Fasten ist mehr als nur Weglassen |
Eine Weile (fast) gar nichts essen – diese Methode praktizieren Menschen schon sehr lange. / Foto: Adobe Stock/vetre
Fasten ist definiert als der freiwillige Verzicht auf feste Nahrung und Genussmittel für einen begrenzten Zeitraum. Es hat weltweit eine kulturelle und religiöse Tradition. Auch heute noch sind Fastentage und Fastenzeiten in vielen großen Religionen etabliert, zum Beispiel im Islam der Monat Ramadan, die christliche Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern oder im Judentum der Yom Kippur. Von bedeutenden religiösen Personen wie Moses, Jesus oder Mohammed ist bekannt, dass sie fasteten und ihren Anhängern Fastenperioden empfahlen. Fasten gilt als Zeit der Einkehr und Besinnung und ist ein Ausdruck von Glauben und Demut.
Während der Entwicklungsgeschichte des Menschen gehörten Nahrungspausen zum natürlichen Lebensrhythmus. Sie haben über Jahrtausende hinweg das Überleben gesichert, indem der Körper in Hungerszeiten auf einen anderen Stoffwechselmodus geschaltet hat – ohne gesundheitliche Nachteile. Heute dient Fasten nicht mehr dem Überbrücken von Mangelzeiten, sondern einem positiven Verzichtserlebnis, das dem Körper auf vielen Ebenen guttut.
Über die heilende Wirkung des Fastens wird bereits in der Antike und später von bekannten europäischen Ärzten bis ins 18. Jahrhundert berichtet. Schon Hippokrates und Kneipp haben beobachtet, dass Nahrungsverzicht – sofern er nicht übertrieben wird – die Gesundheit fördern kann. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde als Folge des Einzugs des rein naturwissenschaftlich orientierten Denkens in die Medizin immer mehr auf Fastenkuren verzichtet. Trotzdem hat sich dieses Verfahren in der Naturheilkunde zur Behandlung verschiedener Erkrankungen erhalten und bewährt. Erst moderne Forschung und Molekularbiologie konnten die Effekte des Fastens wissenschaftlich nachweisen und haben ihm damit zu neuer Popularität verholfen. Auch der aktuelle Trend zum Intervallfasten hat dieses Heilverfahren aus seinem Nischendasein geholt. Inzwischen geht es nicht mehr um die Frage, ob Fasten gesund ist, sondern darum, wie gefastet werden sollte.
Fasten setzt an vielen Stellen im Körper an. Bekommt der Organismus kein Essen zugeführt, zieht er zunächst die gespeicherten Kohlenhydrate, die in Form von Glykogen in der Leber und den Muskeln lagern, als Energiequelle heran. Diese Reserven reichen etwa für einen Tag. Danach baut der Körper ebenso Eiweiße ab, um daraus in einem komplizierten Prozess Zucker herzustellen. Parallel steigt er aber vor allem auf die Nutzung von Fett zur Energiegewinnung um. Fettsäuren können zu Ketonkörpern umgewandelt werden, die verschiedene Zellen als Treibstoff verwenden. Dafür wird überschüssiges Bauchfett, sogenanntes viszerales Fett, abgebaut. Das ist besonders günstig, weil diese Fettdepots Botenstoffe produzieren, die mit Stoffwechselstörungen wie Diabetes, mit Entzündungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden sein können.
Ketonkörper haben in Maßen viele weitere Vorteile, vor allem für das Gehirn, erkrankte Nervenzellen und vermutlich auch bei Krebserkrankungen für die gesunden Zellen. Da ohne Nahrungszufuhr weniger Glucose zur Verfügung steht, sinkt auch der Insulinspiegel im Blut. Ein ständig hoher Insulinspiegel hemmt unter anderem den Fettabbau, macht hungrig und die Körperzellen reagieren nicht mehr so gut auf das Hormon. Durch Essenspausen werden die Zellen wieder empfindlicher für Insulin.
Neben der Stoffwechselumstellung löst der zeitweilige Nahrungsverzicht aber auch auf molekularer Ebene eine ganze Reihe von biochemischen Reaktionen aus. Beispielsweise werden spezielle Reinigungsmechanismen angeregt: sozusagen die Müllabfuhr und das Recyclingsystem der Zellen. Diese sogenannte Autophagie startet bereits nach einer Nahrungspause ab 14 bis 18 Stunden. Das Selbstverdauungsprogramm der Zellen baut unbrauchbare und störende Bestandteile wie fehlgeformte Proteine und funktionsunfähige Mitochondrien ab. Die so gewonnenen Rohstoffe können anschließend zum Aufbau neuer Zellstrukturen oder zur Energiegewinnung genutzt werden. Seit vielen Jahrzehnten wird die Autophagie erforscht, unter anderem von dem japanischen Molekularbiologen Yoshinori Ohsumi. Im Oktober 2016 erhielt er für seine Arbeit den Nobelpreis für Medizin.
Heilfasten kann der Entstehung vieler Erkrankungen vorbeugen sowie bestehende Krankheitssymptome mildern oder heilen. Heilfasten bedeutet, einige wenige Tage bis zu 30 Tage auf feste Nahrung zu verzichten, wobei es keine festgelegte oder wissenschaftlich definierte Standarddauer gibt. In vielen Fachkliniken wird Heilfasten seit Jahren vor allem zur Behandlung von chronischen Leiden erfolgreich eingesetzt. Dazu zählen Diabetes, Bluthochdruck, Fettleber, erhöhte Blutfettwerte, Rheuma, Darmerkrankungen und viele Schmerzsyndrome, vor allem Arthrosen, Migräne und Rückenschmerzen. Gute klinische Erfahrungen werden auch bei Patienten gemacht, die unter Allergien oder Hauterkrankungen wie Schuppenflechte oder Psoriasis leiden. Eine präventive Wirkung des regelmäßigen Fastens ist zudem für chronisch neurologische Erkrankungen wie Demenz, Multiple Sklerose und Morbus Parkinson in vielen Laborversuchen dokumentiert worden.
In einer großen Studie untersuchte das Team um Ernährungsexpertin Dr. Francoise Wilhelmi de Toledo die Daten von mehr als 1400 Fastenden. Die Ergebnisse wurden im Jahr 2019 online in der PeerReview-Zeitschrift PLOS ONE veröffentlicht. Die Forschenden konnten unter anderem nachweisen, dass Fasten die im Fettgewebe gespeicherte Energie mobilisiert und der Stoffwechsel von Glucose zu Fett- und Keton-Verbrauch umschaltet. Zudem normalisierten sich Cholesterin- und Blutfettwerte, Blutdruck sowie Blutzuckerwerte. Bei 84 Prozent verbesserten sich schwere Gesundheitsprobleme wie Arthritis, Typ-2-Diabetes, Fettleber, Bluthochdruck und schwere Erschöpfungszustände.
Für die rheumatoide Arthritis gibt es bezüglich der Studienlage die höchste Aussagekraft für positive Effekte des Fastens. Die klinische Wirkung der Fastentherapie bei der entzündlichen Gelenkerkrankung wurde inzwischen auch durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt. Dokumentiert sind nicht nur eine subjektive Verbesserung wie weniger Beschwerden, mehr Beweglichkeit und abnehmende Morgensteifigkeit. Auch die im Blut nachweisbaren Entzündungsparameter nehmen ab.
Die positiven Effekte des Fastens beruhen einerseits auf der ausbleibenden Zufuhr der Arachidonsäure, einer Fettsäure, aus der der Körper entzündungsfördernde Botenstoffe bildet und die nur in tierischen Fetten wie Fleisch enthalten ist. Bestimmte Metabolite des Fastenstoffwechsels (Beta-Hydroxybutyrat) wirken zudem direkt antioxidativ und entzündungshemmend. Ergebnisse aus Fastenstudien zeigen, dass sich Fasten und eine anschließende vegetarische Ernährung langfristig günstig auswirken können. Betroffenen fällt es nach den schmerzlindernden Erfahrungen des Fastens zudem oft leichter, die Ernährung umzustellen hin zu mehr pflanzlichen Lebensmitteln.
Fasten heißt nicht, einfach ein paar Tage ohne feste Nahrung auszukommen. Reichliches Trinken von Wasser und Kräutertees, eventuell mit einem kleinen Honigzusatz, ergänzt durch geringe Mengen an Gemüsebrühen und Obstsäften tragen zum Erfolg des Fastens bei. Ebenso können Getreideabkochungen wie Reisschleim und ab und zu eine kleine Portion Joghurt oder Buttermilch Bestandteil von Fastenkuren sein. Zusätzlich helfen zahlreiche Begleitmaßnahmen wie Darmpflege, Leberwickel, angepasste körperliche Bewegung und Entspannung, die Fastenden durch die Zeit zu begleiten.
Heilfasten ist Fasten mit therapeutischer Absicht und sollte immer unter ärztlicher Betreuung oder in einer Fastenklinik stattfinden. Fastenärzte können unterstützende Maßnahme optimal und individuell einsetzen und mit der bestehenden Medikation sorgfältig umgehen.
Die derzeit in Europa am häufigsten eingesetzte Methode ist das Fasten nach Buchinger. Sie geht auf den Arzt Otto Buchinger (1878 bis 1966) zurück. Heilfasten wirkt laut Buchinger nicht nur unter medizinischen Aspekten, sondern auch auf psychosozialer und spiritueller Ebene. Besonderen Wert wird in Kliniken auch auf den richtigen Einstieg in das Fasten und den Übergang zurück zu einer normalen Ernährung gelegt. Denn wichtig für einen langfristigen Erfolg ist die Motivation, sich auch später gesünder und maßvoller zu ernähren.
Die erstaunlichen Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Nahrungspausen wecken bei immer mehr Menschen das Interesse, für gewisse Zeit auf das gewohnte Essen zu verzichten. Gerade das Intervallfasten, bei dem nur tage- oder stundenweise gefastet wird, ist in Mode gekommen. Das liegt vermutlich auch daran, dass Intervallfasten eine ganz einfache Sache ist. Es bedeutet nichts anderes, als nicht ununterbrochen zu essen. Dabei gibt es auch wie beim Heilfasten unterschiedliche Methoden. Man kann zum Beispiel eine Nahrungspause von 16 Stunden einlegen oder zwei Tage in der Woche täglich nur 500 bis 600 Kilokalorien zu sich nehmen.
Denn wer schon mehrere Stunden nicht isst, schaltet seinen Stoffwechsel um. So sinken Zucker- und Insulinwerte und Fettreserven werden mobilisiert, weil Glucose fehlt. Am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam Rehbrücke haben Wissenschaftler an Mäusen gezeigt, dass sich der gesamte Fettstoffwechsel verbessert und die Mäuse wieder empfindlicher auf das Hormon Insulin reagieren. Das hilft zum Beispiel, Typ-2-Diabetes zu verhindern. Außerdem werden präventive Effekte unter anderem für Demenz und Krebs angepriesen und regelmäßige Fastenphasen sollen zudem den Alterungsprozess verlangsamen. Ein wichtiges Ziel beim Intervallfasten ist sicherlich auch die Aktivierung der Autophagie.
Die wissenschaftliche Basis für das Intervallfasten stammt hauptsächlich aus Tierversuchen, aus dem religiösen Fasten sowie experimentellen Studien mit geringer Teilnehmerzahl. Ob es beim Menschen so viele positive Effekte gibt, ist noch unklar. Trotzdem sind sich Fastenärzte einig, dass das Essen mit Pausen etwas bewirkt. Besonders geeignet scheint diese Fastenform, um Stoffwechselerkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder das Metabolische Syndrom zu verbessern oder vorzubeugen.
Die Vorteile des Intervallfastens bestätigt die Grazer Studie Interfast aus dem Jahr 2019 mit der Methode »Alternate Day Fasting«. Das heißt, einen Tag normal essen, einen Tag fasten. Das Körpergewicht der Probanden war bereits nach vier Wochen um etwa drei bis vier Kilogramm verringert und das Verhältnis von Fett- zu Magermasse verbessert. Besonders das ungünstige Bauchfett baute sich laut Studienleiter Professor Dr. Frank Madeo ab. Zudem wirkte sich das Fasten günstig auf den Blutdruck, die Cholesterinwerte und auf Entzündungswerte aus. Negative Nebenwirkungen auf die Gesundheit stellten die Forscher nicht fest.
Verschiedene Formen des Intervallfastens sollen zudem beim Abnehmen helfen. Erste Tier- und Humanstudien zeigen, dass der Wechsel zwischen Fasten und Essen tatsächlich die Gewichtsreduktion unterstützen kann. Im Vergleich zu herkömmlichen Reduktionsdiäten scheint das Intervallfasten jedoch keine Vorteile bezüglich Stoffwechselparametern und Gewichtsabnahme zu haben. Das zeigen jüngste Humanstudien, wie die Helena-Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Universitätsklinikums Heidelberg mit 150 übergewichtigen und adipösen Teilnehmern aus dem Jahr 2018 sowie eine im Jahr 2020 durchgeführte Studie der University of California mit 116 übergewichtigen Probanden.
Allerdings fällt vielen das Intervallfasten leichter, da in den Essensphasen keine Kalorien gezählt werden müssen. Man passt die Essenszeiten nur einem neuen Rhythmus an. Das führt häufig dazu, dass automatisch insgesamt weniger gegessen wird. Die Forscher schlussfolgern, dass Menschen, die abnehmen möchten, individuell wählen können, welche Methode gut in den eigenen Alltags- und Lebensrhythmus hineinpasst.
Fasten ist eine ganzheitliche und für viele Menschen auch eine spirituelle Erfahrung. Es ist daher nicht nur eine gute Methode, um eine bestehende Erkrankung zu lindern, sondern vor allem auch, um für die Gesundheit vorzusorgen. Andere sehen im Fasten eine Möglichkeit, sich bewusst eine Auszeit zu nehmen. In Zeiten, in denen hierzulande jede Nahrung ständig erreichbar ist, bietet die Nahrungspause die Chance, sich einmal von allem Überflüssigen zu befreien und den Kopf freizubekommen.
Nahrungsverzicht ist allerdings nicht für jeden Menschen richtig. Untergewichtige sowie Menschen mit einem gestörtem Essverhalten, sollten nicht fasten, ebenso Kinder, Schwangere sowie Menschen mit Gicht oder Gallensteinen, Typ-1-Diabetes und schweren Depressionen. Vom Fasten abgeraten wird in der Regel auch bei schweren Beeinträchtigungen von Herz, Leber oder Nieren. Generell sollten sich Menschen mit Vorerkrankungen zuvor von einem Arzt oder einer Ärztin beraten lassen.