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Gendermedizin

Frauenaugen werden anders krank

Auch in der Augenheilkunde hat sich die Gendermedizin mittlerweile als wichtiger Forschungsaspekt etabliert. Denn die unterschiedliche Anatomie und Hormone beeinflussen das Ausmaß und die Häufigkeit von Augenerkrankungen sowie die Reaktion auf Arzneimittel beträchtlich.
Barbara Erbe
25.11.2024  11:00 Uhr

»Für uns Augenärzte ist es wichtig, geschlechtsspezifische Unterschiede in der Augenheilkunde zu verstehen, um individuelle Behandlungsstrategien zu optimieren und die Patientensicherheit zu erhöhen«, berichtet Professorin Dr. Maya Müller, Ärztliche Direktorin des Instituts für Refraktive und Ophthalmo-Chirurgie (IROC) in Zürich, im Gespräch mit PTA-Forum. So ist beispielsweise die Hornhaut des Auges im Durchschnitt bei Frauen dünner und sensibler als bei Männern. Dabei spielen die Gene eine Rolle, vor allem aber der unterschiedliche Hormonhaushalt. So vermuten Wissenschaftler, dass der höhere Testosteronspiegel bei Männern zu einer anderen Gewebestruktur der Augenhornhaut führt, die sich möglicherweise auch auf deren Dicke auswirkt. Auch könnte Testosteron die Produktion von Kollagen und anderen Bindegewebsproteinen fördern, die die Hornhautdicke beeinflussen.

Auch die Menge und Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit unterscheidet sich bei Frauen und Männern. So führt der sinkende Estrogenspiegel bei Frauen nach der Menopause dazu, dass sich deren Tränenflüssigkeit verändert, sodass sie deutlich häufiger mit trockenen Augen zu kämpfen haben als Männer. Ebenso beeinflussen Schwankungen des Hormonspiegels während des Menstruationszyklus, die Einnahme hormoneller Verhütungsmittel oder eine Schwangerschaft die Produktion von Tränenflüssigkeit. Der meist höhere Testosteronspiegel der Männer wiederum geht mit einer stabileren Tränenproduktion und einer besseren Funktion der Meibomdrüsen einher, die Lipide für den Tränenfilm herstellen. Eine stabilere Lipidschicht verhindert das schnelle Verdunsten der Tränen und hält die Augen so feucht. Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass Frauen insbesondere nach der Menopause oft eine geringere Konzentration von Proteinen wie Lysozym oder Lactoferrin in der Tränenflüssigkeit aufweisen, die für die antibakterielle Abwehr und für die Stabilität des Tränenfilms eine Rolle spielen.

Frauen verlieren häufiger Sehvermögen

Die weltgrößte Datenbank für Augenheilkunde, das US-amerikanische IRIS Registry, zeigt, dass Frauen in den USA ein 15 Prozent höheres Risiko als Männer tragen, an Erblindungen oder Sehbehinderungen zu leiden. Frauen sind beispielsweise weltweit bis zu viermal häufiger vom Engwinkelglaukom betroffen, einer Form des Grünen Stars. »Das liegt zum Teil an anatomischen Unterschieden, da Frauen oft kleinere Augen und engere Vorderkammerwinkel haben«, erläutert Müller. An einer endokrinen Orbitopathie, einer Autoimmunerkrankung der Augenhöhle, die sich durch stark hervortretende Augen bemerkbar macht, leiden Frauen ebenfalls bis zu achtmal häufiger als Männer. »Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass autoimmune Schilddrüsenerkrankungen wie Morbus Basedow bei Frauen viel häufiger auftreten«, so Müller. Einen Grauen Star entwickeln Frauen ebenfalls häufiger, insbesondere nach den Wechseljahren. »Hier könnte der Rückgang von Estrogen als Schutzfaktor gegen oxidativen Stress im Auge eine Rolle spielen.« Dass Frauen von altersbedingter Makuladegeneration (AMD) besonders häufig betroffen sind, liegt wiederum nicht an Besonderheiten ihrer Augen, sondern schlicht daran, dass Frauen im Durchschnitt länger leben: laut allgemeiner Sterbetafel 83 Jahre, Männer dagegen nur 78,2 Jahre.

Therapietreue und Arzneimittelwirkung

Positiv für die Frauen: Sie zeigen oft eine bessere Compliance, zum Beispiel bei der Glaukomtherapie oder bei der AMD, heißt es in einer Erklärung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). »Frauen wenden die verschriebenen Tropfen im Durchschnitt regelmäßiger an und benötigten deshalb bei guter Compliance weniger Kontrolluntersuchungen«, so Müller.

Schließlich wirken auch viele Medikamente bei Frauen und Männern unterschiedlich. Bei Augentropfen etwa reagieren Frauen häufig sensibler auf bestimmte Wirkstoffe oder konservierende Zusatzstoffe. Aufgrund genetischer, hormoneller und biologischer Unterschiede könnte die Behandlung von Augenerkrankungen zunehmend geschlechtsspezifisch angepasst werden, betont die DOG. »Möglicherweise gibt es in Zukunft spezialisierte Augentropfen für Männer und Frauen, die auf unterschiedliche biologische Mechanismen abzielen.«

Momentan allerdings berücksichtigten noch viel zu wenige Studien das Geschlecht ausreichend beziehungsweise werteten sie geschlechtsspezifische Daten nicht systematisch aus. »Pharmakologische Studien werden nach wie vor zunächst mit männlichen Mäusen und später mit Männern durchgeführt«, berichtet die Ophthalmologin und Augenchirurgin Müller. Dabei sei längst erwiesen, dass die Verstoffwechslung über die Leber bei Frauen anders verlaufe als bei Männern, ebenso die Magen-Darm-Passage. Als besonderes Beispiel erinnert sie an das Schlafmittel Zolpidem, das in den USA lange Zeit pauschal mit 10 mg dosiert wurde. Weil Frauen den Wirkstoff aber langsamer abbauen als Männer, wirkte das Mittel bei ihnen nach Einnahme am Abend oft bis in den nächsten Tag. Erst als sich zeigte, dass Frauen unter Zolpidem signifikant häufiger gravierende Nebenwirkungen hatten und sogar vermehrt Autounfälle verursachten, wurde das Medikament zwischenzeitlich vom Markt genommen. Heute ist es wieder zugelassen, die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA empfiehlt allerdings für Frauen eine Tagesdosis von 5 mg.

Eine wichtige Maßnahme, um solchen Dosierfehlern vorzubeugen, ist die geschlechtsspezifische Rekrutierung von Studienteilnehmern, um Erkenntnisse auf beide Geschlechter ausdehnen zu können. Große Hoffnungen setzt die DOG dabei in zukünftige Forschung und Anwendung von Big Data, künstlicher Intelligenz (KI) und personalisierter Medizin, die die Entwicklung dieses Bereiches weiter vorantreiben könnten. So ließe sich eine präzisere und effektivere Behandlung gewährleisten. Auch Müller betont: »KI ermöglicht präzisere Auswertungen – und am Ende profitieren beide Geschlechter von einer optimierten, personalisierten Therapie.«

Langzeitstudien fehlen

Viele Augenärztinnen und Augenärzte seien jedoch bisher nicht ausreichend geschult, geschlechtsspezifische Faktoren einzubeziehen. Vor allem aber sei noch nicht genügend erforscht, was das konkret für Therapie und Prävention bedeutet, betont Ophthalmologin Müller. »Es fehlen detaillierte Langzeitstudien, die Unterschiede in Bezug auf Häufigkeit, Krankheitsverlauf und Therapieergebnisse analysieren. Und es fehlen Richtlinien, die geschlechterspezifische Therapieansätze vorschlagen.« Auch an den medizinischen Fakultäten sei geschlechtersensible Lehre noch viel zu selten Bestandteil des Curriculums.

Dabei habe die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte direkte positive Auswirkungen auf die Behandlung von Patientinnen. So könnten durch das Wissen um spezifische Risikofaktoren frühzeitig Präventionsmaßnahmen ergriffen und Früherkennungsstrategien entwickelt werden. Auch profitierten Patientinnen von personalisierten und auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmten Therapieformen. Schließlich ermögliche eine geschlechtsspezifische Herangehensweise, Nebenwirkungen zu minimieren und die Therapietreue zu verbessern – langfristig ein Gewinn für die Lebensqualität, besonders bei chronischen Augenerkrankungen.

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