Erst planen, dann herstellen |
Juliane Brüggen |
05.07.2023 08:30 Uhr |
Die Herstellung ist im automatischen Rührsystem möglich. / Foto: Getty Images/Westend61
»Erst planen, dann herstellen«, empfahl Potschadel. Herstellungstechnik und Haltbarkeit sollten sich nicht nur an der Grundlage, sondern auch am Wirkstoff orientieren, denn: »Die Wirkstoffeigenschaften bestimmen die Qualität.« Im 2. ZL-Ringversuch 2023 dreht sich alles um Harnstoff, die folgende Rezeptur ist herzustellen:
»Was ich grundsätzlich als ersten Schritt empfehlen würde, ist in das NRF online zu schauen«, sagte Potschadel. Es lohne sich, einen Blick in den Rezepturenfinder und die Rezepturhinweise zu werfen. Und tatsächlich: Die herzustellende Rezeptur ist hier gelistet und mit einem grünen Punkt klassifiziert. Das bedeutet, dass es sich um eine standardisierte oder geprüfte Rezepturformel handelt. »Das funktioniert wie eine Ampel – rot, gelb, grün. Grün ist ein ziemlicher Freifahrtschein«, erklärte Potschadel. Auch eine Aufbrauchfrist ist angegeben, ermittelt von der Firma Ichthyol, Hersteller der Grundlage. Sie soll für diese Rezeptur 12 Wochen betragen. Ansonsten würden sich für Unguentum Cordes bei einem Wasseranteil von 20–30 Prozent vier Wochen Haltbarkeit ergeben (unkonserviert).
Anmeldeschluss: 1. Oktober 2023
Prüfzeitraum: 1. April bis 30. November 2023
»Es entsteht am Ende eine Lösungscreme, weil der Harnstoff sich in dem enthaltenen Wasser lösen kann«, erklärte Potschadel. Harnstoff ist sehr leicht in Wasser löslich, braucht aber etwas Zeit. Die Lösung wird dabei kalt. Hilft also Erwärmen, um den Vorgang zu beschleunigen? Laut Potschadel ein No-Go, weil sich der Arzneistoff dadurch zersetzt. Temperatur ist auch bei der Lagerung ein Knackpunkt, die Creme darf auf keinen Fall in den Kühlschrank, weil Harnstoff dann auskristallisieren kann.
Für die Herstellung relevant ist außerdem, dass Harnstoff sich leicht zersetzt: »Das riecht man auch, es entsteht Ammoniak.« Das pH-Optimum liegt bei 6,2, der rezeptierbare pH-Bereich ist aber breit – je nach Quelle von 1 bis 12 oder von 4 bis 8. »Ich sollte mich im Optimum aufhalten, außerhalb beschleunige ich die Zersetzung«, so Potschadel. Das entstehende Ammoniak ziehe den pH-Bereich ins Basische, was im Prinzip nicht störe, aber andere Bestandteile wie Konservierungsstoffe beeinträchtigen könne.
Da Harnstoff nicht ausreichend antimikrobiell wirkt, stellt sich die Frage nach einer Konservierung. Potschadel nannte Propylenglykol oder einen leicht sauren pH-Wert als Möglichkeiten. Letzteres komme dem pH-Optimum entgegen und lasse es gegebenenfalls auch zu, auf eine Pufferung zu verzichten. Denn: »Eine wässrige 2%ige Harnstofflösung ist laut Studien bei pH 6 fünf Monate stabil.« Da nur eine kleine Menge Harnstoff enthalten sei und die Haltbarkeit beschränkt, könne dies eine Option sein.
Das in der Rezeptur enthaltene Glycerol kann entweder als Hilfsstoff oder als Wirkstoff gelten, denn es hat selbst einen Effekt. Zum einen fördert der Zuckeralkohol die Hornhautregeneration und zum anderen bindet er ab einer Konzentration von fünf Prozent Wasser im Stratum corneum. Dass Glycerol mit Wasser mischbar ist, kommt der Herstellung zugute. Die therapeutische Konzentration liegt bei Erwachsenen im Bereich von 5–15 Prozent, in der Pädiatrie bei 5–10 Prozent. Der rezeptierbare pH-Bereich ist im NRF mit 1 bis 9 angegeben. Ein antimikrobieller Schutz ist erst ab einer Konzentration von 40 Prozent bei einem pH-Wert ≤ 4,5 zu erwarten.
Unguentum Cordes® ist eine industrielle Grundlage der Ichthyol-Gesellschaft. »Alle Studien sind von der Firma durchgeführt«, gab Potschadel zu bedenken – das heißt: »Kritisch prüfen und auf Aktualität achten«. Es handelt sich um eine nichtionische, ambiphile Salbengrundlage, die Emulgatoren enthält. Der pH-Wert liegt etwa bei 6, was zum pH-Optimum von Harnstoff passt.
Je nachdem, wie viel Wasser die herstellende Person einarbeitet, entsteht eine W/O-Creme (bis 30 Prozent Wasser) oder eine O/W-Creme (etwa 50–60 Prozent). Dass Wasser und Glycerol leicht eingearbeitet werden können, liegt an den enthaltenen Emulgatoren, unter anderem Macrogolstearat 400. Zu beachten ist laut Potschadel: »Immer, wenn Macrogol enthalten ist, verträgt es sich nicht mit Phenolen. Man kann eine nichtionische Grundlage aber mit Kationen kombinieren.«
Eine Konservierung sei nicht unbedingt erforderlich, wenn wenig Wasser enthalten ist und die Wassertropfen in der inneren Phase sind. Bei der Harnstoff-Rezeptur ist dies der Fall: Der Wasseranteil ist gering, es entsteht eine W/O-Creme.
Die Frage, ob es einer Pufferung oder Konservierung bedarf, beantwortete Potschadel abschließend so: »Ich würde in diesem speziellen Fall ohne Konservierung arbeiten und die kürzere Haltbarkeit von vier Wochen verwenden.« Falls doch konserviert werden soll, eigne sich zum Beispiel Kaliumsorbat bei einem entsprechenden pH-Wert.
Auf einen Lactatpuffer könne bei der kurzen Haltbarkeit ebenfalls verzichtet werden, da keine baseempfindlichen Zusätze vorhanden sind. »Meine Entscheidung: Ich habe eine geringe Menge, eine kurze Haltbarkeit von vier Wochen festgelegt, ich arbeite ohne Konservierung. Der pH-Wert der Rezeptur ist per se von Haus aus ziemlich perfekt. Also verzichte ich auf den Puffer.«
Laut Potschadel ist sowohl die automatische als auch die manuelle Herstellung möglich. Wird per Hand hergestellt, lautet die klassische Empfehlung, den Harnstoff bei Raumtemperatur in einem Becherglas zu lösen. Die Grundlage wird in eine Edelstahl- oder Glasschale eingewogen, danach das Glycerol zugewogen und schließlich die Harnstofflösung eingearbeitet.
Ein separates Becherglas für den Lösevorgang zu verwenden, sah die Apothekerin kritisch, da Reste der Wirkstofflösung im Glas verbleiben könnten: »Lieber direkt einwiegen und vorsichtig arbeiten«. Andernfalls sollte ein möglichst kleines Becherglas gewählt und ein Teil des Wassers zum Spülen zurückgehalten werden, was bei der kleinen Menge natürlich schwierig ist.
Für die automatische Herstellung der Rezeptur gibt es verschiedene Anweisungen. Wichtig ist laut Potschadel, die wirkstoffabhängigen und gerätespezifischen Rührparameter zu verwenden und einen Zwischenschritt einzuplanen: Warten, damit der Harnstoff sich lösen kann. »Und dann mit dem Ohr am Gerät kleben. Wenn Harnstoff nicht gelöst ist, knirscht es. Das ist hörbar. Solange es knirscht, kann die Rezeptur nicht fertig sein.« Damit hat man auch schon eine Inprozesskontrolle: kein Knirschen.
Die Firma Ichthyol empfiehlt bei der automatischen Herstellung das Sandwichverfahren in folgender Reihenfolge: Grundlage – Harnstoff – Grundlage – Flüssigkeiten. Welches Rührsystem die Firma verwendet hat, ist allerdings nicht ersichtlich. Der Hersteller des Rührsystems Topitec® hat eine eigene Anweisung zum Ringversuch erstellt. Der Harnstoff soll hierbei zunächst in der Kruke in Wasser gelöst werden, dann werden Glycerol und Grundlage vorsichtig hinzugegeben. Auch für das Rührsystem Unguator® existieren Tipps zum Ringversuch, die Firma empfiehlt eine »völlig andere Reihenfolge«: Grundlage – Harnstoff – Wasser – Glycerol. Potschadel wies darauf hin, dass die herstellerspezifischen Anweisungen zum Ringversuch nach ihren Informationen nicht unabhängig geprüft wurden.
»Verschiedene Geräte, verschiedene Herstellungstechniken. Es gibt nicht die eine Wahrheit«, meinte die Apothekerin. Was zählt, ist das Ergebnis. Es sei vollkommen legitim, den Ringversuch zu nutzen, um eine eigene Herstellungstechnik zu prüfen.