Fake News entlarven durch Online-Recherche? |
Juliane Brüggen |
22.01.2024 14:00 Uhr |
Bei der Online-Suche ist es wichtig, die richtigen Begriffe zu wählen. / Foto: Adobe Stock/PixieMe
Immer wieder verbreiten sich falsche Informationen, vor allem über soziale Medien. Das ist keine Lappalie: Desinformation kann nicht nur demokratische Strukturen ins Wanken bringen, wie die Studienautoren betonen, – siehe der Sturm auf das Kapitol in Washington (USA) –, sondern auch die Gesundheit treffen. Das zeigte sich eindrücklich während der Covid-19-Pandemie, die von irreführenden Behauptungen über die Impfstoffe geprägt war. Also einfach online recherchieren, ob eine Nachricht stimmt? So einleuchtend diese Strategie erscheinen mag, kann sie den gegenteiligen Effekt haben, wie die Studie zeigt – besonders, wenn es an digitalen Kompetenzen fehlt.
Das Forscherteam aus den USA hat zunächst etwa 3000 Personen gebeten, wahre und falsche Nachrichten der vorhergehenden zwei Tage aus »Mainstream«- und »Low-Quality«-Medien zu bewerten. Eine Hälfte nutzte dazu eine Suchmaschine, die andere Hälfte nicht. Das überraschende Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, eine falsche Nachricht als wahr zu bewerten, lag bei den Teilnehmenden, die online recherchiert hatten, etwa 19 Prozent höher als bei der Vergleichsgruppe. Dieses Muster bestätigte sich in vier Follow-up-Studien – auch dann, wenn die Befragten sich vor der Online-Recherche eine Meinung bilden durften, die Meldungen älter als 48 Stunden waren oder die in den letzten Jahren omnipräsente Covid-19-Pandemie betrafen. Es zeigte sich auch, dass Personen, die sich selbst als wenig digital kompetent eingeschätzt hatten, eher auf fragwürdige Quellen stießen.
Bei einer der Studien verfolgten die Forschenden den genauen Suchverlauf. So konnten sie die verwendeten Suchbegriffe sowie die Top-10-Suchergebnisse einsehen. Dabei fiel auf, dass fast jeder Zehnte exakt die Überschrift oder die URL der zu beurteilenden Nachricht in die Suchmaschine eingab. Keine gute Strategie, warnen die Studienautoren. Denn die Ersteller von Fake News verwenden ihnen zufolge oft spezielle Formulierungen, die – eingegeben in eine Suchmaschine – ähnliche Meldungen hervorbringen. Die Suchenden fallen in ein »Data Void« (übersetzt Datenlücke) – das heißt, sie erhalten nur wenige auf die spezifischen Suchbegriffe zugeschnittene Ergebnisse, die meist ebenfalls aus unzuverlässigen Quellen stammen. Mit diesem Wissen erscheint es nicht mehr paradox, dass Vertreter von Verschwörungsideologien wie QAnon explizit dazu raten, selbst online zu recherchieren.
Befragt zu den Studienergebnissen, gab Dr. Philipp Müller, Akademischer Rat am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim, zu bedenken, dass auch die politische Einstellung der recherchierenden Person die Bewertung einer Nachricht beeinflusst. Die Ergebnistabellen im Anhang der Studie zeigten, dass die Übereinstimmung mit der politischen Botschaft sogar wichtiger war als die Informationssuche selbst, so Müller. »Wenn wir uns also fragen, weshalb fragwürdige Informationsquellen von einer wachsenden Zahl von Menschen genutzt werden, ist die Antwort zunächst: Weil sie ein politisches Angebot machen, nach dem diese Personen suchen«, betont der Experte weiter. »Das eigentliche gesellschaftliche Problem liegt also in einer wachsenden Unzufriedenheit mit der Demokratie und den etablierten politischen Akteuren, nicht in der Informationsverbreitung oder -bewertung.«
Auch trage »eine längere Beschäftigung mit einer Meldung zwangsläufig dazu bei, dass sich deren subjektiv empfundene Glaubwürdigkeit erhöht, einfach dadurch, dass sie uns vertrauter sind als bei einmaligem kurzem Lesen.«
Eine weitgehende Black-Box sind die Algorithmen der Suchmaschinen, die letztendlich über die angezeigten Inhalte entscheiden. Nicht nur die Suchbegriffe entscheiden über die Ergebnisse, sondern auch die Browser-Historie und weitere Faktoren.
»Wenn jemand also bereits minderwertige Quellen besucht hat oder nach ihnen sucht, neigen die Algorithmen dazu, ähnliche Inhalte vorzuschlagen. In diesem Zusammenhang ist vor allem auch die Fähigkeit, ›gute‹ Suchen formulieren zu können, also über effiziente Suchstrategien zu verfügen, zentral«, ordnet Dr. Josephine Schmitt, wissenschaftliche Koordinatorin am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) Bochum gegenüber dem Science Media Center (SMC) ein.
Die Studienautoren plädieren dafür, die Schulung von digitalen Kompetenzen in allen Altersgruppen stärker auszubauen. Das bewertet Schmitt ähnlich: »Ein Schlüsselelement ist die Förderung von Quellen- und Medienkompetenz in allen Altersgruppen. Dazu gehört Wissen über die Funktionsweise von Suchmaschinen, Algorithmen, Medienkritikfähigkeit sowie über Suchstrategien.«
Suchmaschinenanbieter sollten ihre Algorithmen transparenter gestalten und unabhängige Bewertungen von Fact-Checking-Organisationen integrieren, so Schmitt. Nicht zu vergessen sei die politische Dimension: »Die gezielte Verbreitung von Fehl- und Falschinformationen über digitale Medien ist einerseits ein Symptom, andererseits ein Alarmsignal für tiefgreifendere gesellschaftliche Probleme. Die Arbeit an den Ursachen dieses Phänomens ist daher von erheblicher Bedeutung.«
Müller sieht auch die Politik in der Verantwortung. »Es gibt aus meiner Sicht zwei mögliche Auswege aus diesem Dilemma. Erstens müssen die Ursachen einer demokratischen Entfremdung größerer Bevölkerungsteile durch politische Maßnahmen bekämpft werden, die zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen in diesen Bevölkerungsteilen führen«, so der Experte. »Zweitens sollten Plattform- und Suchmaschinen-Betreiber wirksamere Schritte unternehmen, um die Sichtbarkeit fragwürdiger Informationsquellen in Ergebnislisten und Newsfeeds einzuschränken.«