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Effekt unklar

Einnahme von L-Carnitin selten nötig

Diäthelfer haben derzeit wieder Hochkonjunktur. Als Fettbrenner wird L-Carnitin beworben. Die meisten Menschen haben keinen Nutzen von einer zusätzlichen Aufnahme. PTA-Forum erklärt, was von der Einnahme zu erwarten ist.
Nicole Schuster
17.01.2023  11:30 Uhr

Carnitin gibt es in zwei isomeren Formen. Das biologisch inaktive und nicht in der Natur vorkommende D-Carnitin findet kaum Beachtung. Levocarnitin (L-Carnitin) hingegen fungiert im Energiestoffwechsel als Shuttle für langkettige Fettsäuren und ist dadurch nicht nur für fitnessbegeisterte Menschen interessant. Fettsäuren werden in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen, verbrannt, also oxidiert. Dorthin gelangen sie aber nur, wenn sie an L-Carnitin gebunden sind. Der Mensch kann die Verbindung aus den Aminosäuren Lysin und Methionin in Leber und Niere selbst herstellen. Eine Aufnahme ist über die Nahrung möglich. Bei Omnivoren ist (rotes) Fleisch (lateinisch carnis = Fleisch) die wichtigste Quelle. Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) bieten L-Carnitin in Kapseln, Trinklösungen und Tabletten sowie als Zusatz von Getränken oder Fitnessnahrung wie Riegeln an. In Kombinationsprodukten finden sich neben L-Carnitin Substanzen mit bestätigter Wirkung wie Vitamine, Mineralstoffe oder Omega-3-Fettsäuren. L-Carnitin wird in NEM häufig in den Formen Acetyl-L-Carnitin oder L-Carnitintartrat eingesetzt. D-Carnitin sollte allerdings nicht enthalten sein. Es kann die Wirkung von L-Carnitin hemmen und zu Nebenwirkungen führen.

Einige NEM-Hersteller leiten aus der physiologischen Funktion von L-Carnitin ab, dass es beim Abnehmen helfe. Es gibt jedoch keine Belege dafür, dass mehr L-Carnitin die Energiegewinnung aus Fett beschleunigt.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wies daher 2018 einen entsprechenden Antrag der schweizerischen Firma Lonza ab. Das Unternehmen wollte bestätigt haben, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von L-Carnitin und einem normalen Fettstoffwechsel in der Allgemeinbevölkerung gebe.

Keine kausale Verbindung

Eine in diesem Zusammenhang oft zitierte Studie stammt aus dem Jahre 2002. Damals zeigten Müller et al., dass eine orale L-Carnitin-Supplementierung die Oxidation langkettiger Fettsäuren bei Probanden ohne L-Carnitin-Mangel und ohne verlängerten Fettsäurestoffwechsel erhöhte . In einer anderen Studie prüften Wutzke und Lorenz 2004, ob eine L-Carnitin-Supplementierung die Fettoxidation, den Proteinumsatz, die Körperzusammensetzung und die Gewichtsentwicklung bei leicht übergewichtigen Probanden beeinflussen kann. Bei Probanden in der L-Carnitin-Gruppe stieg die Fettoxidation signifikant an, die Proteinsynthese- und -abbauraten blieben unverändert. Nach Ansicht der EFSA zeigen diese Untersuchungen aber lediglich, dass die zusätzliche Zufuhr von L-Carnitin die Fettoxidationsrate unter bestimmten Bedingungen verändern könne. Sie belegten nicht, dass die Supplementation für einen normalen Fettstoffwechsel erforderlich sei.

Einige Hersteller suggerieren mit ihren Werbeaussagen, dass L-Carnitin bei Sportlern die Glykogenreserven während der körperlichen Aktivität schone. Diese Aussage und weitere Anträge auf Health Claims hatte die EFSA bereits 2011 abgelehnt, da sie die Datenbasis für nicht ausreichend befunden hatte.

Welche Rolle eine L-Carnitin-Supplementierung für die körperliche Aktivität und insbesondere die Muskelleistung spielt, ist bis heute nicht endgültig geklärt. In einem Review aus 2020 untersuchten Gnoni et al. die Hypothese, dass eine Supplementierung mit L-Carnitin die sportliche Leistung verbessere. Die Wissenschaftler schrieben, dass die Einnahme zwar theoretisch den L-Carnitin-Gehalt in den Muskeln erhöhen und damit die Fettsäureoxidation und die körperliche Leistung bei gesunden Menschen verbessern könnte. Der tatsächliche Effekt sei aber noch unklar.

Ebenso ist die Frage, ob Carnitin bei der Gewichtsabnahme helfen könnte, noch nicht abschließend geklärt. Möglicherweise zeigt sich ein Einfluss nur in bestimmten Subgruppen. So stellten Askarpour et al. 2020 im Rahmen einer Meta-Analyse eine signifikante Wirkung einer L-Carnitin-Supplementierung auf Parameter wie das Gewicht, den BMI und die Fettmasse bei fettleibigen und übergewichtigen Erwachsenen fest. Auch in anderer Hinsicht interessieren sich Wissenschaftler für die Aminosäureverbindung. Es gibt unter anderem Hinweise, dass die Aufnahme von L-Carnitin vorteilhaft sein könnte für die Herzgesundheit sowie für Menschen mit Alzheimer, Insulinresistenz, Typ-2-Diabetes oder Fibromyalgie. Als supportive Therapie bei verschiedenen Krebserkrankungen ist L-Carnitin ebenfalls im Gespräch. Die Studienlage ist jedoch dünn und die Ergebnisse sind oft widersprüchlich und uneinheitlich.

Nur teurer Urin?

Aus Mangel an zugelassenen Health Claims vermeiden es viele Hersteller von L-Carnitin-haltigen NEM, der Substanz selbst Wirkungen zuzuschreiben. Stattdessen empfehlen sie ihre Produkte generell Menschen, die abnehmen und ihren Körper straffen wollen oder sich mehr Energie im Alltag wünschen.

Gesundheitsbewusste Menschen mit einer (stark) kalorienreduzierten Ernährung, die regelmäßig intensiv Sport treiben, sehen die Hersteller als prädestiniert für einen Mangel an dem vitaminähnlichen Stoff. Ebenso empfehlen sie das NEM Vegetariern und Veganern sowie Männern, die ihre Fruchtbarkeit optimieren möchten. Die Frage ist allerdings, ob diese mannigfaltige Zielgruppe auch wirklich von der Einnahme profitiert. Eindeutige wissenschaftliche Belege gibt es dafür bislang nicht.

Trotz der schwachen wissenschaftlichen Evidenz wollen einige Verbraucher auf die Mittel vertrauen. Laut den Angaben von NEM-Herstellern sollen sie 1.500 mg bis 3.000 mg L-Carnitin pro Tag einnehmen. Den tatsächlichen Tagesbedarf eines gesunden Menschen kann man aktuell nur schätzen. Bei einem 70 Kilogramm schweren Mann gelten 16 mg pro Tag als Richtwert. Allein mit einer ausgewogenen Ernährung nehmen omnivor essende Menschen zwischen 100 und 300 mg L-Carnitin pro Tag auf. Das liegt bereits weit über dem geschätzten Tagesbedarf. Allerdings ist die Bioverfügbarkeit der Substanz schlecht, so dass nur bis zu 15 Prozent tatsächlich im Köper ankommen. Vegetarier und Veganer nehmen weniger L-Carnitin über die Nahrung auf. Der Körper gleicht bei ihnen die verringerte externe Zufuhr durch die Eigenproduktion aus. Dazu benötigt er als essenzielle Kofaktoren Vitamin C, Vitamin B6, Niacin und Eisen.

Die Muskulatur speichert 20 bis 25 mg L-Carnitin. Was zu viel ist, scheidet der Körper über die Nieren mit dem Urin aus. Bei einer übermäßigen Supplementation können allerdings verstärkte Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden auftreten. Das Umfeld kann sich durch einen fischigen Mund- und Körpergeruch stören. Zu bedenken ist ferner, dass anscheinend einige Darmbakterien L-Carnitin in Trimethylamin-N-oxid (TMAO) umwandeln können. TMAO wird in Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen gebracht und scheint Arteriosklerose zu fördern.

Nicht essenziell

L-Carnitin ist kein essenzieller Nährstoff. Bei der gesunden Bevölkerung einschließlich Sportlern besteht kein Defizit. Sie können die Substanz ausreichend selbst bilden und nehmen sie zusätzlich über (tierische) Lebensmittel, vor allem Rind-, Wild- und Schweinefleisch, sowie einige pflanzliche Quellen wie Pilze auf. Anders sieht es bei Menschen mit bestimmten, seltenen Erkrankungen aus. Bei der Erbkrankheit primäre systemische Carnitin-Defizienz besteht ein chronischer Carnitin-Mangel. Bei den Patienten ist der Transporter, der die Aufnahme von L-Carnitin in die Zellen erleichtert, beeinträchtigt. Es resultiert ein L-Carnitin-Mangel im Serum und in der Herz- und Skelettmuskulatur. Das äußert sich bereits in den ersten Lebensmonaten mit Symptomen wie progressiver Kardiomyopathie, Muskelschwäche, Hypoglykämie, Lebervergrößerung, einem krankhaft erhöhten Ammoniumgehalt im Blut (Hyperammonämie) und nervösen Störungen wie Reizbarkeit. Die Therapie besteht in einer lebenslangen oralen L-Carnitin-Supplementierung, um den Stoffwechsel der langkettigen Fettsäuren zu normalisieren. Alternativ zur oralen Zufuhr stehen rezeptpflichtige Arzneimittel mit L-Carnitin für die parenterale Anwendung zur Verfügung.

Bei Dialyse

Eine weitere Patientengruppe, an die bei L-Carnitin zu denken ist, sind dialysepflichtige Nierenkranke. Bei der Hämodialyse kann ein sekundärer L-Carnitin-Mangel entstehen, da die wasserlösliche Substanz aus dem Blut entfernt wird. Bei stark erniedrigten L-Carnitin-Werten ermüden die Muskeln schneller und bei körperlicher Anstrengung können Krämpfe entstehen. Um die Nebenwirkungen der Dialyse abzumindern, kann die Gabe von L-Carnitin sinnvoll sein.

Menschen, die Valproinsäure einnehmen, können einen iatrogenen L-Carnitin-Mangel entwickeln. Das Antiepileptikum reduziert zum einem die Bildung von L-Carnitin und zum anderen die Rückresorption in der Niere, die normalerweise bei über 95 Prozent liegt. Bei Betroffenen ist dadurch die Fettsäureoxidation gehemmt. Nach Absprache mit dem behandelnden Arzt kann eine Supplementation hilfreich sein. Als supportive Maßnahme kommt L-Carnitin ferner bei einer Valproinsäure-Intoxikation zum Einsatz.

Bei der gesunden Bevölkerung sind früh- und termingeborene Säuglinge eine Risikogruppe für ein Defizit. Sie haben noch nicht ausreichend gefüllte L-Carnitin-Speicher, aber wegen ihres schnellen Wachstums einen hohen Bedarf. Ein Mindestgehalt an L-Carnitin in Säuglingsanfangsnahrung ist daher vorgeschrieben. Es ist nicht auszuschließen, dass Veganer, die Leistungssport betreiben, ebenfalls schlecht versorgt sind. Sie können mit ihrem Arzt sprechen, ob eine Blutuntersuchung angezeigt ist. Der Normwert für L-Carnitin im Serum liegt je nach Messmethode im Bereich zwischen 25,0-54,0 µmol/l.

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