Ernährungstipps für ADHS-Betroffene |
Nährstoffreiche Nahrungsmittel wie Gemüse mit seinen vielen sekundären Pflanzeninhaltsstoffen fördern von klein auf das psychische Wohlbefinden. / Foto: Adobe Stock/Andrii Zastrozhnov
Ist die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) aufgrund fachärztlicher Tests erhoben, fußt ein individueller Behandlungsplan neben Medikamenten, Psycho- und Sozialtherapie auf Ernährung und Bewegung. Dieses Maßnahmenpaket sollte nicht nur für, sondern auch mit dem Kind geschnürt werden; ADHS-Kinder sind oft besonders sensibel, intelligent und kreativ.
In puncto Ernährung ist es daher recht gut möglich, sie für schrittweise Veränderungen zu gewinnen und für nährstoffreiche Lebensmittel zu begeistern. Schon Kleinere werden gerne in Einkauf und Zubereitung einer ausgewogenen Ernährung einbezogen. Dieser kommt Untersuchungen zufolge eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung sozial-kognitiver Fähigkeiten in der Wachstumsphase zu.
Handwerkszeug für den gesunden Genuss von täglich drei Haupt- und maximal zwei Zwischenmahlzeiten bildet beispielsweise die Ernährungspyramide des Bundeszentrums für Ernährung (BZfE). Tipp: Viel Freude macht dem Nachwuchs dabei, das Essen mit der eigenen Hand abzumessen: kleine Kinder – kleine Hände – kleine Portionen.
Weil Wasser unerlässlich für Leistungsfähigkeit und Konzentration ist, steht es gleich an der Pyramidenbasis. Auch die Formel »Gemüse und Obst – nimm 5 am Tag« als eine der 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) kann Kindern leicht vermittelt werden. Während beim Gemüse gilt – mit Rücksicht auf regionale und saisonale Herkunft –, aus der bunten Sortenvielfalt zu wählen, sollten Eltern beim Obst den Kleinen möglichst zuckerarme Sorten wie Zitrusfrüchte und Beeren schmackhaft machen.
Süße Früchte, beispielsweise Bananen und Trauben, führen wie auch Weißmehlprodukte und Naschereien zu Blutzucker- und Insulinspitzen mit anschließenden Heißhungerattacken. Daraus resultieren Unruhe und Stoffwechselunregelmäßigkeiten im Gehirn. Viel besser: Ohne diese Auswirkungen stillt zum Beispiel ein Fruchtquark mit Nüssen als Abschluss des Mittagessens den Süßhunger. Ab dem Spätnachmittag sollte eine starke Insulinausschüttung vermieden werden, um vor dem Schlafengehen die Hormone Serotonin und Melatonin nicht auszubremsen, die über Nacht für Ruhe und Regeneration des Nervensystems gebraucht werden.
PTA können Eltern dafür sensibilisieren, sich über die glykämische Last verschiedener Speisen zu informieren. So können diese ihre Kinder über die negativen Auswirkungen von zuckerreichem Essen aufklären. Kompromisse schließen statt Verbote aussprechen lautet die Devise, also beispielsweise einen Riegel Bitterschokolade statt Milchschokolade erlauben.
Sättigungsbeilagen wie Vollkornprodukte und Kartoffeln sorgen als Powertreibstoffe dafür, dass kognitive Leistungen rund laufen. Durch ihren Faseranteil halten sie den Blutzuckerspiegel konstant und dienen wie Ballaststoffe aus Gemüse und Obst dem Darmmikrobiom als Futter.
Mit dem Tellerprinzip des BZfE können schon Jüngere ihre Mahlzeiten quantitativ ausgewogen zusammenstellen: die Hälfte des Tellers wird mit Gemüse oder Salat gefüllt, ein Viertel nehmen Getreide oder Kartoffeln ein, während das letzte Viertel für gesunde Eiweißquellen reserviert ist.
Die darin enthaltenen Aminosäuren haben im Organismus vielfältige Aufgaben, im Gehirn werden sie als Grundbausteine für Botenstoffe gebraucht. Phenylalanin beziehungsweise Tyrosin wird für die Synthese der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin benötigt, deren Stoffwechsel bei ADHS aus dem Takt gerät. So kommt es zu Störungen in der Signalweiterleitung, in deren Folge das Zusammenspiel des Aufmerksamkeits- und Motivationssystems beeinträchtigt ist. Serotonin wiederum, das für Gedächtnisleistung, Motivation und positive Stimmung verantwortlich zeichnet, ist auf Nahrungstryptophan angewiesen, welches als essenzielle Aminosäure vom Körper nicht selbst gebildet wird.
Tierisches Protein hat eine hohe biologische Wertigkeit, ähnelt also im Aufbau dem menschlichen Eiweiß. Pflanzliche Eiweißquellen wie Hülsenfrüchte, Nüsse oder Getreide eignen sich durch geschickte Kombinationen ebenso gut zur Bedarfsdeckung und liefern dazu Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe.
Auch Eier sind bei ADHS empfehlenswert. Dürfen Freilandhennen Leinsamen picken und saftige Kräuter fressen, so ist ihr Ei reich an wertvollen Omega-3-Fettsäuren. Enthaltenes Cholin ist für die Synthese des Neurotransmitters Acetylcholin notwendig, das neben anderen Körperfunktionen Lern- und Gedächtnisprozesse steuert. Phosphatidylcholin (Lecithin) wiederum ist ein wichtiger Baustein für Hirn und Nerven und trägt zu deren gesunder Entwicklung bei. Zwei Portionen Quark oder Joghurt sowie eine Portion Käse gehören täglich auf den Speiseplan.
Mageres Fleisch wird vom BZfE zwei- bis dreimal, Fisch ein- bis zweimal wöchentlich empfohlen, wobei eine Portion etwa so groß wie der eigene Handteller sein soll. Weidetiere und Kaltwasserfische aus Wildfang liefern dabei gesunde Fettsäuren. Besonders mehrfach ungesättigte, essenzielle Omega-3-Fettsäuren spielen eine wichtige Rolle in der Gehirnentwicklung und -leistung. Dazu trägt auch die tägliche Verwendung von Lein- und Rapsöl wesentlich bei. Auf Omega-6-reiches Sonnenblumenöl sollte verzichtet werden. Ideale Snacks sind Walnüsse, Mandeln oder Oliven.
Eine Supplementierung mit Eicosapentaensäure (EPA) kann die ADHS-Symptomatik verbessern, sollte aber nur mit ärztlicher Empfehlung erfolgen.
Fähigkeiten als auch das bei ADHS-Betroffenen oft veränderte Darmmikrobiom positiv beeinflussen. Davon profitiert die sogenannte Darm-Hirn-Achse.
Eine mediterrane Ernährung versorgt den Organismus neben gesunden Makro- auch mit ausreichend Mikronährstoffen. Das ist nicht unerheblich, da ein Mangel – wie neuere Ergebnisse bestätigen –, die geistige Entwicklung beeinträchtigen kann. Neben B-Vitaminen kommen vor allem Eisen, Jod, Zink, Magnesium und Selen eine tragende Rolle zu. Nahrungsergänzungsmittel oder Probiotika sollten jedoch nur nach Rücksprache mit dem behandelnden Therapeuten eingenommen werden.
Für eine ausreichende Produktion von Vitamin D wird viel Bewegung im Freien empfohlen. Sportarten, die Eigeninitiative und Selbstkontrolle erfordern, wie Trampolinspringen oder Klettern, sind bei ADHS zumeist besser geeignet als solche, die das Einhalten vieler Regeln erfordern. Yoga und Meditation helfen Betroffenen, Stress und Aufmerksamkeit zu regulieren.
Ein nährstoff-, überwiegend eiweißreiches Frühstück hält lange satt und verbessert Leistungsfähigkeit sowie Aufmerksamkeitsspanne hyperaktiver Kinder. In einer Studie fielen etwa Kinder, die ohne Frühstück zur Schule gingen, durch schlechte Merkfähigkeit und mangelnde Konzentration auf.
Ist eine Medikation mit Methylphenidat erforderlich, erfolgt die Einnahme in der Regel morgens, eventuell zusätzlich mittags. Eine sehr häufige Nebenwirkung ist Appetitmangel, weshalb Betroffene zu Mittag oft kaum etwas essen, dafür aber von Heißhungerattacken am Spätnachmittag heimgesucht werden. Eine feste Mahlzeitenstruktur mit fünf kleinen, leicht verdaulichen Mahlzeiten hilft über diese Hürden hinweg, hält den Blutzuckerspiegel stabil und beugt ungewolltem Gewichtsverlust vor.
In Süßigkeiten oder Kinderlebensmitteln sind zusätzlich zum hohen Zuckeranteil oft künstliche Farbstoffe enthalten. Beides kann Hyperaktivität verstärken, vor allem in Kombination mit dem Konservierungsmittel Natriumbenzoat (E211). Seit 2010 müssen Lebensmittel in der EU mit dem Hinweis »Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen« gekennzeichnet sein, wenn sie die Azofarbstoffe Tartrazin (E102), Gelborange S (E110), Azurubin (E122), Cochenillerot A (E124), Allurarot AC (E129) sowie den Farbstoff Chinolingelb (E104) enthalten.
Verbraucherzentralen fordern ein Verbot der genannten Farbstoffe, da sich Kinder Süßigkeiten oft selbst kaufen und ihnen Buntes besonders verlockend erscheint. Eltern sollten die Zutatenlisten besonders gründlich auf diese Begriffe beziehungsweise E-Nummern hin studieren und außerdem auf zugesetzte Konservierungs- und Süßungsmittel achten.
Auch Lebensmittel, die gehärtete Fette enthalten, sind nicht empfehlenswert. Immer wieder zeigen Studien, dass darin enthaltene Transfettsäuren die Gedächtnisleistung verschlechtern. Wurst sollte wegen vieler gesättigter Fettsäuren und Zusatzstoffe nur selten verzehrt werden.
Ein Team der Universität Bayreuth stellte am Tiermodell fest, dass die Weichmacher Bisphenol A und S, die in Kunststoffverpackungen oder Trinkflaschen verwendet werden, gravierende Auswirkungen auf lebenswichtige Hirnfunktionen haben. Ähnliche Auswirkungen werden auch beim Menschen vermutet. Der Rat kann deshalb nur lauten: Lebensmittel besser unverpackt kaufen oder zu Hause umfüllen.
Das Umweltbundesamt wiederum weist auf die Neurotoxizität von Pestiziden und Schwermetallen im Fisch hin. Und regelmäßig aufgenommenes Aluminium kann sich laut Bundesamt für Risikobewertung unter anderem im Gehirn anreichern. Deshalb auf Alufolie und -grillschalen oder häufigen Verzehr von Laugengebäck verzichten.
Für eine gute Nährstoffversorgung ist ein gesunder Dünndarm entscheidend. Dessen Resorptionsfähigkeit kann durch Allergien beeinträchtigt sein. Erhöhte Mastzell- beziehungsweise Immunglobulinkonzentrationen im Gehirn tragen zu Verhaltensstörungen und Lerndefiziten bei.
Kommt es daher nach längerer, konsequenter Ernährungsumstellung zu keiner Besserung oder besteht der Verdacht, dass bestimmte Lebensmittel ADHS-Symptome triggern, geben Labortests Aufschluss über Nahrungsmittelintoleranzen. Auch ein »Ess-Hyperaktivitätsprotokoll« kann helfen. Während eigenständiges Weglassen von Lebensmitteln nicht zu empfehlen ist, werden mit Unterstützung einer Ernährungsfachkraft individuelle Unverträglichkeiten ermittelt und eine vorübergehende Eliminationsdiät durchgeführt. Bleibt die Suche nach den Auslösern erfolglos, ist die sogenannte oligoantigene Diät eine Option.
Über vier Wochen sind dabei nur Lebensmittel mit geringem allergenen Potenzial erlaubt: die meisten Gemüse- und Obstsorten, glutenfreies Getreide und Kartoffeln, Lammfleisch, Geflügel, Reisdrink oder Kokosmilch, Oliven- und Rapsöl. Auf alle möglicherweise problematischen Lebensmittel wird verzichtet:
Sinnvoll ist, in diesem Zeitraum die Ernährung für alle Familienmitglieder umzustellen. Das vermeidet Ausgrenzung und der Aufwand bleibt überschaubar.
Kommt es während der Auslassphase zu einem Rückgang der Symptomatik um mehr als 40 Prozent – was in einer Studie der Kinder- und Jugendpsychiatrie Freiburg bei zwei Dritteln der Teilnehmenden beobachtet wurde –, schließt sich eine zwölfwöchige Wiedereinführungsphase an. Schrittweise werden die Kinder wieder mit den früher üblichen Lebensmitteln konfrontiert und Reaktionen protokolliert. Abschluss bildet dann eine maßgeschneiderte Ernährungsempfehlung. In die Freiburger Studie eingebundene Kinder erfuhren nicht nur Lob ihrer Lehrer und Trainer für Verhalten und Aufmerksamkeit. Sie merkten auch selbst, wenn sie etwas gegessen hatten, das ihnen nicht guttat.