Familiäre Hypercholesterinämie |
Kinder mit familiärer Hypercholesterinämie müssen ohne Umschweife und lebenslang medikamentös behandelt werden, um sie vor möglichen Folgen, so gut es medizinisch geht, zu bewahren. Alleine den Lebensstil anzupassen, reicht leider nicht aus. / Foto: Adobe Stock/Kumer Sergii
Die genetische Störung familiäre Hypercholesterinämie (FH) betrifft laut den Angaben des US-Amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) etwa einen von 250 Menschen. Dabei entwickeln sich oft schon im Kindesalter gefährlich hohe Spiegel an LDL-Cholesterol im Blutplasma. Unbehandelt können frühzeitig arteriosklerotische Erkrankungen entstehen. Patienten profitieren zwar von Bewegung und gesunder Ernährung. Das allein reicht aber bei ihnen in der Regel nicht aus, den Cholesterolspiegel auf das erstrebte Niveau zu senken. Eine medikamentöse Therapie kann das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen senken und ist bereits bei Kindern angezeigt, wenn sie stark erhöhte Cholesterolwerte haben. Die FH zählt zu den genetisch bedingten, familiären Dyslipidämien. Davon gibt es verschiedene Arten und Subtypen, die jeweils sowohl anhand des veränderten Lipidprofils als auch anhand der genetischen Anomalie klassifiziert werden.
Meistens liegt der FH eine Mutation im Gen des LDL-Rezeptors zugrunde. Fehlt der Rezeptor oder funktioniert er nicht richtig, kann nicht ausreichend LDL-Cholesterol aus dem Blut entfernt werden. Veränderungen in den Genen für das Apolipoprotein B-100 (Apo B-100) oder die Protease PCSK9 (Proprotein convertase subtilisin/kexin type 9) können ebenfalls zur FH führen. Wahrscheinlich stehen noch weitere Gene mit der Krankheit in Zusammenhang, die bislang noch unentdeckt sind. Die verschiedenen möglichen Genotypen führen jedoch alle zum selben klinischen Phänotyp. Da die Mutationen überwiegend dominant-rezessiv vererbt werden, reicht ein verändertes Allel aus, um die Hypercholesterinämie zu verursachen. Wenn ein Elternteil betroffen ist, besteht also eine 50-prozentige Chance, dass das Kind ein verändertes Gen erbt und ebenfalls erkrankt.
In sehr seltenen Fällen erhalten Kinder sowohl von der Mutter als auch dem Vater ein Gen mit Mutationen. Das führt zu einer schwerwiegenderen, seltenen Form der FH, der sogenannten homozygoten FH. Menschen mit dieser Ausprägung haben einen extrem hohen Cholesterolspiegel und können bereits im Kindesalter schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar einen Herzinfarkt erleiden.
Ein hoher Cholesterolspiegel kann lange unbemerkt bleiben. Klinische Auffälligkeiten können sich einstellen, wenn sich cholesterolreiches Fett ansammelt und zu gelblichen Knoten oder Polstern unter der Haut führt. Dadurch können Sehnen, insbesondere die Achillessehnen, anschwellen und schmerzen (Sehnenxanthome). Beulen an Knöcheln, Ellenbogen oder Knien, Lipidablagerungen im Ober- und Unterlid (Xanthelasma) oder Einlagerungen in die Hornhaut (Arcus corneae) sind weitere Anzeichen. Das Arteriosklerose-Risiko steigt mit zunehmendem Alter. Besonders gefährdet sind Raucher, Patienten mit Diabetes mellitus, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Familie. Eine häufige Manifestation der FH ist die koronare Herzkrankheit. Dabei verkalken die das Herz versorgenden Koronararterien und das Risiko für Angina pectoris oder Herzinfarkte steigt. Wenn Arterien des Gehirns betroffen sind, kann das zu einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) oder einem Schlaganfall führen. Eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) tritt bei vielen Menschen mit FH auf, die zusätzlich rauchen.
Von der tickenden Zeitbombe in ihrem Körper ahnen viele Patienten jedoch nichts. Möglicherweise kommt der Verdacht auf eine FH erst bei einer routinemäßigen Blutuntersuchung auf, wenn der Arzt einen stark erhöhten LDL-Cholesterolspiegel feststellt. Bei Erwachsenen liegt dieser bei über 190 mg/dl und bei Kindern sollten Ärzte bei einem Wert über 155 mg/dL an die Krankheit denken. Der Cholesterolspiegel kann bei fettleibigen Menschen mit FH noch mal höher sein. Gesamtcholesterolwerte von 350 bis 550 mg/dl sind typisch für die heterozygote FH, während der Wert bei homozygoter FH sogar auf 400 bis über 1000 mg/dl ansteigen kann. Ein weiterer Hinweis auf die FH ist, dass die meisten Patienten in der familiären Vorgeschichte Herzerkrankungen oder Herzinfarkte haben. Den Verdacht erhärten können Symptome, die durch die beschriebenen Lipideinlagerungen unter der Haut entstehen. Tests auf Genmutationen für den LDL-Rezeptor oder auf Veränderungen in den Genen für Apo B-100 und PCSK9 finden in bis zu 80 Prozent der Fälle Ausfälligkeiten. Gelingt es, ein verändertes Gen ausfindig zu machen, können Familienmitglieder darauf untersucht und falls erforderlich behandelt werden. Bestenfalls lassen sich dadurch Folgeerkrankungen bei den Angehörigen vermeiden.
Ziel der Behandlung ist es, den Cholesterolwert bei Erwachsenen unter den Wert von 100 mg/dL zu bekommen. Ist die Arteriosklerose bereits manifest, gilt ein noch niedrigerer Zielwert (< 70 mg/dl). Lassen sich diese Zielwerte nicht erreichen, soll das LDL-Cholesterol um mindestens 50 Prozent gesenkt werden. Bei Kindern gilt ein Wert von unter 135 mg/dL als erstrebenswert. Beginnt die Behandlung früh genug, lässt sich bei heterozygoten Patienten das Arteriosklerose-Risiko auf das Niveau der Allgemeinbevölkerung drücken.
Bei der heterozygoten familiären Hypercholesterinämie (HeFH) verschreibt der Arzt üblicherweise zunächst Statine. Es kann die maximal verträgliche Dosis erforderlich sein.
Statine wirken, indem sie die Hydroxymethylglutaryl-CoA-Reduktase (HMG-CoA-Reduktase) in der Leber hemmen. Dieses Enzym hat eine Schlüsselfunktion in der Cholesterol-Biosynthese. In der Folge wird weniger Cholesterol neu hergestellt und es entsteht ein Cholesterolmangel in den Zellen. Diese bilden daraufhin mehr LDL-Rezeptoren aus, die zirkulierendes LDL-Cholesterol aus dem Blut aufnehmen. Als Nebenwirkungen von Statinen sind muskuläre Symptome, Leberenzymerhöhungen und ein erhöhtes Risiko für Diabetes mellitus zu beachten.
Bei einigen Patienten können weitere Arzneimittel wie der Cholesterolresorptionshemmer Ezetimib oder Ionenaustauscher wie Colesevelam erforderlich sein, um den Cholesterolspiegel ausreichend zu senken.
Einige neuere Arzneimittel greifen am PCSK9-Protein an. Dieses reguliert die LDL-Rezeptordichte auf der Oberfläche von Leberzellen. Wie LDL-Cholesterol bindet es an LDL-Rezeptoren. Der entstandene Komplex wird in die hepatische Zelle aufgenommen und dort abgebaut. Der LDL-Rezeptor steht dann nicht mehr zur Verfügung. Wenn viel PCSK9 vorhanden ist, gehen auf diese Weise viele Rezeptoren verloren und fehlen, um LDL-Cholesterol aus dem Blut aufzunehmen.
Der Spiegel an LDL-Cholesterol im Plasma steigt an. Wenn jedoch die Neusynthese von PCSK9 reduziert wird, sind wieder mehr LDL-Rezeptoren auf der Oberfläche der Hepatozyten vorhanden und es kann mehr LDL-Cholesterol aus dem Blut entfernt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden pharmakologisch zwei verschiedene Ansätze verfolgt. Die monoklonalen Antikörper Evolocumab und Alirocumab blockieren das Enzym PCSK9 direkt und erhöhen dadurch die Rezeptoranzahl. Alirocumab und Evolocumab sind speziell als Ergänzung zu einer Diät und einer maximal verträglichen Statintherapie zur Behandlung von Erwachsenen mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie indiziert.
Das siRNA-Therapeutikum Inclisiran wiederum wird in die Leberzellen aufgenommen. Im Zellinneren verbindet es sich mit der mRNA des PCSK9-Gens. Das verhindert die Translation des Gens und es entsteht weniger PCSK9-Protein. Inclisiran ist somit eine weitere Option für die Behandlung der HeFH.
Ein anderer neuer Cholesterolsenker ist Bempedoinsäure. Das Prodrug wird in der Leber aktiviert. Der aktive Metabolit hemmt das Enzym Adenosintriphosphat-Citrat-Lyase, das im Zytosol Citrat in Acetyl-CoA umwandelt. Acetyl-CoA ist eine wichtige Ausgangssubstanz für die Cholesterol-Biosynthese. Die Enzymhemmung führt nicht nur dazu, dass weniger Cholesterol neu hergestellt wird, es reguliert auch die hepatischen LDL-Rezeptoren hoch. Dadurch sinkt der LDL-Plasma-Spiegel.
Für Kinder ab acht Jahren mit einer heterozygoten familiären Hypercholesterinämie (HeFH), die ihren Zielwert für LDL-Cholesterin bisher nicht erreichen, hat die Europäische Kommission die Zulassung von Alirocumab im November vergangegen Jahres erweitert.
Eine therapeutische Herausforderung ist die homozygote familiäre Hypercholesterinämie (HoFH). Arzneimittel wie Statine wirken hier nur, wenn Patienten noch über eine gewisse Restaktivität der LDL-Rezeptoren verfügen. Eine neue medikamentöse Option ist der monoklonale Antikörper Evinacumab. Er ist seit 2023 in Deutschland als adjuvante Therapie zu Diät und anderen Lipidsenkern bei Menschen mit HoFH zugelassen, und das bereits ab dem fünften Lebensjahr. Evinacumab bindet an das Protein Angiopoietin-like 3 (ANGPTL3). Dieses blockiert die Lipoproteinlipase und die Endothel-Lipase. Die Hemmung von ANGPTL3 führt dazu, dass die Lipaseaktivitäten zunehmen. Es sind dann weniger LDL-Vorstufen wie VLDL im Blut vorhanden und es wird weniger LDL-Cholesterol gebildet. Der Wirkmechanismus ist also unabhängig vom LDL-Rezeptor. Das Medikament wird monatlich intravenös verabreicht.
Um den Cholesterolspiegel bei Menschen mit HoFH zu senken, können auch nicht pharmakologische Behandlungen erforderlich sein wie eine LDL-Apherese. Dabei wird LDL-Cholesterol mit einer der Dialyse ähnlichen Methode aus dem Blut entfernt. Patienten kann auch eine Spenderleber mit normal funktionierenden LDL-Rezeptoren transplantiert werden. Operativ lassen sich die Cholesterolwerte auch mit einem partiellen Ileumbypass bessern. Durch diesen Eingriff wird ein Teil des Dünndarms umgangen, um die Absorption von Nährstoffen und damit Cholesterol zu verringern. In Zukunft könnte die Gentherapie weitere Behandlungsoptionen ermöglichen.
Wichtig für alle Patienten mit FH ist, dass sie ihre Medikamente konsequent einnehmen. Sie sind wichtig, um Folgeschäden der unheilbaren Krankheit zu vermeiden, auch wenn sie keinen direkten spürbaren Effekt mit sich bringen. Unterschwellig kann das Apothekenteam auch an wichtige Lebensstilmaßnahmen erinnern. Dazu zählen strenger Nikotinverzicht, regelmäßige körperliche Aktivität und Anpassungen in der Ernährung. Patienten tauschen am besten tierische, überwiegend gesättigte Fettsäuren – wann immer möglich – gegen pflanzliche, überwiegend ungesättigte Fettsäuren ein. /