden und zu reglementieren. Dabei sollten sie diesen Drang begrüßen. Denn Bewegung in der Kindheit lässt das Herz auch im Erwachsenenalter noch einen starken Muskel sein, die Knochen profitieren lebenslang, sie bleiben stabiler und die verbrauchte Energie kombiniert mit gesundem Essen verhindert Übergewicht. Eine gute Muskulatur durch vielfältige Bewegung verbraucht außerdem zusätzlich Energie, stützt den Haltungsapparat und beugt so unter anderem Rückenschmerzen vor.

PTA-Forum: Was die Ernährung angeht, klingt das alles sehr vernünftig – doch das bei all den Verlockungen, die die Lebensmittelindustrie bietet. Wie können Eltern für ihre Kinder damit umgehen?

Riedl: Das ist tatsächlich nicht ganz einfach, zumal viele Eltern auch gar keine Zeit haben, mit ihren Kindern gute Ernährung zu üben, indem sie sie zum Beispiel regelmäßig beim Kochen einbeziehen. Es gibt aber süße Alternativen, die man gerade kleineren Kindern gut anbieten kann. Dazu gehört zu allererst Obst. Übergewichtige Kinder dürfen das aber auch nicht in großen Mengen essen, weil es dann wieder eine weitere Gewichtszunahme fördert. Einige Nusssorten schmecken auch leicht süßlich. Dazu gehören Mandeln und Cashewkerne. Beide sind zudem sehr gesund. Wenn Schokolade, dann am besten dunklere, und wenn einen heißen Kakao, dann einen selbst gemachten aus Backkakao. Ganz ohne industrielle Süßigkeiten wird es spätestens ab dem Kindergarten aber nicht gehen. Das ist auch in Ordnung, denn verbieten Eltern alle Süßigkeiten, sind Kinder oft umso wilder darauf. Ab und zu Süßigkeiten, das ist also völlig in Ordnung, so wie Kuchen zum Kindergeburtstag oder mal ein Eis. Bei den oft zu Kindergeburtstagen in der Schule verteilten Gummibärchen können Eltern mit den Kindern besprechen, dass sie mehr davon haben, wenn man die nicht alle auf einmal isst, sondern zum Beispiel jeden Tag nach dem Essen zwei oder drei davon.

PTA-Forum: Worin »verstecken« sich Zucker und was ist von Werbeaussagen zu Süßigkeiten zu halten?

Riedl: Zucker steckt leider auch in vielen Nahrungsmitteln, bei denen wir es gar nicht erwarten, etwa in abgepacktem oder auch manch frischem Vollkornbrot als Zuckercouleur, in Pizza, in Fertigsaucen, -suppen, Ketchup, Gewürzgurken, überhaupt in fast allen Fertiggerichten. Das zeigt einmal mehr: Wer sich und seine Kinder gesund ernähren möchte, der kocht am besten selbst, und zwar aus frischen Zutaten.

Den Werbeaussagen der Süßigkeiten-Industrie schenken viele Eltern immer noch Glauben. Angefangen mit der berühmten Schnitte mit viel Milch über die berühmten Zwerge mit viel Frucht hin zu Süßigkeiten, die mit Vitaminen angereichert sind – sie enthalten allesamt in aller Regel reichlich Zucker und dienen keineswegs einer gesunden Ernährung.

PTA-Forum: Vielen Dank für das Gespräch.

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