Fünf im Monat Mai |
Sven Siebenand |
07.05.2025 16:00 Uhr |
Anfang Mai sind fünf neue Arzneistoffe für verschiedene Indikationen an den Start gegangen. / © Getty Images/AlexStepanov
Der neue Wirkstoff Tiratricol (Emcitate®, Egetis Therapeutics) ist ein natürlich zirkulierender Metabolit von aktivem T3. Er ist aber nicht auf MCT8 angewiesen, um sich in und aus den Zellen zu bewegen. Daher wird davon ausgegangen, dass das Arzneimittel bei Patienten mit MCT8-Mangel in die Körperzellen eindringt und das fehlende T3-Hormon ersetzt. Dies trägt dazu bei, die normale Aktivität der Schilddrüsenhormone im Körper wiederherzustellen. Es handelt sich um das erste in der EU zugelassene Medikament bei MCT8-Defizienz.
Das Allan-Herndon-Dudley-Syndrom wird mit AHDS abgekürzt und darf nicht mit ADHS verwechselt werden. Bei der genetischen Erkrankung funktioniert der Schilddrüsenhormontransporter MCT8 (Monocarboxylat Transporter 8) nicht mehr. Deshalb wird die Erkrankung oft auch als MCT8-Defizienz bezeichnet. Die Schilddrüsenhormone T3 und T4 können bei der Erkrankung nicht vom Blut in bestimmte Organe, zum Beispiel ins Gehirn, transportiert werden. Die Folge ist einerseits die Unterversorgung bestimmter Gehirnareale mit Schilddrüsenhormonen. Die Erkrankung manifestiert sich daher als schwere Entwicklungsstörung des Gehirns. Andererseits werden andere Organe überversorgt, wodurch sich eine peripheren Thyreotoxikose entwickelt. Typisch sind Symptome einer Hyperthyreose wie Tachykardie.
Zugelassen ist das Arzneimittel ab der Geburt für die Behandlung der peripheren Thyreotoxikose bei AHDS. Emcitate sind Tabletten zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen. Das Medikament wird ein- bis dreimal pro Tag verabreicht. Die Tabletten sollten in einer kleinen Menge Wasser gemischt und anschließend durch eine Spritze in den Mund oder über eine Ernährungssonde gegeben werden. Die Anfangsdosis hängt vom Körpergewicht des Patienten ab. Die Dosis wird schrittweise alle zwei Wochen erhöht, bis der T3-Spiegel im Blut ausreichend gesenkt ist.
Die am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen von Tiratricol sind Hyperhidrose, Durchfall, Reizbarkeit, Angstzustände und Albträume. Diese Nebenwirkungen treten in der Regel zu Beginn der Behandlung oder bei Erhöhung der Dosis auf und klingen normalerweise innerhalb weniger Tage ab. Emcitate darf nicht zur Behandlung anderer Ursachen von Hyperthyreose angewendet werden. Zudem ist es bei Schwangeren kontraindiziert.
Nach Marstacimab im Februar kam nun mit Concizumab (Alhemo®, Novo Nordisk) der zweite Antikörper gegen den sogenannten Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI) im extrinsischen Gerinnungsweg auf den deutschen Markt. TFPI ist ein Antikoagulationsprotein, das die Aufgabe hat, die Bildung von Blutgerinnseln zu verhindern. Marstacimab und Concizumab bremsen die gerinnungshemmende Funktion von TFPI aus.
Dadurch wird die Faktor-Xa-Bildung erhöht, selbst wenn kein Faktor VIII oder IX – wie bei Hämophilie A beziehungsweise B – vorhanden ist, was zu einer erhöhten Thrombinproduktion und Gerinnungsbildung führt, wodurch die Mängel im intrinsischen Gerinnungsweg umgangen werden. Die beiden Antikörper stützen also den extrinsischen Weg der Blutgerinnung und gleichen so Defizite aus, die bei Hämophilie A und B im intrinsischen Weg vorliegen.
Während der Wirkmechanismus identisch ist, unterscheiden sich die beiden Wirkstoffe im Zulassungsgebiet. Marstacimab ist für die routinemäßige Prophylaxe von Blutungsepisoden bei Patienten mit schwerer Hämophilie A oder B ab einem Alter von zwölf Jahren und einem Mindestgewicht von 35 kg vorgesehen. Inhibitoren gegen Faktor VIII beziehungsweise IX dürfen nicht vorliegen. Concizumab kommt dagegen ab einem Alter von zwölf Jahren zur Routineprophylaxe von Blutungen bei Patienten mit Hämophilie A oder B mit Hemmkörpern zum Einsatz.
Concizumab wird einmal täglich subkutan injiziert. Am ersten Tag der Behandlung wird eine Anfangsdosis verabreicht, die sich nach dem Körpergewicht des Patienten richtet. Ab dem zweiten Tag wird eine niedrigere Dosis verabreicht. Nach vierwöchiger Behandlung wird die Dosis basierend auf der Konzentration von Concizumab im Blut angepasst. Weitere Informationen dazu finden sich in der Fachinformation von Alhemo.
Nach einer entsprechenden Schulung können die Patienten sich selbst spritzen, am besten in den Bauch oder Oberschenkel. PTA und Apotheker können dazu raten, die Injektionsstelle täglich zu wechseln. Vor der ersten Anwendung wird Alhemo im Kühlschrank bei 2 bis 8 Grad Celsius gelagert. Nach der ersten Anwendung kann der Fertigpen bis zu vier Wochen bei einer Temperatur von bis zu 30 Grad Celsius gelagert werden.
Er sollte mit aufgesetzter Kappe aufbewahrt werden, um die Lösung vor Licht zu schützen. Dagegen sollte er nicht mit aufgeschraubter Nadel gelagert werden. Dies gewährleistet eine genaue Dosierung und verhindert Kontamination, Infektion und Auslaufen. Sehr häufig kommt es unter Concizumab zu Reaktionen an der Injektionsstelle, häufig zu Überempfindlichkeit.
Der Wirkstoff Repotrectinib (Augtyro®, Bristol-Myers Squibb) kommt einerseits als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit fortgeschrittenem ROS1-positivem, nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) zum Einsatz. Andererseits besteht eine Zulassung für die Monotherapie von fortgeschrittenen soliden Tumoren mit neurotropher Tyrosin-Rezeptor-Kinase-(NTRK-)Genfusion bei Erwachsenen und pädiatrischen Patienten ab zwölf Jahren, die zuvor einen NTRK-Inhibitor erhalten oder die bisher keinen NTRK-Inhibitor erhalten haben und bei denen Therapieoptionen, die nicht auf NTRK abzielen, einen begrenzten klinischen Nutzen bieten oder ausgeschöpft sind.
Neu ist der Wirkmechanismus von Repotrectinib nicht. Wie die bereits seit Längerem verfügbaren Kinasehemmer Larotrectinib und Entrectinib ist auch Repotrectinib ein NTRK-Hemmer und wie Entrectinib hemmt der Neuling unter anderem auch die Kinase ROS1. Durch die Blockade dieser Proteine wird die Vermehrung der Krebszellen und damit das Tumorwachstum beeinträchtigt.
In beiden Indikationen beträgt die empfohlene Dosis von Repotrectinib in den ersten 14 Tagen 160 mg einmal täglich. Danach wird die Dosierung auf 160 mg Wirkstoff zweimal täglich erhöht. Die Fachinformation von Augtyro nennt Details zu möglichen Dosisanpassungen aufgrund von Nebenwirkungen. Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen sind Benommenheit, Dysgeusie, Obstipation, Parästhesie, Anämie und Dyspnoe.
Auch in Sachen Wechselwirkungen ist einiges zu beachten. So erhöht die gleichzeitige Anwendung von Repotrectinib mit einem starken oder moderaten CYP3A-/P-gp-Inhibitor die Plasmakonzentration des Kinasehemmers, was das Risiko von Nebenwirkungen erhöhen kann. Diese Kombination sollte daher vermieden werden.
Zudem sollten Anwender auf den Verzehr von Grapefruit verzichten. Die gleichzeitige Anwendung von Repotrectinib mit einem starken oder moderaten CYP3A-/P-gp-Induktor verringert die Plasmakonzentration des Krebsmedikaments, was seine Wirksamkeit reduzieren kann. Auch diese Kombination ist daher zu meiden.
Repotrectinib kann bei Verabreichung an Schwangere den Fetus schädigen. Vor Einleitung der Therapie müssen Frauen im gebärfähigen Alter daher einen Schwangerschaftstest machen. Zudem müssen sie während der Behandlung und für zwei Monate nach der letzten Dosis eine hochwirksame Verhütungsmethode anwenden. Dabei ist zu beachten, dass Repotrectinib die Wirksamkeit oraler Kontrazeptiva herabsetzen kann.
Männliche Patienten mit Partnerinnen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und für vier Monate nach der letzten Dosis Kondome verwenden. Das Stillen sollen Frauen während der Behandlung mit Augtyro und für zehn Tage nach der letzten Dosis unterbrechen.
Sowohl bei Frauen als auch bei Männern sind Lungenkarzinome die häufigste krebsbedingte Todesursache. Etwa 12 bis 15 Prozent der Lungenkarzinome werden dem kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC) zugeordnet. Rauchen ist die Ursache von 85 Prozent der SCLC-Fälle und damit Hauptrisikofaktor. Mit Serplulimab (Hetronifly®, Accord Healthcare) ist ein neuer Antikörper für die Erstlinientherapie erwachsener Patienten mit SCLC im fortgeschrittenen Stadium auf den Markt gekommen. Er wird mit Carboplatin und Etoposid kombiniert.
Serplulimab ist ein sogenannter Checkpoint-Inhibitor für die Krebsimmuntherapie. Er bindet an den Rezeptor PD-1. Dieser Rezeptor ist ein inhibitorischer Immuncheckpoint und nachweislich an der Steuerung der T-Zell-Immunreaktion beteiligt. Durch die Bindung von PD-1 an dessen Liganden PD-L1 und PD-L2 werden aktivierte T-Zellen herunterreguliert. Das schützt den Körper vor überschießenden Immunreaktionen.
Wenn sich allerdings Tumoren den Mechanismus zunutze machen und PD-L1 und PD-L2 exprimieren, dann gelingt es ihnen, dem Angriff des Immunsystems zu entkommen. Durch die Bindung von Serplulimab an den PD-1-Rezeptor auf T-Zellen wird die Interaktion von PD-1 mit dessen Liganden blockiert und ermöglicht eine Aufrechterhaltung der T-Zell-Proliferation und Zytokinsekretion in der Mikroumgebung des Tumors und damit eine aktive Antitumorreaktion.
Dieser Wirkmechanismus ist bereits von vielen anderen Antikörpern seit Jahren bekannt. Auch die Antikörper Atezolizumab und Durvalumab werden bei SCLC eingesetzt wie Serplulimab. Sie hemmen allerdings nicht den PD-1-Rezeptor, sondern den Liganden PD-L1.
Serplulimab wird als intravenöse Infusion verabreicht. Die empfohlene Dosis beträgt 4,5 mg/kg Serplulimab alle drei Wochen bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder bis zu einer inakzeptablen Toxizität. Bei der Verabreichung in Kombination mit einer Chemotherapie bestehend aus Carboplatin und Etoposid sollte Serplulimab zuerst verabreicht werden, gefolgt von der Chemotherapie am selben Tag.
Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen sind Neutropenie, Leukopenie, Anämie, Thrombozytopenie, Alopezie, Übelkeit, Hyperlipidämie, verminderter Appetit, Hypoproteinämie und Hyponatriämie. Frauen im gebärfähigen Alter sollten während der Behandlung und mindestens sechs Monate nach der letzten Dosis eine wirksame Empfängnisverhütung anwenden. Es wird nicht empfohlen, den Antikörper während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter anzuwenden, die keine wirksamen Verhütungsmittel anwenden.
Es ist nicht bekannt, ob der IgG4-Antikörper Serplulimab in die Muttermilch übergeht. Humane IgGs gehen bekanntlich in den ersten Tagen nach der Geburt in die Muttermilch über, wobei die Konzentrationen bald auf ein niedriges Niveau absinken. Folglich kann in diesem kurzen Zeitraum ein Risiko für den gestillten Säugling nicht ausgeschlossen werden. Danach kann Serplulimab während der Stillzeit angewendet werden, wenn dies klinisch erforderlich ist.
Bei der hereditären Transthyretin-vermittelten Amyloidose (hATTR) ist infolge einer Genmutation Transthyretin, das Transporteiweiß des Schilddrüsenhormons Thyroxin, defekt. Das schadhafte Transthyretin lagert sich im Gewebe und Organen ab, etwa in peripheren Nerven, dem Magen-Darm-Trakt, den Nieren und dem Herzen. Die normale Funktion der Organe wird dadurch behindert.
Bereits einige Arzneistoffe sind zur Behandlung dieser schweren Erkrankung zugelassen. Der neue Wirkstoff Eplontersen (Wainzua®, Astra-Zeneca) darf wie Patisiran, Vutrisiran und Inotersen zur Behandlung der hATTR bei Erwachsenen mit Polyneuropathie der Stadien 1 und 2 zum Einsatz kommen. Das heißt, ein neues Anwendungsgebiet wird durch den Neuling nicht erschlossen. Auch das Wirkprinzip ist nicht neu.
Wie Inotersen ist auch Eplontersen ein sogenanntes Antisense-Oligonukleotid. Es ist einzelsträngig und exakt komplementär zu einer kurzen mRNA-Sequenz, die für das Protein Transthyretin codiert. Durch die selektive Bindung von Eplontersen an die Transthyretin-mRNA wird die Translation in ein funktionsfähiges Protein unterbunden. Auf diesem Weg kann die Produktion des fehlerhaften Proteins unterbunden werden.
Laut Fachinformation von Wainzua kann der Arzt die Behandlung bei Patienten, deren Erkrankung zu Polyneuropathie Stadium 3 fortschreitet, fortsetzen, wenn der Nutzen gegenüber den Risiken überwiegt.
Eplontersen wird einmal monatlich subkutan verabreicht. Empfohlen wird eine Dosierung von 45 mg. Das Arzneimittel kann von den Patienten selbst oder deren Betreuungspersonen injiziert werden; die erste Injektion sollte jedoch unter Anleitung von medizinischem Fachpersonal erfolgen.
Erfolgt die Spritze durch den Patienten, dann wird die Applikation in den Bauch oder Oberschenkel empfohlen. Betreuungspersonen können auch in die Rückseite des Oberarms injizieren. Der Fertigpen sollte mindestens 30 Minuten vor der Anwendung aus dem Kühlschrank entnommen werden, um vor Injektion Raumtemperatur zu erreichen. Andere Aufwärmmethoden dürfen nicht angewendet werden.
Eine sehr häufige Nebenwirkung von Wainzua ist ein verminderter Vitamin-A-Spiegel. Patienten wird daher eine Supplementierung von ungefähr 2500 bis 3000 IE Vitamin A pro Tag empfohlen. Eine weitere häufige Nebenwirkung von Eplontersen ist Erbrechen.
Wainzua reduziert wie gesagt den Plasmaspiegel von Vitamin A, das für die normale Entwicklung des Fötus entscheidend ist. Es ist nicht bekannt, ob eine Vitamin-A-Supplementierung ausreicht, um das Risiko für den Fötus zu verringern. Aus diesem Grund muss eine Schwangerschaft vor Einleitung der Behandlung ausgeschlossen werden und Frauen im gebärfähigen Alter müssen eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. In der Stillzeit muss eine Entscheidung getroffen werden, ob das Stillen zu unterbrechen ist oder ob auf die Behandlung mit Wainzua verzichtet werden soll beziehungsweise die Behandlung zu unterbrechen ist.