Für immer jung? |
Niemand entkommt lebend dem Altern. Möglichst gesund alt zu werden, liegt zumindest teilweise in den eigenen Händen. / Foto: Adobe Stock/Halfpoint
Sieht man sich im Tierreich um, erkennt man schnell, die Lebensspanne einzelner Organismen variiert stark. Während Eintagsfliegen nur wenige Stunden leben, können Islandmuscheln bis zu 500 Jahre alt werden und Seeanemonen scheinen gar nicht zu altern. Unter den Wirbeltieren hält der Grönlandhai den Altersrekord. Bis zu 400 Jahre können die Tiere erreichen, wobei sie erst mit stolzen 150 Jahren geschlechtsreif werden. Ein Alter, das bisher kein Mensch erreicht hat.
Nach Angaben des statistischen Bundesamtes liegt die durchschnittliche Lebenserwartung für in Deutschland neugeborene Mädchen derzeit bei 83 Jahren. Ein neugeborener Junge blickt durchschnittlich 78 Lebensjahren entgegen. Damit hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten 150 Jahren zwar in etwa verdoppelt, für Rekorde reicht sie trotzdem noch nicht. Der aktuelle, offiziell bestätigte menschliche Altersrekord liegt seit 1997 bei 122 Jahren.
Dass dieser in naher Zukunft gebrochen wird, gilt als wahrscheinlich. Die Medizin erfährt einen steten Zuwachs an Wissen, wodurch sich für viele Erkrankungen die therapeutischen Möglichkeiten verbessern und präventive Maßnahmen zielgerichteter werden. In Kombination mit dem wachsenden Wissen über gesunde Lebensstile und der konsequenten Umsetzung durch die Menschen, steigen die Chancen auf ein langes Leben kontinuierlich. Ob dies jedoch auch sinnvoll ist, ist eine Frage die Alternsforscher eher mit »jein« beantworten.
Eine längere Lebensspanne ist zurzeit nicht gleichbedeutend mit einer verlängerten Lebenszeit bei bester Gesundheit. Die sogenannte gesunde Lebensspanne von Menschen mit durchschnittlicher Lebenserwartung reicht aktuell etwa bis zum 60. Lebensjahr. Anschließend treten vermehrt chronische und schwere Erkrankungen auf, die das Leben zunehmend einschränken. Die meisten Alternsforscher sind deshalb bestrebt, nicht die gesamte Lebensspanne, sondern nur die gesunde Lebensspanne, in der Menschen ein selbstbestimmtes Leben bei guter Gesundheit führen können, zu verlängern. Die von Krankheiten und Einschränkungen dominierte Phase des Lebens hingegen soll auf möglichst wenige Jahre, im Idealfall einzelne Jahre, verkürzt werden. Auf keinen Fall soll erreicht werden, dass alle Menschen 100 Jahre alt werden, aber ab dem 60. Lebensjahr bereits krank sind.
Möglicherweise sorgt die Natur sogar selbst dafür, dass letzteres Szenario nicht eintreffen kann. So konnten Wissenschaftler bei verschiedenen Tieren beobachten, dass die gesunde Lebensspanne und die Gesamtlebensspanne oft gekoppelt zu sein scheinen. Auch bei Menschen deutet einiges auf einen Zusammenhang hin. Interessanterweise bleiben viele der besonders langlebigen über Hundertjährigen von den typischen altersbedingten, schweren Erkrankungen (Demenz, Parkinson, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs) verschont.
Warum dies der Fall ist, ist bisher nicht verstanden. Alternsforscher vermuten die Ursachen in unterschiedlichen Abläufen in den zellulären und molekularen Alterungsprozessen. Bekannt ist, dass diese auf neun verschiedenen Ebenen ablaufen, Alternsforscher sprechen von den »Neun Kennzeichen des Alterns«. Sie gelten aktuell als die wichtigsten Angriffspunkte, um eine Verlangsamung des Alterungsprozesses und eine Verbesserung der Gesundheit ab dem 60. Lebensjahr zu erreichen.
Wie dies in der Praxis gelingen kann, steht bei vielen Wissenschaftlern im Mittelpunkt ihrer Forschung. Klar ist bereits: Viele der gut bekannten und immer wieder empfohlenen Lebensstilfaktoren zur Erhaltung der Gesundheit – gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung, reduzierter Alkoholkonsum, Verzicht auf Nikotin und das Meiden von UV-Strahlung – haben ihre Berechtigung. Sie scheinen direkt auf verschiedene »Kennzeichen des Alterns« einzuwirken und Auswirkungen auf die Lebensspanne und Gesundheit im Alter zu haben.
So konnten Tierstudien zeigen, dass eine reduzierte Nahrungsaufnahme ohne Mangelernährung bei vielen Tieren die Gesundheit im Alter verbessert, vor altersbedingten Erkrankungen schützt, die Vitalität im Alter aufrechterhält und die Lebensspanne verlängert. Ursächlich dafür könnte sein, dass die Menge, der mit der Nahrung aufgenommenen Nährstoffe, direkt die Verfügbarkeit von Nährstoffen in der Zelle beeinflusst. Werden sie aufgrund einer reduzierten Nahrungsaufnahme knapp, kommt es zum Zustand der Autophagie. Die Zelle beginnt Zellbestandteile abzubauen, umzubauen und weiter zu verwenden. Dieser Prozess wirkt sich positiv auf die Lebensspanne und die Gesundheit aus.
Bei Menschen nimmt die natürliche Autophagie mit dem Alter ab. Eine künstlich herbeigeführte Autophagie könnte auch bei uns die Lebensdauer und die Gesundheit verbessern. Darüber hinaus wird vermutet, dass eine verminderte Nahrungsaufnahme, die Anhäufung der DNA-Schäden, die mit zunehmendem Alter entstehen, verlangsamen kann. Ähnliches weiß man über den Verzicht auf Nikotin und die Einschränkung des Konsums von gegrillten oder frittierten Lebensmitteln.
Eine Reduktion der Nahrungsmenge hat jedoch auch Nachteile. Dazu gehören eine schlechtere Wundheilung oder eine erhöhte Anfälligkeit für Virusinfektionen. Zudem gibt es Hinweise, dass die Reduktion vor allem über einzelne Nährstoffe wirken könnte. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns haben zum Beispiel beobachten können, dass Taufliegen unter einer Protein- und Aminosäurereichen Diät früher sterben als ausgewogen ernährte Artgenossen. In Bezug auf die menschliche Gesundheit gehen Wissenschaftler derzeit ebenfalls davon aus, dass eine proteinreduzierte Ernährung positive Auswirkungen auf die Lebensspanne und die Gesundheit im Alter hat. Ob die vermeintlich optimale Ernährungsform jedoch für die Praxis im Alltag geeignet ist, ist derzeit noch sehr fraglich.
Die »Neun Kennzeichen des Alterns« liefern viele weitere Ansätze, die intensiv erforscht werden. Dazu gehören zum Beispiel die Mitochondrien. Sie erzeugen während der Energieproduktion radikale Sauerstoffspezies, die alle Moleküle einer Zelle schädigen können und lange als Ursache für den Alterungsprozess galten. Inzwischen ist jedoch bekannt, dass sowohl Abweichungen nach oben als auch nach unten schädlich für den Organismus sind. Es scheint vielmehr um ein optimales Mittelmaß zu gehen. Hier könnte unter anderem Bewegung eine wichtige Rolle spielen. Sie setzt radikale Sauerstoffspezies in Mengen frei, die sich positiv auswirken. Zusätzlich aktiviert der Energieverbrauch beim Sport wieder die Autophagie.
Ebenfalls im Visier von Alternsforschern ist das Enzym Telomerase. Es kann die Verkürzung der Telomere, die bei jeder Zellteilung eintritt und irgendwann dazu führt, dass die Zelle sich nicht mehr teilt oder abstirbt, verhindern. Unter natürlichen Bedingungen sind Telomerasen jedoch nur in Stammzellen, Keimzellen, Zellen des Immunsystems und Krebszellen aktiv. Bei Mäusen mit künstlich erhöhten Telomerase-Spiegeln konnten Wissenschaftler beobachten, dass diese länger leben. Ob dies auf den Menschen übertragbar ist, ist umstritten. Eine hohe Telomerase-Aktivität wird mit verschiedenen Krebsarten in Verbindung gebracht.
Trotz besseren Wissens, gelingt es nicht jedem Menschen, Verhaltenstipps in Bezug auf Ernährung, Bewegung und andere Lebensstilfaktoren umzusetzen. Zudem ist fraglich, ob sie tatsächlich ausreichen, die schweren Leiden des Alters zu verhindern. Aus diesem Grund arbeitet die Alternsforschung parallel an der Erforschung von Medikamenten, die eine positive Auswirkung auf die Lebensspanne und die dabei vorherrschende Gesundheit haben könnten. Erste Hinweise stammen in den meisten Fällen aus Tierversuchen, aber auch in der Anwendung beim Menschen gibt es bereits positive Erfahrungen.
Das gilt zum Beispiel für Rapamycin, einem Zellwachstumshemmer und Immunsuppressivum, das normalerweise in der Krebstherapie und nach Organtransplantationen zum Einsatz kommt. Wird es als Anti-Aging-Medikament eingesetzt, erfolgt die Wirkung vermutlich über das Vortäuschen einer Nahrungsreduzierung und die Fähigkeit, die Stammzellfunktion zu erhalten. Ein weiterer interessanter Kandidat für Alternsforscher ist Metformin. In der Diabetesbehandlung hemmt es unter anderem die Neubildung von Glukose in der Leber. Im Tierversuch mit Mäusen konnte bereits eine verlängerte Lebensspanne beobachtet werden, bei Menschen werden die Auswirkungen noch untersucht.
Senolytika leiten den Zelltod seneszenter Zellen ein. Der Wirkstoff Tanespimycin reduziert die Anzahl der seneszenten Zellen und damit die von ihnen abgegebene Zahl an Molekülen, die wiederum für chronische Infektionen verantwortlich sind. Da Tanespimycin bei Fadenwürmern gute Ergebnisse erzielt hat, wird es als Anti-Aging-Wirkstoff gehandelt, allerdings ist die Einnahme derzeit noch mit schweren Nebenwirkungen verbunden.