Essen nach der inneren Uhr? |
Ein reichliches, gerne auch eiweißhaltiges Frühstück am späteren Morgen scheint das Hungergefühl für den Rest des Tages gut im Zaum zu halten. / © Adobe Stock/istetiana
Manche Menschen haben morgens richtig Hunger und genießen ein ausgiebiges Frühstück. Andere kommen nur schwer in Gang und verzichten gerne. Zu welchem Frühstückstyp ein Mensch gehört, sucht er sich in der Regel nicht selbst aus. Die innere biologische Uhr und der circadiane Rhythmus spielen eine entscheidende Rolle. Letzterer wiederholt sich alle 24 Stunden und wird durch äußere Zeitgeber getaktet, allen voran Licht und Dunkelheit. Die innere Uhr unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, findet sich aber in jeder einzelnen Zelle des Körpers. Da diese unzähligen Miniuhren nicht alle perfekt laufen, werden sie regelmäßig von der »Masterclock« im Hypothalamus synchronisiert und an den circadianen Rhythmus angepasst.
Schon lange besteht die Vermutung, dass circadianer Rhythmus, innere Uhren und die Nahrungsaufnahme eng miteinander verknüpft sein könnten. Denn Forscher wissen, dass der Hypothalamus nicht nur die inneren Uhren, sondern auch die Nahrungsaufnahme beeinflusst, indem er Botenstoffe produziert, die den Appetit anregen oder hemmen. Die inneren Uhren wiederum beeinflussen die Verdauung in Abhängigkeit vom circadianen Rhythmus.
Das System funktioniert auch in die andere Richtung. Veränderte Essenszeiten und eine Nahrungsaufnahme entgegen dem circadianen Rhythmus bringen den Stoffwechsel nicht nur durcheinander, sondern können auch die inneren Uhren verschieben. So wird das Hungergefühl während des Nachtschlafs im Normalfall für etwa sieben bis acht Stunden unterbrochen. Ist man aber nachts auf den Beinen, stellt sich das Hungergefühl trotz der nächtlichen Tageszeit ein. Tierexperimentelle Studien haben gezeigt, dass Mäuse, die genetisch so manipuliert wurden, dass ihren Fettzellen ein spezielles Gen für die innere Uhr fehlte, entgegen ihrem natürlichen Verhalten tagsüber fraßen und dabei trotz gleicher Nahrungsmenge deutlich an Gewicht zunahmen.
Ein Leben gegen die innere Uhr ist anstrengend. Dies spürt man gut bei Flügen über mehrere Zeitzonen hinweg, wenn sich die inneren Uhren verstellen müssen und Jetlag-Beschwerden auftreten. Warum das so ist, wird erkenntlich, wenn man sich bewusst macht, welche physiologischen Parameter durch die inneren Uhren getaktet werden: Körpertemperatur, Stoffwechselvorgänge, Hormonspiegel, Muskeltonus, Anzahl der Leukozyten, Puls und Blutdruck, Reaktionszeit, Stimmungslage und Aufmerksamkeit.
Viele Menschen müssen auch im Alltag regelmäßig gegen ihre inneren Uhren arbeiten. Das bleibt nicht immer folgenlos. Zu den Beschwerden zählen Schlafstörungen, Magen- und Darmerkrankungen, Depressionen, Herz- und Gefäßerkrankungen, Übergewicht und sexuelle Störungen.
Menschen folgen bei ihren Mahlzeiten ganz unterschiedlichen Zeitplänen. Während in einigen Kulturen das Essen am Abend Tradition hat, essen andere überwiegend am Tag. Oft spielt das Wetter hierbei eine entscheidende Rolle. In heißen, feuchten Klimazonen verlagert sich das Leben und Essen automatisch in die kühleren Abend- und Nachtstunden.
Aber auch das moderne Leben folgt immer weniger dem biologischen Rhythmus des Menschen. Beobachtbar ist ein Trend zu unregelmäßigem Essverhalten und eine zunehmende Aufweichung der klassischen Mahlzeitenstruktur in Form von Frühstück, Mittag- und Abendessen. Viele Menschen haben nurmehr Zeit für Snacks zwischendurch, was zur Folge hat, dass eher viele kleine Mahlzeiten über den Tag und mitunter auch in die Nacht hinein verteilt gegessen werden. Immer häufiger lassen Menschen auch Mahlzeiten aus. Neben dem Frühstück betrifft das vor allem das Mittagessen. Eine Studie aus den USA hat gezeigt, dass etwa 60 Prozent der Millennials (geboren zwischen 1980 und 1995) regelmäßig das Mittagessen ausfallen lassen, um weiterzuarbeiten.
Welche Auswirkungen die Tageszeit bei der Nahrungsaufnahme sowie die Häufigkeit der Mahlzeiten auf die menschliche Gesundheit haben, ist das Fachgebiet der Chrononutrition. Vieles deutet derzeit darauf hin, dass vor allem das Frühstück eine wichtige Rolle einnimmt. So steht der Start in den Tag ohne Frühstück in Zusammenhang mit Gewichtszunahme, Übergewicht, psychischen Problemen, einem Anstieg der freien Fettsäuren, des Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegels sowie des Blutzuckerspiegels und der Insulinunempfindlichkeit. In prospektiven Langzeituntersuchungen führte das Auslassen des Frühstücks zu einem Anstieg des Diabetes-, Herzinfarkt- und Schlaganfallrisikos. Im Gegenzug konnten Studien zeigen, dass Menschen, die frühstücken, seltener am metabolischen Syndrom erkranken.
Vermutet wird, dass circadiane Unterschiede im menschlichen Stoffwechsel für diese Effekte verantwortlich sein könnten. So konnten Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) feststellen, dass der Körper am Morgen konsumierte Kohlenhydrate besser verstoffwechseln kann und der Glucosespiegel nach einer Mahlzeit am Nachmittag deutlich höher ansteigt, als wenn die gleiche Mahlzeit am Morgen gegessen wurde. Bei Studienteilnehmern mit Prädiabetes war zudem der Blutzuckerwert am nächsten Tag höher, wenn sie abends viele Kohlenhydrate gegessen hatten.
Zu einem ähnlichen Schluss kamen Wissenschaftler der Universität Lübeck. Sie verglichen die Auswirkungen verschiedener Frühstücks- und Abendessen-Kombinationen auf den Blutzucker- und Insulinspiegel von 16 normalgewichtigen Männern. Im ersten Teil der Untersuchung erhielten die Studienteilnehmer ein niedrigkalorisches Frühstück und ein hochkalorisches Abendessen. Im zweiten Teil wurde die Kombination gedreht, sodass das Frühstück hochkalorisch und das Abendessen niedrigkalorisch ausfiel. In beiden Fällen stiegen Blut- und Insulinspiegel nach dem Frühstück weniger stark an als nach dem Abendessen.
Zusätzlich erfassten die Forscher die postprandiale Thermogenese nach dem Essen, die als Maßeinheit für den Energieverbrauch herangezogen werden kann. Unabhängig davon, ob das Frühstück kalorienarm oder -reich war, fiel die Thermogenese am Morgen höher aus als nach dem Abendessen. Das Ergebnis war auch unabhängig von Art und Menge der Nahrung. Die Forscher schlussfolgerten daraus, dass morgens grundsätzlich mehr Energie verbraucht wird als am Abend und der Körper dabei vermutlich einem circadianen Rhythmus folgt, der unabhängig von der zugeführten Energie verläuft.
Es wird angenommen, dass die circadiane Uhr die Mahlzeiteneinnahme als eigenen Zeitgeber nutzt. Möglich ist auch, dass der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme mithilfe von sogenannten Clock-Genen und Clock-kontrollierten Genen Einfluss auf die Energiebilanz hat. In der Praxis lässt sich beobachten, dass Menschen, die entgegen dem circadianen Rhythmus hauptsächlich in den Abendstunden essen, mit größerer Wahrscheinlichkeit an Gewicht zunehmen und es ihnen schwerer fällt, Gewicht zu verlieren. Eine höhere Kalorienaufnahme am Abend ist zudem mit einem Anstieg des Triglyzeridspiegels und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und das metabolische Syndrom verbunden. Menschen, die im Nachtschichtsystem arbeiten, haben häufiger eine gestörte Insulinempfindlichkeit als Menschen, die ausschließlich tagsüber aktiv sind. Das Diabetesrisiko erhöht sich pro 5 Jahre Schichtarbeit mit Nachdiensten um 5 Prozent.
In Stein gemeißelt sind diese Zusammenhänge jedoch nicht. So veröffentlichte kürzlich ein Team um die Ernährungswissenschaftlerin Alexandra Johnstone von der University of Aberdeen eine Studie, die vor allem die Annahmen vom Einfluss der Tageszeit auf die Energiebilanz infrage stellt. Im Mittelpunkt der Studie standen übergewichtige und adipöse Frauen und Männer, die über einen Zeitraum von acht Wochen hinweg dieselbe Anzahl von Kalorien über exakt abgestimmte Mahlzeiten zu unterschiedlichen Uhrzeiten aufnahmen. Dabei zeigte sich, dass es für den Energiestoffwechsel keinen Unterschied macht, zu welcher Tageszeit der Großteil der täglichen Kalorien konsumiert wird. Sie wurden unabhängig von der Uhrzeit immer gleich genutzt. Zudem konnten die Forscher belegen, dass es während einer Gewichtsabnahme keinen optimalen Zeitpunkt zum Essen gibt. Die Veränderung des Körpergewichts wird ausschließlich durch die Energiebilanz bestimmt.
Allerdings konnten die Wissenschaftler auch beobachten, dass der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme den Appetit und das Hungergefühl verändern. Die Studie deute darauf hin, dass Menschen, die morgens den Hauptteil ihrer täglichen Kalorien aufnehmen, im Tagesverlauf weniger hungrig sind als Menschen, die abends mehr Kalorien zu sich nehmen, erklärt Alexandra Johnstone ihre Ergebnisse in einer Pressemeldung der University of Aberdeen.
Ähnliches stellten auch die Lübecker Forscher fest. Bei ihren Probanden erhöhte das kalorienarme Frühstück im Tagesverlauf das Verlangen nach Süßigkeiten. Eine weitere Studie zeigte, dass Menschen, die nicht frühstücken und einen nachtbetonten Lebensstil aufweisen, mehr als 50 Prozent ihrer Tagesenergie zwischen 19 und 1.30 Uhr zu sich nehmen. Dabei griffen viele der Studienteilnehmer über den gesamten Abend verteilt immer wieder zu kleineren Mahlzeiten. Beobachtet wurde außerdem, dass die Angewohnheit, nicht zu frühstücken, mit unregelmäßigem Bewegungsverhalten und einem höheren Alkoholkonsum verbunden ist.
Zum Teil widersprüchliche Ergebnisse gibt es auch aus Studien, die den Einfluss der Häufigkeit der Nahrungsaufnahme auf das Körpergewicht, die Blutfette, den Glukosestoffwechsel und den Blutdruck sowie auf das Diabetes-, Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko untersucht haben. So wurde beobachtet, dass viele kleine Mahlzeiten bei derselben Energiezufuhr zu einer geringeren Sättigung führen als drei große Mahlzeiten. Das kardiovaskuläre Risiko wiederum nahm in epidemiologischen Studien bei einer höheren Mahlzeitenfrequenz ab.
Studien, die einen Anstieg des Gesamt- und LDL-Cholesterins bei Abnahme der Mahlzeitenfrequenz zeigen, bestätigen dies. Das Risiko eines höheren Cholesterinspiegels scheint mit Abnahme der Mahlzeitenfrequenz kontinuierlich zu steigen. Bei weniger als drei Mahlzeiten pro Tag sind negative Auswirkungen auf die Blutzuckerregulation zu erwarten. Der Blutdruck wird in Mitleidenschaft gezogen, wenn nur eine Mahlzeit pro Tag eingenommen wird.
Längere Essenspausen scheinen allerdings sowohl bei Tieren als auch bei Menschen positive Effekte zu haben. Gewichtsverlust und Verlust von Fettgewebe, niedrigerer Blutdruck, bessere Glucosetoleranz, niedrigere LDL- und Entzündungswerte sowie besserer Schlaf sind einige der bisher beobachteten Faktoren. Die Verkürzung des täglichen Essfensters oder Intervallfasten gelten als vielversprechende Strategien für Stoffwechselkontrolle und Gewichtsmanagement. In Tierstudien hat eine geringere Kalorienzufuhr bei ausgeglichenem Nährstoffangebot einen positiven Einfluss auf die Langlebigkeit der Tiere. Zellen werden resistenter gegen Stress, wenn sie mit weniger Kalorienzufuhr konfrontiert werden.
Zum jetzigen Zeitpunkt fehlt es allerdings noch an Wissen, um praktische Ableitungen für die menschliche Ernährung treffen zu können. Tendenziell empfehlen Ernährungswissenschaftler, das alte Sprichwort zur Planung von Mahlzeiten nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Eine gleichmäßig über den Tag verteilte Energiezufuhr mit einem überwiegenden Anteil beim Frühstück scheint nach jetzigem Wissensstand der menschlichen Gesundheit am zuträglichsten zu sein. Besonders in Hinblick auf das Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen sollte ein unregelmäßiges Essverhalten und das Auslassen ganzer Mahlzeiten vermieden werden.