Erreger mit Haftkraft |
Barbara Döring |
10.05.2024 15:00 Uhr |
Ein spezielles Haftprinzip scheint maßgeblich für die Pathogenität von Candida auris zu sein. / Foto: Adobe Stock/Dr_Microbe
Die Welt der Mikroorganismen bringt immer wieder neue Überraschungen hervor. Darunter leider auch unangenehme, wenn es um die Gesundheit geht: So wurde in Japan im Jahr 2009 ein bis dato unbekannter Hefepilz entdeckt, der sich im Gehörgang einer 70-jährigen Patientin angesiedelt hatte. Nach seinem Fundort erhielt er den Namen Candida auris (lateinisch auris = Ohr).
Der Pilz, der auch andere Körperregionen befallen kann, hat sich seitdem weltweit ausgebreitet. In den USA, wo Candida auris erstmals 2016 nachgewiesen wurde, war die Zahl der Fälle von 330 im Jahr 2018 auf 1471 im Jahr 2021 rasant gestiegen. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde bewertete die Ausbreitung des Erregers aus verschiedenen Gründen als alarmierend: Der Pilz ist multiresistent, er breitet sich leicht von Mensch zu Mensch aus und er kann schwere Infektionen verursachen, die nicht selten tödlich enden.
In Europa gab es von 2013 bis 2021 rund 1800 gemeldete Candida-auris-Infektionen, die meisten in Spanien, Italien und Großbritannien. Bei der Mehrheit der Patienten waren die Pilzbesiedelungen harmlos, bei einem Viertel kam es jedoch zu Blutvergiftungen oder anderen bedrohlichen Infektionen. In Deutschland wurde der Hefepilz erstmalig im Jahr 2015 nachgewiesen. Bislang sind hierzulande weniger als 50 Candida-auris-Fälle bekannt. Dabei hatten knapp 42 Prozent der Patienten den Pilz vermutlich von Reisen in Risikogebiete mitgebracht. Nur in einem Fall war der Pilz im Krankenhaus von Mensch zu Mensch übertragen worden.
Candida auris besiedelt Haut und Schleimhäute, neben den Ohren zum Beispiel auch Hände, Nase, Achseln, Leisten, Rachen und Wunden sowie den Darm, die Atemwege und die Harnwege. Eine Infektion stellt vor allem für immungeschwächte Patienten, bei schweren Vorerkrankungen oder chronischen Erkrankungen eine Gefahr dar. Auch wenn sich die Zahl der Fälle bislang im Rahmen hält, betrachten Experten die Ausbreitung als besorgniserregend. Denn gelangt der Pilz in die Blutbahn, verläuft die Infektion in 30 bis 60 Prozent der Fälle tödlich.
Zur Behandlung stehen nur wenige Antimykotika zur Verfügung. Die Resistenzrate gegenüber Fluconazol liegt bereits über 80 Prozent. Auch auf die als Erstlinientherapie empfohlene Wirkstoffklasse der Echinocandine spricht die Infektion oft nicht mehr an. Solche bei Bakterien bekannte Multiresistenzen sind für Pilze eher ungewöhnlich. Experten raten deshalb zu erhöhter Aufmerksamkeit, betonen jedoch auch, dass der Pilz für gesunde Menschen keine Gefahr darstellt.
Neben der Ausbildung der Multiresistenz zeigt der Hefepilz eine weitere Besonderheit: Während es sich bei anderen Candida-Erkrankungen um endogene Infektionen handelt, bei denen der Erreger aus der körpereigenen Flora stammt, wird Candida auris per Schmierinfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Der Pilz kann sich lange Zeit auf der Haut halten, ohne Beschwerden zu verursachen, und dann unbemerkt weitergegeben werden. Auch kontaminierte Oberflächen etwa von medizinischen Geräten wie Katheter oder Prothesen stellen eine Gefahr dar, da der Pilz darauf mehr als zwei Wochen überleben kann. Das erklärt, warum sich viele der Infektionen in Krankenhäusern, also nosokomial (griechisch Nosokomeion = Krankenhaus) ereignet haben.
Der bislang größte Ausbruch fand in einem Londoner Krankenhaus statt, wo sich innerhalb von 16 Monaten 50 Patienten infizierten. Eine Infektion in Deutschland ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Hierzulande müssten Patienten keine Angst haben, sich im Krankenhaus zu infizieren, wurde im letzten Jahr Dr. Alexander-Maximilian Aldejohann, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Institut für Hygiene und Mikrobiologie an der Universität Würzburg, in einer Pressemitteilung des Instituts zitiert. Auch im privaten Bereich ist die Gefahr einer Ansteckung gering. Dafür müsste ein sehr enger körperlicher Kontakt bestehen. Eine Übertragung zwischen bekleideten Personen ist unwahrscheinlich. Auch eine Ansteckung über die Luft wie bei Erkältungsviren scheint ausgeschlossen.
Da Candida auris in Deutschland insgesamt selten ist, empfehlen Experten hierzulande neben den gängigen Hygienemaßnahmen keine spezifischen Prophylaxe-Maßnahmen für medizinische und pflegerische Einrichtungen. Bei einer Infektion mit dem Hefepilz sollten Patienten isoliert werden. Da es Hinweise auf eine erhöhte Resistenz gegen Desinfektionsmittel wie quartäre Ammoniumverbindungen gibt, sollte nach Entlassung eines Patienten das Zimmer mit einem levuroziden Mittel gegen Sprosspilze, zum Beispiel auf H2O2-Basis, desinfiziert werden.
Um die Entwicklung der Candida-auris-Infektionen im Blick zu behalten, ist es seit 2023 in Deutschland meldepflichtig, wenn Candida auris in primär sterilen Proben wie Blut nachgewiesen wird. Es ist hierzulande die erste Meldepflicht für eine Pilzinfektion. Sie besteht jedoch nicht beim Nachweis in Abstrichen von Nase, Rachen, Haut oder Wunden. Bislang gibt es noch keine Impfungen gegen Pilzinfektionen. Vielversprechend sind präklinische Ergebnisse US-amerikanischer Forscher zur Impfprävention gegen mehrere pathogene Pilze, die sie im vergangenen Jahr vorstellten.
Neue Ansätze für Therapien könnten sich auch aus den Ergebnissen von Forschenden der University of Michigan ergeben. Sie haben kürzlich herausgefunden, wie es Candida auris gelingt, so erfolgreich auf Oberflächen zu haften: Der Pilz verfügt über ein bislang unbekanntes Adhäsionsprotein, das sogenannte Kation-π-Bindungen ausbildet. Ähnliche Haftprinzipien sind von Muscheln und Seepocken bekannt. Dieses Haftprotein scheint für die Gefährlichkeit von Candida auris maßgeblich zu sein. Mutanten ohne das spezielle Adhäsionsprotein waren deutlich weniger schädlich. Jeder kann zudem mit einem gesunden Lebensstil und der Einhaltung von Hygienestandards selbst dazu beitragen, das Risiko für eine Pilzinfektion gering zu halten. Da Candida-Pilze bevorzugt immungeschwächte Menschen befallen, zum Beispiel bei einem schweren Atemwegsinfekt, schützen auch die empfohlenen Impfungen gegen Grippe und Covid-19 indirekt vor der Mykose.