Frühere Diagnose, bessere Prognose |
Händezittern ist ein typisches Symptom von Morbus Parkinson. Schon Jahrzehnte, bevor es auftritt, lassen sich Veränderungen im Gehirn beobachten. / Foto: Adobe Stock/Satjawat
Das kleine, lösliche Protein α-Synuclein (auch α-Synuklein, SNCA) reguliert unter anderem die Dopamin-Ausschüttung. Es ist aber auch ein Transportprotein, weil es Membrankanäle bilden kann. Bei Menschen mit einer Parkinsonerkrankung kommt es zu einer Fehlfaltung dieses Proteins, es lagert sich daraufhin mit anderen α-Synuclein-Molekülen zusammen und verklumpt. Der Prozess der Fehlfaltung und Verklumpung ist für die Nervenzellen schädlich, führt zu Fehlfunktionen und schlussendlich zu ihrem Absterben.
Bisher kommen Betroffene für die Diagnose in der Regel erst dann zu einem Arzt, wenn sie die klassischen motorischen Symptome wie Bewegungsverlangsamung, Steifigkeit und Ruhezittern bemerken. Zu diesem Zeitpunkt läuft der Erkrankungsprozess im Gehirn aber schon viele Jahre. »Wir sind also eigentlich zu spät mit der Diagnose, weil schon viele Nervenzellen untergegangen sind«, erklärt Privatdozentin Dr. Kathrin Brockmann, Oberärztin und Leiterin der Parkinson-Ambulanz am Universitätsklinikum Tübingen und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG).
Zwar gibt es noch keine ursächliche Therapie für Parkinson-Patienten. Aber eine frühzeitige Diagnose wäre hilfreich, um das Fortschreiten der Krankheit zumindest verlangsamen zu können. Weltweit wird daher an zuverlässigen Diagnosetests geforscht, um α-Synuclein bei den Betroffenen nachzuweisen.
Einer im Mai im Fachmagazin »The Lancet Neurology« veröffentlichten Studie zufolge lässt sich nun das fehlgefaltete Protein α-Synuclein schon vor Ausbruch der motorischen Symptome bei Menschen mit Parkinson in deren Nervenwasser nachweisen. »Diese Möglichkeit, die auf einer Reihe von internationalen Untersuchungen der letzten Jahre aufbaut, ist ein Meilenstein für die Parkinson-Forschung und trägt ganz wesentlich zur Etablierung von Biomarkern und zur Entwicklung neuer Therapien bei«, betont Brockmann im Gespräch mit PTA-Forum.
Eine wichtige Erkenntnis der Parkinsonforschung der vergangenen Jahre ist, dass die zum Nervenzellsterben und den klinischen Symptomen führenden Veränderungen schon Jahre bis Jahrzehnte im Körper der Betroffenen sind und sich langsam ausbreiten, bevor die typischen motorischen Symptome eine Diagnosestellung erlauben. Denn weil die Diagnose einer Parkinsonerkrankung bislang rein klinisch gestellt wird, haben Betroffene oftmals schon bis zu 20 Jahre zuvor uncharakteristische Frühsymptome (Prodromi), etwa Verstopfung oder eine verminderte Geruchswahrnehmung. Auch eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung kommt vor, eine Traum-Schlaf-Störung, in der insbesondere negative Trauminhalte und Alpträume zu starken Abwehrreaktionen und damit Bewegungen führen. Diese können für die Betroffenen selbst oder den Bettpartner gefährlich werden.
»Wüssten die Personen schon zu diesem Zeitpunkt von ihrer Gefährdung, könnten sie mit Lebensstilveränderungen wie mehr körperlicher Aktivität, vollwertiger Ernährung (Vitamin- und polyphenolhaltig) und besserer Schlafhygiene, aber auch mit symptomreduzierenden Medikamenten gegensteuern und den Krankheitsverlauf verlangsamen«, betont auch Professor Dr. Daniela Berg, Direktorin der Klinik für Neurologie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.
Der nun mögliche Nachweis im Liquor stellt damit einen beträchtlichen Fortschritt in der Diagnostik dar. Noch praktikabler als eine Nervenwasserpunktion, die als invasive Untersuchung oft gescheut wird, wäre jedoch ein Bluttest auf Parkinson. Dr. Annika Kluge aus der Kieler Arbeitsgruppe von Berg sowie Dr. Eva Schäffer gelang es in Zusammenarbeit mit einem Team der Biochemie, in Patientenblut sogenannte α-Synuclein-Seeds in neuronalen Vesikeln nachzuweisen. Neuronale Vesikel sind von Nervenzellen abgeschnürte kleinste Bläschen, die vom Gehirn ins Blut abgegeben werden. Aus diesen wurde fehlgefaltetes α-Synuclein isoliert und vervielfältigt – ein vielversprechender Ansatz, der im Sommer vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Aktuell berichtet nun auch die Zeitschrift »Nature Medicine« vom Nachweis der α-Synuclein-Seeds in Patientenblut durch eine Forschungsgruppe aus Japan und Luxemburg – sowohl bei symptomatischer als auch bei prodromaler Parkinson-Erkrankung.
»Viele Wege können zum Ziel führen. Wann der erste Bluttest im klinischen Alltag zur Verfügung steht, ist im Moment noch schwer einzuschätzen«, so Berg, die auch stellvertretende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) ist. »Vor dem routinemäßigen Einsatz in der Klinik müssen alle Testverfahren zunächst an großen Kohorten evaluiert und validiert werden, um die Sicherheit im Hinblick auf die Diagnosestellung nachzuweisen.«
Angesichts der Verbreitung von Morbus Parkinson wäre ein frühzeitiges Screening, beispielsweise bei über 50-jährigen Personen mit REM-Schlaf-Verhaltensstörung, eine große Hilfe bei der Eindämmung der Krankheit. »Heute schon haben weltweit 6,2 Millionen Menschen Morbus Parkinson«, betont Berg. »Im Jahr 2040 wird mit 14 Millionen Betroffenen gerechnet.« Ein früher Test würde nicht nur die Diagnosestellung, sondern auch die Planung von Parkinson-Studien und schlussendlich die Behandlung der Patienten deutlich verbessern.