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Mythen auf der Spur

Entzieht uns Zucker Nährstoffe und Vitamine?

Zucker ist beliebt, liefert aber weder Nährstoffe noch Vitamine. Ein Übermaß hat erwiesenermaßen Folgen für die Gesundheit, doch kann er dem Körper wirklich Nährstoffe und Vitamine entziehen?
Carina Steyer
01.02.2024  08:30 Uhr

Zucker zählt nicht zu den Grundnahrungsmitteln. Er wird vom menschlichen Körper auch nicht benötigt, um »schneller zu denken« oder »in Schwung« zu kommen. Zucker ist vielmehr ein Genussmittel, das aus ernährungswissenschaftlicher Sicht nur selten konsumiert werden sollte.

Trotz dieses Wissens neigen Menschen dazu, bevorzugt und reichlich süße Lebensmittel zu sich zu nehmen. Für den Einzelnen ist das oft ärgerlich, evolutionsbiologisch betrachtet aber ein ganz normales Verhalten. Denn gelangen süße Lebensmittel in den Verdauungstrakt, werden Belohnungszentren im Gehirn aktiv. Dopamin wird ausgeschüttet und es stellt sich ein Zufriedenheitsgefühl ein. Schon die Möglichkeit des Konsums lässt das Gehirn euphorisch reagieren.

Die psychologischen und körperlichen Auswirkungen von Zucker auf den Menschen machen ihn zum interessanten Forschungsobjekt, rücken ihn aber auch immer wieder in den Mittelpunkt von Mythen, Vereinfachungen und nicht korrekten Schlussfolgerungen. Zurückzuführen sind viele von ihnen auf Studien, die aus einer Zeit stammen, in der die Stoffwechselvorgänge im Körper noch nicht gut erforscht und die Methoden weniger präzise waren als heute. Einige leiten sich auch aus Lehren der Alternativmedizin ab.

So wird dem Zucker gerne nachgesagt, er würde das Immunsystem schwächen und die Infektanfälligkeit erhöhen. Wissenschaftliche Daten dazu fehlen jedoch völlig. Auch die Behauptung, ein hoher Zuckerkonsum würde die »Knochen aufweichen«, konnte wissenschaftlichen Untersuchungen nicht standhalten. Zucker hat keinen nachgewiesenen störenden Einfluss auf die Resorption von Calcium. Milchzucker, Mannose und Xylose unterstützen die Resorption von Calcium allerdings.

Mangel unwahrscheinlich

Die Aufnahme von Magnesium kann durch Kohlenhydrate theoretisch negativ beeinflusst werden. Allerdings gilt das auch für Fett, Zink oder Phytate. Studien, in denen die Auswirkungen von zugesetztem Zucker auf die Aufnahme von Magnesium untersucht wurden, konnten zeigen, dass der Durchschnittswert von Magnesium im Plasma sowohl bei der geringsten als auch bei der höchsten Zuckerzufuhrmenge im Referenzbereich liegt. Ernährungswissenschaftler gehen deshalb derzeit davon aus, dass Zucker nicht pauschal die Aufnahme von Magnesium beeinträchtigt. 

Chrom spielt eine Rolle im Kohlenhydratstoffwechsel, da es über die Aktivierung des Enzyms Phosphoglucomutase die Insulinwirkung verstärkt. Bei einem hohen Verzehr einfacher Zucker ist die Chromausscheidung erhöht. Allerdings ruft dies nicht zwangsläufig eine Nährstoffunterversorgung oder einen Nährstoffmangel hervor. 

Kupfer wird als Bestandteil von Enzymen im Eisenstoffwechsel benötigt. In Tierversuchen mit Ratten konnte gezeigt werden, dass ein hoher Zuckerkonsum zu einer verringerten Bioverfügbarkeit von Kupfer führt und die Merkmale eines Kupfermangels verstärkt. Untersuchungen an Menschen bestätigten dieses Ergebnis nicht. 

Mythos B1-Räuber

Weit verbreitet ist auch die Annahme, dass dem Körper durch den Verzehr von Zucker Vitamine entzogen werden. Dieser Mythos bezieht sich auf Vitamin B1 (Thiamin) und geht ebenfalls auf falsche Schlussfolgerungen aus Tierversuchen mit Ratten in den 1920er-Jahren zurück. Die Nager erhielten damals ein thiaminfreies Futter und Kohlenhydrate als Energiequelle. Im Vergleich zu Artgenossen, die ein thiamin- und kohlenhydratfreies Futter bekamen, zeigten sie früher Anzeichen eines Vitamin-B1-Mangels. Da Vitamin B1 als Coenzym bei der Energiegewinnung aus Kohlenhydraten mitwirkt, gingen die Wissenschaftler davon aus, dass der Abbau von Zucker eine so erhebliche Menge an Vitamin B1 erfordert, dass daraus ein Mangel resultiert.

Richtig ist jedoch: Der Organismus benötigt zum Zuckerabbau Vitamin B1 als Coenzym in Form von Thiaminpyrophosphat. Vitamin B1 wird dabei nicht verbraucht, sondern nach Ablauf der enzymatischen Reaktion regeneriert. Dasselbe Coenzym wird zudem für weitere Stoffwechselreaktionen von anderen Nährstoffen benötigt.

Auch in Studien mit Menschen konnte der Mythos vom B1-Räuber widerlegt werden. So konnte in einer Studie mit englischen Schulkindern kein Unterschied in den Vitaminkonzentrationen im Blut von Kindern und Jugendlichen mit hohem beziehungsweise niedrigem Zuckerverzehr nachgewiesen werden. Da Kinder und Jugendliche in der Regel einen deutlich höheren Zuckerkonsum aufweisen als Erwachsene, ist ein entsprechender Mangel bei Erwachsenen noch unwahrscheinlicher. Zudem weiß man heute, dass ein Vitamin-B1-Mangel unter hierzulande üblichen Ernährungsbedingungen eher selten und in der Regel Folge von Leber- oder Darmfunktionsstörungen beziehungsweise eines chronischen Alkoholmissbrauchs ist.

Kein Freibrief

Dennoch gilt: Auch wenn viele alte Mythen vom Vitamin- und Nährstoffraub durch Zucker widerlegt werden konnten, ist das kein Freibrief für einen übertriebenen Zuckerverzehr. Durch einen hohen Zuckerkonsum sinkt die Qualität der Ernährung. Und das hat zumindest indirekt wieder Auswirkungen auf den Vitamin- und Nährstoffhaushalt, wie Wissenschaftler der Universität Lund in Schweden zeigen konnten.

Die Forscher werteten die Daten von mehr als 14.000 Erwachsenen aus, die mithilfe von Ernährungstagebüchern, Fragebögen und Interviews Angaben zu ihrem Zuckerkonsum gemacht hatten. Dabei zeigte sich, je höher der Zuckerkonsum, umso geringer ist die tägliche Aufnahme von Calcium, Eisen, Magnesium, Kalium, Selen, Vitamin C und D sowie Zink. Vermutlich ersetzt der Griff zur Süßigkeit oder zum zuckerhaltigen Getränk schlichtweg den Griff zum nährstoffreicheren Obst oder Gemüse, mutmaßen die Forscher.

Klar belegt ist auch, dass ein hoher und häufiger Konsum von Zucker jeglicher Form eine Ursache für Karies ist. Darüber hinaus gibt es etliche weitere Zusammenhänge zwischen einer hohen Zuckeraufnahme und gesundheitlichen Problemen, die inzwischen sogar für einzelne Zuckerformen und Lebensmittelgruppen nachgewiesen werden konnten.

So deuten Studien darauf hin, dass ein hoher Konsum von zugesetzten und freien Zuckern die Entstehung von Adipositas, Lebererkrankungen, Typ-2-Diabetes sowie einen hohen Cholesterinspiegel und Bluthochdruck fördert. Ein hoher Fruktosekonsum steht im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gicht. Der häufige Genuss zuckerhaltiger Getränke steht in Verbindung mit Adipositas, Lebererkrankung, Typ-2-Diabetes, einem hohen Cholesterinspiegel, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gicht und Bluthochdruck.

Im Rahmen einer Schwangerschaft begünstigt das Trinken zuckerhaltiger Getränke die Entwicklung eines Schwangerschaftsdiabetes und einer Mangelgeburt. Fruchtsäfte und Fruchtnektare wiederum sind mit Adipositas, Typ-2-Diabetes und Gicht assoziiert. 

So wenig wie möglich

Bleibt nur noch die Frage, ab wann ist der Zuckerkonsum zu hoch? Diese Frage ist trotz umfangreicher Forschungsbestrebungen bisher nicht eindeutig geklärt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kommt nach der Auswertung von mehr als 30.000 Studien in ihrer Anfang 2022 veröffentlichten Sicherheitsbewertung »Zucker in der Nahrung und mögliche Gesundheitsprobleme« zu dem Schluss, dass die derzeitige Studienlage es nicht zulassen würde, einen klaren Grenzwert zu definieren. Somit gilt laut EFSA weiterhin die allgemeine Empfehlung: so wenig wie möglich.

Etwas konkreter wird es im gemeinsamen Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) und der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Hier wird eine maximale Zufuhr freier Zucker von weniger als 10 Prozent der täglichen Gesamtenergiezufuhr empfohlen. Bei einer Gesamtenergiezufuhr von 2000 kcal/Tag entspricht das einer maximalen Zufuhr von 50 g freien Zuckern pro Tag. 

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