Es geht auch ohne Abi |
Isabel Weinert |
09.07.2021 09:00 Uhr |
Das Pharmaziestudium ist hart, ob mit oder ohne Abitur. / Foto: Adobe Stock / Inara Prusakova
Als Simon Schuff vor 15 Jahren nach seiner mittleren Reife eine PTA-Ausbildung beginnt und nach zweieinhalb Jahren erfolgreich abschließt, liegt der Gedanke an ein Pharmaziestudium ohne Abitur nicht in seinem Vorstellungsbereich. Nicht, weil er sich das nicht zugetraut hätte, sondern weil es zum damaligen Zeitpunkt noch weniger bekannt war als heute, dass Studieren nicht nur mit Abitur in Frage kommt. Er hatte schlichtweg noch nie etwas von dieser Möglichkeit gehört.
Zudem füllt ihn die Arbeit als PTA aus, er mag den Beruf, vor allem »das Handwerkliche«, die Arbeit im Labor. Sein Interesse zeigt sich auch in den zahlreichen Fortbildungen, die er besucht, Pharmazie könnte man als seine berufliche Leidenschaft bezeichnen.
Das sehen auch Kollegen so, die Schuff von Zeit zu Zeit fragen, warum er nicht noch ein Studium draufsetzt. Auf diese Weise nimmt der Gedanke Gestalt an, Schuff beginnt sich zu informieren. »Das war damals noch schwieriger als heute, es gab keine Seite im Internet, die ausführlich über das Thema berichtet hätte.« Das hat sich geändert: Menschen, die ihren Realschulabschluss und eine Ausbildung in der Tasche haben, finden auf den Seiten des »CHE gemeinnütziges Centrum für Hochschulentwicklung« detaillierte Angaben zu den in Frage kommenden Studienfächern – darunter auch Pharmazie. Viele sind es bis heute nicht, die dieses Studienfach wählen, ohne das Abitur gemacht zu haben. Im Jahr 2016 begannen gerade einmal 34 Menschen von insgesamt 13.132 Studienanfängern im Fach Pharmazie auf diese Weise mit dem Studium.
Der Weg dorthin fordert Einsatz von Seiten der PTA, die sich dafür interessieren. Schuff erfuhr von einem Förderprogramm der sbb, der »Stiftung Begabtenförderung und berufliche Bildung«. Der Lüdenscheider bewarb sich sowohl bei der sbb als auch an der Universität Marburg, denn in Hessen brauchte man nur drei Jahre Berufserfahrung, um diesen Weg zu beschreiten, in Nordrhein-Westfalen hingegen fünf Jahre. »Ich hatte gerade die drei Jahre voll und wollte keine weiteren zwei Jahre mehr warten«, erklärt Schuff seine Entscheidung.
Er kam in ein Auswahlverfahren bei der sbb. Auf eine erste Absage folgte doch noch eine Zusage – die Stiftung hatte unerwartet Fördergelder übrig. Der Weg zur Zulassungsprüfung an der Uni Marburg war frei. »Diese Prüfungen liefen ab morgens acht Uhr, vier Stunden schriftlich und eine halbe Stunde mündlich«, so Schuff. Der PTA hatte sich intensiv darauf vorbereitet und dennoch: »Abgefragt wurden im Rückblick Teile aus dem gesamten Grundstudium«. Am Ende dieser Prüfungen blieben von fünf Prüflingen ein bis zwei übrig, darunter Schuff, er hatte das Verfahren gut gemeistert. Es folgte kurzentschlossen der Abschied aus Lüdenscheid und Umzug nach Marburg. Dann begann das Studium.
»Der Start war nicht einfach, denn wenn man erst einmal drei Jahre lang aus dem Lernen raus ist, dann muss man da wieder reinkommen, das ganze strukturieren und die Konzentration für längere Schriftstücke aufbringen«, schildert Schuff seine Erfahrungen. Auch im weiteren Verlauf gab es Momente, in denen er an seinem eingeschlagenen Weg zweifelte, aber »letztlich hatte ich den Ehrgeiz, mich auf das Ziel zu fokussieren, und meine Familie und Freunde standen hinter mir und ermunterten mich, das durchzuziehen.« Das Zweifeln zwischendurch kennen allerdings auch viele Pharmaziestudierende mit Abitur. »Es ist einfach eine Herausforderung«, so Schuff. Im Jahr 2019 absolvierte er sein drittes Staatsexamen, sieben Monate später übernahm er eine Apotheke in Mainz.
Ist er ein besserer Chef, weil er auch die Seite der PTA sehr gut kennt? »Ich bemühe mich, aber das hat nichts mit meiner Ausbildung zu tun«, so der Pharmazeut. Diese bedinge allerdings seine hohen Ansprüche, wie und wie schnell etwas im Labor zu erfolgen habe. »PTA haben gegenüber Apothekern, die direkt aus dem Studium kommen, klar den Hut auf, wenn es um Rezepturen geht. Das ist auch bei mir so. Ich kenne mich damit einfach sehr gut aus und habe deshalb Erwartungen, wie das vor sich gehen sollte«.
Vermisst er seinen Status als PTA mitunter? »Es hat auf jeden Fall Vorteile, angestellte PTA zu sein. PTA haben meistens mehr direkten Kontakt zu den Kunden als Apothekenleiter, und sie arbeiten viel im Labor beziehungsweise in der Rezeptur«, so Schuff. Dazu komme er selbst nicht mehr ganz so häufig. »PTA ist immer noch ein wunderschöner Beruf«, konstatiert der Apotheker.