Fett essen, gesünder leben? |
Die Avocado liefert zwar reichlich gesunde Fette und ist lecker, schadet aber nachhaltig den Ressourcen in den Anbauländern. / Foto: Adobe Stock/Jérôme Rommé
Morgens ein Sahnequark mit Leinöl, Leinsamen, Kokosraspeln und Heidelbeeren. Zum Mittagessen Schweinelende überbacken mit Camembert, Speck und grünem Spargel und abends zwei Rühreier mit Avocado. So könnten typische Mahlzeiten nach dem Keto-Prinzip aussehen. Die ketogene Diät setzt auf einen fettreichen Speiseplan. Der Fettanteil beträgt 60 bis 80 Prozent des täglichen Gesamtenergiebedarfs. Auf Kohlenhydrate wird weitestgehend verzichtet. Es sind maximal vier bis zehn Prozent Kohlenhydrate beziehungsweise etwa 20 bis 50 Gramm pro Tag erlaubt. Zum Vergleich: Die Fachgesellschaften empfehlen normalerweise über Kohlenhydrate circa 50 Prozent und über Fett circa 30 Prozent des Energiebedarfs pro Tag zu decken. Die ketogene Ernährung stellt damit eine radikale Form der Low Carb-, also der kohlenhydratarmen Ernährung dar.
Glucose ist ein Einfachzucker, der die Körperzellen schnell mit Energie versorgt. Er wird aus praktisch allen verwertbaren Kohlenhydraten aus der Nahrung im Organismus hergestellt. Besonders das Gehirn und die roten Blutkörperchen sind auf Glucose angewiesen. Die anderen Körperzellen können auch auf Fettsäuren als Energielieferanten umsteigen. Bei der ketogenen Ernährung wird der Kohlenhydratanteil fast auf Null reduziert. Der Körper geht zunächst an die Glucosereserven in Leber und Muskulatur, das sogenannte Glycogen. Da die Speicher nach wenigen Tagen aufgebraucht sind, muss sich der Stoffwechsel umstellen, um weiterhin genug Energie an die Zellen zu liefern. Anstelle von Zucker greift der Körper nun auf Fette zurück.
Dazu bildet die Leber aus Fettsäuren sogenannte Ketonkörper, die nun dem Gehirn und den roten Blutkörperchen als alternative Energiequelle zur Verfügung stehen. Aber auch andere Gewebe wie Muskeln können Ketonkörper nutzen. Diesen Stoffwechselzustand nennen Fachleute »Ketose«. Auch beim Fasten oder im Hungerzustand stellt sich der Körper auf die Verwertung von Fett und Ketonkörpern um.
Bei der ketogenen Ernährung sind fast alle kohlenhydrathaltigen Lebensmittel tabu. Dazu gehören Brot, Reis, Nudeln, Kartoffeln, Wurzelgemüse wie Karotten und Zuckerhaltiges wie Softdrinks und Süßigkeiten. Zur Einschätzung: Zwei Scheiben Brot oder eine Portion Reis liefern bereits 40 Gramm Kohlenhydrate. Obst darf aufgrund des hohen Gehalts an Fruchtzucker nur selten und in kleinen Mengen gegessen werden. Eine Banane liefert beispielsweise 27 Gramm Kohlenhydrate. Übrig bleibt eine Kost aus Fett- und Proteinquellen. Auf dem Speiseplan stehen Fette und Öle, Fleisch, Fisch, Eier sowie Käse (vor allem die fettreichen Sorten). Es sind außerdem kohlenhydratarmes Gemüse wie Brokkoli, Spargel und Gurken, Nüsse, Avocados sowie Milch- und Milchprodukte erlaubt. Bei diesen Lebensmitteln müssen allerdings die Kohlenhydrate bedacht werden, etwa bei Milchprodukten der Gehalt an Milchzucker.
Bei Obst empfehlen Ratgeber und Internetforen, vor allem auf Beeren zurückzugreifen, da ihr Zuckergehalt relativ gering ist. Auch Keto-Shakes für zwischendurch sind beliebt, zum Beispiel aus Kokosmilch, Sahne und Kakaopulver. Auch wenn die ketogene Kost viel Fett beinhaltet, spielt die Qualität der Fette eine Rolle. Es geht nicht darum, Berge von Fleisch zu konsumieren. Hochwertigen Pflanzenfetten sollte gegenüber minderwertigen Fetten zum Beispiel aus Wurst der Vorzug gegeben werden. Diese hochwertigen Fette stecken zum Beispiel in Avocados, Nüssen und Oliven oder pflanzliche Ölen mit einem hohen Gehalt an gesundheitsfördernden Omega-3-Fettsäuren wie Lein-, Hanf- und Walnussöl. Auch Kokosöl und MCT-Fette gelten als empfehlenswert, da die enthaltenen mittelkettigen Fettsäuren direkt zur Leber gelangen, die sie verstoffwechselt.
Da der Stoffwechsel seine Energie fast vollständig aus der Verbrennung von Fetten zieht, kann die Ernährungsform dabei helfen, Gewicht zu verlieren. Außerdem schüttet der Körper nicht so viel Insulin aus, welches die Fettvorräte auffüllt und den Fettabbau hemmt. Da Blutzuckerschwankungen vermieden werden, sollen auch Heißhungerattacken ausbleiben. Eine ketogene Diät ist zudem fast immer energiearm, da es kaum möglich ist, den Energiegehalt der täglich eingesparten Kohlenhydrate komplett durch Fett und Eiweiß zu ersetzen. Allerdings braucht es einige Zeit, bis sich der Stoffwechsel auf die neue Ernährungsweise einstellt.
Der anfängliche Gewichtsverlust beruht auf einer Abnahme von Muskelmasse sowie dem Verlust von Wasser. Denn zunächst geht der Körper, wie oben beschrieben, an die Glycogenspeicher in Leber und Muskulatur. Glycogen enthält viel Wasser, das beim Abbau der Vorräte mit ausgeschieden wird. Es gibt Studien, die zeigen, dass man mit der Keto-Diät zwar schneller abnimmt, sie auf Dauer aber nicht erfolgreicher ist als andere Diäten.
Nüsse und Oliven oder pflanzliche Öle wie Lein-, Hanf- und Walnussöl mit einem hohen Gehalt an gesundheitsfördernden Omega-3-Fettsäuren sind hochwertige Fette. / Foto: Adobe Stock/alex9500
Wer abnehmen und das neue Gewicht halten will, ist mit einer ausgewogenen und langfristigen Ernährungsumstellung besser beraten. Denn wenn man in kurzer Zeit viel Gewicht verliert, wie es viele Abnehm-Programme versprechen, ist bei der Rückkehr zur ursprünglichen Ernährungsweise das Risiko eines JoJo-Effekts groß. Ohnehin ist diese sehr extreme und herausfordernde Diät im Alltag schwer umsetzbar. Es ist außerdem unklar, ob der Gewichtsverlust tatsächlich durch die Ketose oder einfach durch eine Einschränkung der Kalorienzufuhr verursacht wird.
Bei der ketogenen Ernährung geht es auch darum, Schwankungen des Insulinspiegels zu vermeiden, die bei der Aufnahme von schnell verfügbaren Kohlenhydraten stattfinden. Es gibt Hinweise für einen klinischen Nutzen der ketogenen Diät bei Menschen mit Typ-2-Diabetes. Studien zeigen günstige Effekte auf die Insulinresistenz, den Langzeitblutzuckerwert und die Blutfette. Insgesamt sind die Studienresultate für eine allgemeine Empfehlung allerdings zu heterogen. Auch der Langzeitnutzen bleibt fraglich. Die strenge Low-Carb-Ernährung wird von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) als problematisch angesehen und Patienten sollten sie keinesfalls auf eigene Faust durchführen.
Es gibt seltene, angeborene Stoffwechselerkrankungen, zum Beispiel Defekte des Glucosetransporters GLUT-1 an der Blut-Hirn-Schranke, bei denen die ketogene Diät notwendig ist, um zu überleben. Auch bei Epilepsie im Kindesalter kann die Stoffwechselumstellung die Häufigkeit von Anfällen in manchen Fällen reduzieren. Die Diät ist allerdings nur angezeigt, wenn Medikamente schlecht oder gar nicht wirken. Der Nutzen der ketogenen Kost ist bei Epilepsie schon lange bekannt und gut dokumentiert.
Bei dieser sehr strengen ketogenen Diät nehmen die Kinder 90 Prozent Fett und 10 Prozent Eiweiß und Kohlenhydrate auf. Die Diät soll nur mit ärztlicher und diätetischer Begleitung durchgeführt werden und bedeutet einen hohen Zeitaufwand für die ganze Familie. Bei jeder Mahlzeit muss das Verhältnis Fett zu Nicht-Fett streng eingehalten werden. Um eine Mangelernährung zu verhindern, müssen Betroffene meist einzelne Vitamine und Mineralstoffe zusätzlich einnehmen.
Experten gehen davon aus, dass die chronische Ketose die Energieproduktion im Gehirn verbessert und vermehrt beruhigende Neurotransmitter wie die Gamma-Aminobuttersäure ausschüttet. Außerdem entstehen bei der Verwertung von Ketonen weniger freie Radikale als bei der Verstoffwechselung von Glucose. Dadurch schützen sie die Nervenzellen vor ungünstigen oxidativen Zellveränderungen. Die Ernährungsform soll zudem die Entzündungsreaktionen im Gehirn senken.
Untersuchungen zeigen außerdem, dass sich die Zusammensetzung der Darmbakterien verändert. Diese Veränderung wirkt sich vermutlich positiv bei Epilepsie aus. Ob die ketogene Kost auch bei anderen Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie Alzheimer von Nutzen sein kann, ist noch in Diskussion. Denn durch die bei Alzheimer vorherrschende Insulinresistenz im Gehirn ist die Glucoseaufnahme und -verwertung eingeschränkt. Ketonkörper können in diesem Fall als alternative Energiequelle dienen. Es fehlt jedoch vor allem an aussagekräftigen Studien an Menschen. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass eine ketogene Diät älteren Patienten sogar schaden könnte. Beispielsweise sind viele an Alzheimer erkrankte Menschen fehlernährt und eine solche Ernährungsform könnte das Problem verstärken.
In Internetforen und Ratgebern wird die ketogene Ernährung bei Krebs empfohlen. Auch einige Ärzte sind der Ernährungsform bei Krebs gegenüber sehr aufgeschlossen. Als Begründung der krebshemmenden Wirkung führen sie auf, dass der Stoffwechsel von Tumorzellen von Kohlenhydraten abhängig sei. Die Diät könnte das Wachstum mancher Tumoren hemmen, die vorwiegend Energie aus der Nutzung von Glucose ziehen. Forscher der Universitätsklinik in Würzburg beschäftigen sich seit Jahren mit dem Tumorstoffwechsel und der ketogenen Diät.
Ergebnisse aus Zell- und Tierstudien zeigen, dass Tumoren schlechter und langsamer wachsen. Einzelbeobachtungen deuten darauf hin, dass sich Krebspatienten unter der fettreichen Kost körperlich fitter fühlen und Chemotherapien besser vertragen werden. In einer Stellungnahme rät die deutsche Krebsgesellschaft (DKG) jedoch Menschen mit Krebserkrankungen von der ketogenen Ernährungsweise ab. Daten aus Zellkulturen und Tierversuchen seien nicht eindeutig und teilweise gegensätzlich und der Effekt beim Menschen wissenschaftlich nicht bewiesen. Auch andere Wissenschaftler lehnen die Krebs-Diät ab, zumal sie nur unter strenger ärztlicher Betreuung durchgeführt werden darf und mögliche unerwünschte Wirkungen wie Appetitmangel und Gewichtsverlust zu befürchten sind.
Gerade in den ersten Wochen der Umstellung sind vorübergehende Beschwerden wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und Erschöpfung nicht selten. Andere Studien weisen darauf hin, dass kohlenhydratarme Diäten mit erhöhten Harnsäurespiegeln und mit einem höheren Risiko für Gicht und Nierensteine assoziiert sein könnten. Gerade Menschen mit Nieren- oder Lebererkrankungen sollten die Ernährung nicht ohne Absprache mit ihrem Arzt durchführen. Aufgrund der geringen Aufnahme von Ballaststoffen leidet mancher auch unter Verstopfung. In extremen Fällen kann eine ketogene Ernährung eine schwere metabolische Acidose – also eine Übersäuerung – verursachen, die gravierende Folgen haben kann.
Experten sehen vor allem die hohe Fettaufnahme als problematisch an. Da rotes Fleisch, fetter Käse, Speck und Co. ausdrücklich erlaubt sind, besteht die Gefahr, dass zu viele gesättigte Fettsäuren aufgenommen werden, die sich nachteilig auf das Herz-Kreislaufsystem auswirken können. Jedoch ist die Wirkung ketogener Diäten auf kardiovaskuläre Risikofaktoren unklar. Große Mengen roten Fleischs stehen außerdem mit anderen Erkrankungen im Zusammenhang wie Darmkrebs. Die Risiken sind sicherlich eng mit dem individuellen Ernährungsplan verknüpft. Das heißt, ob die Wahl der Fettquellen bevorzugt auf tierische Lebensmittel fällt oder auf eine Ernährung mit einem höheren Anteil als gesund bewerteter Fette.
Auch wenn die Kost Gemüse beinhaltet, macht es die begrenzte Auswahl an gesundem Essen schwer, genügend Mikronährstoffe aufzunehmen. Denn viele Obstsorten, Vollkornprodukte und kohlenhydratreiches Gemüse tragen wesentlich dazu bei, dass die Menschen mit Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen versorgt sind. Zudem werden speziell die für den Körper wichtigen unlöslichen Ballaststoffe fast vollständig verdrängt, die sich hauptsächlich in Vollkornprodukten finden.
Ein hoher Verzehr tierischer Produkte belastet Umwelt und Klima. Hierfür gibt es viele Gründe. Angefangen beim enormen Wasserverbrauch über die Abholzung des Regenwaldes für den Anbau von Futtermitteln, bis hin zum Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase und Überfischung der Meere. Als das Low Carb-Lebensmittel schlechthin wird die Avocado angepriesen, da sie viel Energie in Form von gesunden ungesättigten Fettsäuren und Vitamine liefert. In Sachen Ökobilanz schneidet die Avocado allerdings nicht gut ab, da ihr Anbau viel Wasser benötigt, welches in den Anbaugebieten knapp ist. Wer die Diät macht, sollte daher darauf achten, dass die Produkte möglichst aus regionalem und biologischem Anbau kommen.
Unabhängig von ökologischen Bedenken ist die ketogene Kost wegen ihrer möglichen Nebenwirkungen und Unausgewogenheit umstritten. Übergewichtige könnten unter ärztlicher Aufsicht profitieren, da bei dieser Diät zumindest am Anfang mehr Fett verbrannt wird als unter jeder anderen Reduktionskost. Viele Wissenschaftler warnen jedoch, dass sie auf Dauer zu einseitig ist. Abgesehen davon fällt es vielen Menschen schwer, die extreme Ernährung länger durchzuhalten.
Für diejenigen, die abnehmen oder sich etwas gesünder ernähren möchten, ist das auch nicht notwendig. Denn das Ziel lässt sich einfacher erreichen, indem man auf zuckerhaltige Lebensmittel verzichtet und »gesunde« Kohlenhydratquellen auswählt wie Vollkornprodukte und Gemüse. Es ist vor allem wichtig, einen langfristig gesunden Lebensstil zu finden, der zum eigenen Leben passt. Therapeutisch ist die ketogene Kost nur in manchen Fällen der Epilepsie bei Kindern empfehlenswert. Ein positiver Nutzen für andere schwere Erkrankungen ist unklar und wird weiter erforscht.