Frisch und sauber essen |
Frisch, bunt, unverarbeitet: Clean Eating beginnt beim Einkauf. / © Getty Images/Hinterhaus Productions
Eine mehrjährige Studie der Universität Jena hat jüngst gezeigt, dass jeder sechste Todesfall in Europa auf eine unausgewogene Ernährung zurückzuführen ist. Da ernährungsbedingte Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Gicht und Übergewicht, aber auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten immer weiter auf dem Vormarsch sind, suchen inzwischen mehr und mehr Menschen eine Kostform, die mit weniger gesättigten Fetten, Zucker, Salz und vor allem Zusatzstoffen auskommt.
Ursprünglich Anfang der 2000er-Jahre von der kanadischen Ernährungstherapeutin Tosca Reno geprägt, wurde der Begriff »Clean Eating« inzwischen vielfach variiert. Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht, jedoch große Überschneidungen mit der althergebrachten Vollwertkost. Wer im engeren Sinne clean, also sauber, isst, meidet stark verarbeitete Lebensmittel und Zusatzstoffe und setzt stattdessen auf frische, vollwertige und möglichst naturbelassene Nahrung.
Fleisch, Fisch und tierische Produkte sind nicht ausgeschlossen, werden aber nur in Maßen empfohlen. Etwas weiter gefasst schließt die Idee auch eine möglichst geringe Belastung der Nahrungsmittel durch Pflanzenschutzmittel beziehungsweise Arzneimittel in der Tiermast mit ein. Last, but not least ist Clean Eating überwiegend auch eine nachhaltige Ernährungsweise, da vor allem frische regionale Lebensmittel verzehrt werden. Das bedeutet in vielen Fällen: keine langen Transportwege und wenig Verpackung.
Regional und saisonal zu essen heißt, wiederzuentdecken, was nur jahreszeitlich begrenzt angeboten wird, beispielsweise Stachelbeeren, Mairübchen oder Schwarzwurzeln. Bei Obst und Gemüse ist in der EU eine Herkunftsangabe verpflichtend, sie ist also auf dem Schild am Regal oder der Verpackung zu finden. Das Bundeszentrum für Ernährung stellt auf seiner Website zudem einen Saisonkalender zur Verfügung. Ein Tipp: Durch Fermentieren lässt sich regionales Gemüse ohne Energiezufuhr für die Wintermonate, in denen die Auswahl heimischer Sorten begrenzt ist, haltbar machen. Sauerkraut oder Kimchi sind also nicht nur gesund, sondern passen auch gut zu einer klimafreundlichen Ernährung.
Trotz hoher gesetzlicher Standards in der Europäischen Union finden sich in den Supermärkten verschiedene Obst- und Gemüsesorten, die besonders stark mit Pestiziden belastet sind. Ähnlich wie die US-amerikanische »Environmental Working Group«, die den Begriff des »Dirty Dozen« (»Das dreckige Dutzend«) geprägt hat, veröffentlicht auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) jedes Jahr eine »Nationale Berichterstattung zu Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln«.
Darin enthalten ist ebenfalls eine Liste von pflanzlichen Lebensmitteln, die die zulässige Menge an Pestiziden überschreiten. Im Jahr 2023 (veröffentlicht 2025) waren folgende Obst- und Gemüsesorten am meisten belastet: Erdnüsse, Mangos, Bohnen mit Hülsen, Bohnen (getrocknet), Kirschen, Tees, frische Kräuter, Johannisbeeren, Rucola, Zucchini, Spinat, Pflaumen, Pfeffer, Leinsamen, Limetten und Himbeeren (Reihenfolge nach abnehmender Pestizid-Belastung).
Bei diesen Sorten lohnt sich also der Griff zu Bioware besonders. Erfreulich: Bei vielen Lebensmitteln, die in Deutschland in großen Mengen verzehrt werden, beispielsweise Äpfel, Erdbeeren, Karotten, Kartoffeln oder Tomaten, fand das BVL wie in den Vorjahren keine oder nur geringe Überschreitungen des Rückstandshöchstgehalts, sprich der höchsten zulässigen Menge eines Pestizidrückstands in oder auf Lebensmitteln.
Auch auf die richtige Verpackung gilt es, in Sachen Clean Eating zu achten. Beispiel Hülsenfrüchte: Das umfangreiche Sortiment an Bohnen, Linsen und Erbsen sollte möglichst frisch, tiefgekühlt oder als Trockenprodukt gekauft werden. Denn Konservendosen können schädliche Substanzen wie Bisphenol A an den Inhalt abgeben. Ware in Gläsern ist ebenfalls nicht belastet, allerdings: Laut einer Untersuchung des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) sind die Produktion und das Einschmelzen von Einweggläsern noch energieaufwendiger als von Konservendosen. Verbundkartons und Schlauchbeutel, die beispielsweise für passierte Tomaten und Rotkraut im Handel sind, gelten – obwohl nicht recyclingfähig – als nachhaltigste Konservenverpackung.
Brot kann beim Clean Eating selbst gebacken werden. Wer Backwaren kaufen möchte, setzt besser auf traditionelle Handwerksbäckereien. Sogenanntes Industriebrot aus Backstationen im Supermarkt wird gefroren und halbfertig dort angeliefert, vor Ort fertig gebacken und als frisches Brot beworben. Für eine schnelle Gärung des Teiges darf eine Vielzahl von Enzymen zugesetzt werden, die in der Zutatenliste nicht deklariert werden müssen. Empfindliche Personen können nach dem Verzehr eventuell mit Verdauungsproblemen reagieren. Handwerklich hergestelltes Sauerteigbrot ist durch eine lange Reifezeit von 24 oder mehr Stunden bekömmlicher. Vergärbare, blähungsfördernde FODMAPs (Fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole) werden dadurch verträglicher. Auch der Antinährstoff Phytinsäure aus den Randschichten der Getreidekörner, der im Darm Mineralstoffe wie Eisen, Zink, Calcium und Magnesium an sich binden und dem Körper so entziehen kann, wird bei der Reifung abgebaut.
Während die in Backwaren verwendeten Getreidesorten wie Dinkel, Weizen und Roggen hierzulande angebaut werden, ist deutscher Reis eine Rarität. 95 Prozent der Reisproduktion finden in Südostasien statt. Dort stößt der Reisanbau genauso viel Treibhausgas aus wie der Verkehrssektor. Unnötig weite Transportwege lassen sich vermeiden, wenn auf europäische Herkunftsländer wie Italien oder Frankreich geachtet wird.
Problematisch für Clean Eater ist aber vor allem, dass Reis auf unter Wasser stehenden Feldern angebaut wird. Mehr als andere Nutzpflanzen nimmt er so über die Wurzeln anorganische, als krebserzeugend geltende Arsenverbindungen auf. Diese reichern sich überwiegend in den Randschichten des Reiskorns an, sodass Vollkornreis stärker belastet ist als geschälter, weißer Reis. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt, Reis regelmäßig mit anderen Getreiden zu variieren, vor dem Garen gründlich zu waschen und nicht nach der Quellmethode, sondern in reichlich Wasser zu kochen. Hilfreich ist auch, das Wasser nach einigen Minuten Kochzeit abzugießen und durch neues zu ersetzen.
Experten raten, den Vollkornhunger besser mit anderen Getreidesorten zu stillen. Wer glutenfrei isst, wählt aus Hirse, Mais oder den Pseudogetreiden Buchweizen, Amaranth und Quinoa. Die beiden letzten sollten vor dem Kochen heiß gewaschen werden, um für den Menschen gesundheitsschädliche Fraßschutzstoffe wie Saponine auszuwaschen. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte beim Verzehr von Amaranth und Quinoa auch berücksichtigt werden, dass beide meist aus Südamerika importiert werden.
Nüsse, Samen und pflanzliche Öle aus Oliven-, Raps- und Leinsaat versorgen den Organismus mit teils essenziellen ein- und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Häufig sind jedoch auch unerwünschte Stoffe enthalten. Wer sich bei den Verbraucherzentralen informiert oder Testergebnisse von Verbrauchermagazinen wie Stiftung Warentest und Öko-Test berücksichtigt, findet Produkte, die weniger mit Pestiziden oder Mineralölrückständen belastet sind.
Bei Milchprodukten beziehungsweise pflanzlichen Alternativen werden im Rahmen des Clean-Eating-Konzepts wenig verarbeitete Lebensmittel ohne Zuckerzusatz gewählt. Beispielsweise wird auf abgepackten Käse mit Farb- und Konservierungsstoffen verzichtet. Gesüßter Fruchtjoghurt bleibt im Supermarktregal und auch Light-Produkte sind aufgrund eines höheren Verarbeitungsgrades weniger clean als die Vollfettvarianten.
Auch wenn Clean Eater dafür tiefer in den Geldbeutel greifen müssen, sollten Eier, Fleisch, Geflügel und Fisch in Bioqualität eingekauft werden. Die EU-Bio-Verordnung regelt sowohl die Fischzucht in ökologischer Aquakultur als auch, dass Rinder, Schweine, Geflügel und Co. in ökologischer Tierhaltung artgerecht gehalten und gefüttert werden. Medikamente kommen nur sehr begrenzt zum Einsatz und Antibiotika nicht prophylaktisch.
Meist werden bei der Viehzucht regionale Futtermittel verwendet, bei deren Anbau auf chemische Düngemittel verzichtet wird. So punktet Biofleisch auch mit weniger Rückständen und besserem Fettsäuremuster. Bei der Menge sollte man sich einschränken: Hierzulande wird generell zu viel Fleisch gegessen; das kann ernährungsbedingte Krankheiten begünstigen.
Gern gesehen ist in der Küche, was möglichst pur ankommt und dort nährstoffschonend verarbeitet wird. Für Personen, die bislang wenig gekocht haben, mag das zunächst nach viel Aufwand klingen. Eine schlaue Einkaufsplanung und Vorkochen nach dem Meal-Prep-Prinzip vereinfachen den Alltag dabei enorm. Um den Überblick zu behalten, gilt im Supermarkt die einfache Faustregel, Produkte ohne oder mit kurzer Zutatenliste zu wählen: Nahrungsmittel, die aus mehr als fünf Zutaten hergestellt sind, gelten als nicht clean.
Wer auswärts nach sauberem Essen sucht, kann dem Trend des sogenannten Bowl Foods folgen und eine Schüssel mit Quinoa oder Reis wählen, bestückt mit Gemüse, Hülsenfrüchten und Obst und eventuell auch Fisch oder Fleisch.
Studien zufolge korreliert der Verzehr von Gemüse, Obst, Vollkorn und die damit erhöhte Zufuhr von Ballaststoffen mit der Verringerung chronischer Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Krebs. Mit vollwertiger Ernährung nimmt man, wie Untersuchungen zeigen, zudem generell weniger Kalorien auf.
Das Darmmikrobiom profitiert gleich doppelt: Während man beim Clean Eating auf entzündungsfördernde Zusatzstoffe, beispielsweise Emulgatoren, verzichtet, fördert die pflanzenbetonte Ernährung die Artenvielfalt im Darm. Der Konsum von pflanzlicher Kost, magerem Fleisch und Fisch, begleitet von einer reduzierten Aufnahme verarbeiteter Lebensmittel, war in Studien außerdem mit einem selteneren Auftreten psychischer Erkrankungen assoziiert.
So gesund der Trend auch ist, er birgt auch Risiken. Wer sich in seiner Ernährung zu strikt und starr auf saubere Lebensmittel fixiert, schränkt die Auswahl stark ein, verliert bisweilen an Gewicht und kann sogar eine Essstörung entwickeln. Zwar ist die Orthorexia nervosa bislang keine offiziell anerkannte klinische Diagnose, aber laut Untersuchungen denken Betroffene übermäßig viel bis zwanghaft über die Qualität ihrer Nahrung nach. Der Gedanke, etwas Ungesundes zu essen, ängstigt sie. Für niemanden sollten daher die Regeln des Clean-Eating-Konzepts in Stein gemeißelt sein. Wer entspannt damit umgeht und auch mal davon abweicht, schadet weder sich selbst noch dem Klima.