Fitness auch in der Apotheke |
Isabel Weinert |
05.07.2023 12:00 Uhr |
Täglich die Wirbelsäule durchbewegen, das geht auch in der Apotheke und hilft, Rückenschmerzen fernzuhalten. / Foto: ABDA
PTA-Forum: Treten Rückenschmerzen häufiger bei Steh- oder bei Sitzberufen auf?
Heil: Es ist tatsächlich das Sitzen schädlicher, weil man länger in einer Position sitzt als wenn man steht. Beim Stehen bewegt man sich beinahe automatisch immer mal wieder ein wenig. Das Hauptproblem ist das konstante Verharren in einer Position. Dafür sind wir nicht geschaffen. Im Stehen wechselt man das Bein, verlagert das Gewicht. Es gibt aber ein paar Dinge, an die man sich bei Stehberufen zusätzlich halten sollte. Klassisch ist, keine hochhackigen Schuhe zu tragen. Denn dadurch kippt das Becken nach vorne und der Rücken wird ins Hohlkreuz gezwungen. Diese Haltung ist unnatürlich und die Muskeln verspannen sich, weil sie dagegen arbeiten müssen. Dauerhaftes Stehen bedeutet auch, der venöse Rücktransport des Blutes behindert ist. Auch deshalb sollte man die Standposition wechseln, mal auf beiden Beinen parallel das Gewicht verteilen, mal auf ein Bein vorne. Vorteilhaft ist auch, den vorderen Fuß leicht erhöht abzustellen, auf einen kleinen Hocker oder Ähnliches. Das entlastet. Dann kann man ab und zu mal auf die Fußspitzen und zurück, damit der venöse Rückfluss wieder in Schwung kommt. Schlecht ist jede unnatürliche Haltung, denn dann spannt sich die Muskulatur an und der Blutfluss in der Muskelfaser nimmt ab.
PTA-Forum: Sollte jeder Mensch die eigenen Muskeln kräftigen, auch dann, wenn er keine Beschwerden hat?
Heil: Es ist auf jeden Fall wichtig, die Muskulatur zu kräftigen, um im Alltag das tun zu können, was man gerne tut, auch beruflich. Wenn man es nicht macht, merkt man das über die Zeit, denn die Muskulatur baut ab dem 30. Lebensjahr um 1 bis 2 Prozent pro Jahr ab. Das ist ganz schön viel. Da nutzen Ausdauertraining wie Joggen und zügiges Spazierengehen leider nichts, auch wenn viele sagen, aber ich mache doch das und das, gehe immer morgens und abends mit meinem Hund spazieren. Das ist per se super, aber das ist nicht das Einzige, was der Körper braucht. Er braucht immer auch intensive Impulse, damit die Muskulatur erhalten bleibt oder aufgebaut wird. Deshalb ist Krafttraining ohnehin für jeden empfehlenswert.
PTA-Forum: Sind freie Kräftigungsübungen mit dem eigenen Körpergewicht besser oder solche an Geräten?
Heil: An den Geräten lassen sich die großen Muskelgruppen besser trainieren, die Hauptstabilisatoren, also die Rückenmuskulatur, die Gesäßmuskulatur, die vorderen Oberschenkel. Diese Muskelgruppen brauchen große Reize. Wenn ich freie Übungen mache, trage ich zu einem Erhalt bei, wenn ich das regelmäßig intensiv mache, aber ein richtiger Muskelaufbau ist nicht möglich, weil der Reiz zu gering ist. Um größere Reize zu setzen, nimmt man entweder Zusatzgewichte bei den freien Übungen oder man geht an ein Gerät. Viele Leute haben Angst, dabei etwas falsch zu machen, aber das ist unbegründet. Der Körper ist sehr robust, die Muskulatur und auch die Wirbelsäule sind sehr belastbar. Da geht nicht gleich etwas kaputt durch falsche Bewegung.
Kemmler: An den Geräten erwischen wir neben den großen Muskelgruppen auch die ganz kleinen Muskeln. Dabei kommt es darauf an, dass die Bewegung wirklich richtig ausgeführt wird. Am Rückengerät zum Beispiel sollte man nicht mit geraden Rücken das Gewicht zurückdrücken, sondern die Wirbelsäule wirklich immer Stück für Stück abrollen. Man muss darauf achten, dass man die Bewegungsamplitude, die einem der Körper anbietet, auch nutzt. Das gilt aber sowohl an den Geräten als auch im freien Raum. An den Geräten haben wir ein isoliertes Training, sprich, wir können bestimmte andere Körperteile ausschalten und trainieren hauptsächlich den Bauch oder hauptsächlich die rückwärtige Partie. Wenn wir Übungen im freien Raum machen, haben wir ganze Muskelketten. Deshalb werden diese Übungen auch als Functional Training bezeichnet, weil sie in den Alltag etwas leichter integrierbar sind für den Kopf und für den Körper. Tatsächlich braucht man beides.
PTA-Forum: Wie kann man sich dazu motivieren, überhaupt mit Muskeltraining zu beginnen?
Heil: Muskelaufbau kann in jedem Alter stattfinden, das geht auch noch mit 80. Die Leute denken immer, ich bin schon viel zu alt dafür, jetzt ist es eh egal. Das stimmt aber nicht. Ich will ja gesund sein, um zu arbeiten, aber natürlich auch, um meine Freizeit genießen zu können. Wir haben ganz viele Leute, die haben ihr ganzes Leben gearbeitet und dann wollen sie in ihrer Rente Schönes erleben und können das dann nicht mehr, weil ihnen alles wehtut. Sie müssen sich beim Stadtbummel alle zehn Minuten hinsetzen, sie können nicht mehr in den Biergarten, weil sie auf keiner Bank mehr schmerzfrei sitzen können, auf Konzerte geht nicht mehr, weil auch das Stehen schmerzt. Die Lebensqualität geht einfach kaputt, wenn ich nichts für meinen Körper mache. Das sollte Anlass genug sein, sich zu motivieren. Das Ganze hat natürlich auch einen sozialen Aspekt. Hindern mich Schmerzen daran, an Unternehmungen teilzunehmen, verliere ich sozial den Anschluss. Und so kommt die Psyche noch mal verstärkt hinzu. Schmerz ist ja immer physiologisch, psychisch und sozial zu betrachten. Kommen alle drei Faktoren zusammen, dann wird es schwerer, das Ganze zu verarbeiten. Deshalb fängt man am besten ganz früh an, ein bisschen etwas für sich zu tun. Dabei muss man es nicht übertreiben. Wer nicht weiß, wie er die Kräftigung der Muskulatur angehen soll, kann sich an Fachleute wenden. Das sind tatsächlich nicht die Orthopäden, die sich um den passiven Bewegungsapparat kümmern, sondern das ist am besten ein Zentrum, das mit Sportwissenschaftlern und Physiotherapeuten arbeitet. Zweimal die Woche etwas Gescheites gemacht, ist mehr wert, als einfach nichts zu tun.
Kemmler: Ganz wichtig ist auch, sich klarzumachen, worauf man die eigenen Prioritäten setzen will. Bewegung darf ruhig ganz nach oben rücken, weg von »unter ferner liefen«. Denn Gesundheit ist einfach eine ganz feste Basis. Das muss fest im Kalender stehen.
PTA-Forum: Welche Übungen eignen sich für zwischendurch im Apothekenalltag in einem der Räume hinter dem HV?
Kemmler: Kräftigung ist in diesem Rahmen schwierig, aber toll und gut und leicht durchführbar ist die Bewegung der Wirbelsäule in alle Bewegungsrichtungen, die sie nun mal hat. Wir haben die Drehbewegung, also Rotation, wo man die Arme entspannt um den eigenen Körper herum pendelt. Dann gibt es die Seitenneige oder man greift sich streckend ganz hoch mit den Armen und rollt anschließend die Wirbelsäule ganz rund ab nach unten. Mit den Schultern kreisen eignet sich ebenfalls, damit man im Nacken nicht so verspannt, gern auch mal mit gestreckten Armen. Mit diesen wenigen Übungen hat man bereits den oberen und den unteren Rücken durchbewegt. Dann ist es gut, immer wieder auf die Zehenspitzen zu gehen, auf die Fersen, die Fußspitzen anzuziehen und die Komplettbewegung durchzuführen. Auf diese Weise hat man schon ein kleines Programm und damit schon viel getan ohne großen Aufwand. Das geht wirklich ganz einfach und überall zwischendurch.
PTA-Forum: Was hilft dabei, diese Übungen und auch ein Krafttraining auf Dauer beizubehalten?
Heil: Eine wichtige Sache ist die Gewohnheit. Wenn man mit Übungen beginnt, sie zwei oder drei Wochen macht und dann wieder nachlässt, hat man schon verloren. Am besten ist es, das zwei bis drei Monate kontinuierlich durchzuhalten, dann etabliert es sich als Gewohnheit und dann fehlt es auch, wenn man es mal nicht macht, und wird schließlich zur Notwendigkeit, die einfach zum Alltag gehört.
Kemmler: Um die ersten Monate durchzuhalten, kann auch das Handy hilfreich sein, das mich zum Beispiel zweimal am Tag daran erinnert, etwas zu tun. Denn anfangs vergessen die Leute das tatsächlich einfach schnell wieder. Irgendwann braucht man diesen Reminder dann nicht mehr. Und die Belohnung für die eigene Konsequenz ist groß: Muskulatur hilft nicht nur, Skelett und Muskeln gesund zu erhalten, sondern sie hält über verschiedene Hormone und Neurotransmitter auch Geist und Seele stabil. Regelmäßige Bewegung ist ein guter Zufluchtsort, um sich gesund zu halten, aber nicht nur im körperlichen Sinn.
PTA-Forum: Vielen Dank für das Gespräch.
Foto: PZ/Isabel Weinert
Blanca Kemmler in der Drehbewegung, einer Rotation, bei der man die Arme entspannt um den eigenen Körper herumpendelt.
Foto: PZ/Isabel Weinert
In eine weitere mögliche Richtung gelangt die Wirbelsäule durch die Seitenneige. Auch hier sollte man nur so weit gehen, wie man es schafft. Ehrgeiz ist fehl am Platz.
Foto: PZ/Isabel Weinert
Kemmler zeigt, wie man sich streckt, um im Anschluss die Wirbelsäule Schritt für Schritt nach unten rund abzurollen. Die Fußspitzen muss man dabei aber nicht zwingend erreichen.