Funktioneller Eisenmangel als Risikofaktor |
Juliane Brüggen |
23.12.2021 08:30 Uhr |
Eisen hat die Besonderheit, dass es entweder in zweiwertiger oder dreiwertiger Form vorliegen kann (Fe2+, Fe 3+). Dreiwertiges Eisen muss zunächst in zweiwertiges umgewandelt werden, bevor der Körper es aufnehmen kann. / Foto: Adobe Stock/Andreas Berheide
Eisenmangel ist nicht gleich Eisenmangel, das zeigt die prospektive, europäische Kohortenstudie. Die Forschenden unterschieden zwischen einem absoluten Eisenmangel (bezogen auf den Ferritin-Wert) und einem funktionellen Eisenmangel (bezogen auf zwei Werte: Ferritin und Transferrinsättigung). Je nachdem, welcher Mangel vorlag, erhielten sie unterschiedliche Ergebnisse. Während der Ferritin-Wert den Eisenspeicher widerspiegelt, zeigt die Transferrinsättigung als Quotient aus Serum-Eisen und Transferrin, wie viel Eisen im Körper in Gebrauch ist (engl. utilized iron). Transferrin ist ein Transportprotein im Serum, das das Eisen zu den Zellen bringt.
In die Studie wurden mehr als 12.000 Menschen einbezogen, das mittlere Alter war 59. Zu Beginn ermittelte die Forschergruppe den Eisenstatus der Teilnehmenden sowie Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Krankheiten wie Raucherstatus, Adipositas, Diabetes und Cholesterolwerte. Danach wurde über einen Zeitraum von 13 Jahren beobachtet, wie viele Schlaganfälle, koronare Herzkrankheiten (KHK) und Todesfälle auftraten.
Es zeigte sich, dass viele Teilnehmende einen Eisenmangel hatten: 64 Prozent einen funktionellen, 60 Prozent einen absoluten und 16 Prozent einen schweren absoluten Eisenmangel. Innerhalb der 13 Jahre, in denen sie nachbeobachtet wurden, starben 18 Prozent, 5 Prozent aufgrund kardiovaskulärer Ursachen. Bei etwa 9 Prozent wurde eine koronare Herzkrankheit diagnostiziert, 6 Prozent erlitten einen Schlaganfall.
Definiert war der absolute Eisenmangel als ein Ferritin-Wert unter 100 μg/l, ein schwerer absoluter Eisenmangel unter 30 μg/l. Den funktionellen Eisenmangel nahmen die Mediziner an, wenn der Ferritin-Wert unter 100 μg/l oder zwischen 100 und 299 μg/l lag und die Transferrinsättigung gleichzeitig unter 20 Prozent.
Das Risiko, eine koronare Herzkrankheit zu entwickeln, war um 26 Prozent erhöht, wenn ein funktioneller Eisenmangel vorlag – verglichen mit Patienten ohne einen solchen Mangel. Auch das Risiko für die kardiovaskuläre Sterblichkeit war um 26 Prozent erhöht, das Risiko für die Gesamtsterblichkeit um 12 Prozent. Betrachteten die Mediziner die Menschen mit einem absoluten Eisenmangel, erhöhte sich das Risiko für eine koronare Herzkrankheit um 20 Prozent gegenüber Menschen ohne den absoluten Eisenmangel, das Risiko für die Sterblichkeit blieb jedoch unverändert. Ein schwerer absoluter Eisenmangel ging wiederum mit einem um 28 Prozent erhöhten Risiko für die Gesamtsterblichkeit einher. Mit dem Auftreten von Schlaganfällen konnte Eisenmangel nicht assoziiert werden.
Hätten die kardiovaskulären Erkrankungen also ohne den funktionellen Eisenmangel verhindert werden können? Auch das berechneten die Wissenschaftler. Demnach wären circa 5 Prozent aller Todesfälle, 12 Prozent der kardiovaskulären Todesfälle und 11 Prozent der neu festgestellten koronaren Herzkrankheiten in den folgenden zehn Jahren nicht aufgetreten, wenn kein funktioneller Eisenmangel vorgelegen hätte. Berücksichtigt wurden dabei Alter, Geschlecht, Raucherstatus, Cholesterolwerte, Blutdruck, Diabetes mellitus, Body-Mass-Index und Entzündungswerte.
Das Fazit der Studie lautet, dass vor allem der funktionelle Eisenmangel (Ferritin und Transferrin) ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen sein könnte. Die Studie hatte jedoch Limitationen, da beispielsweise die Eisenwerte nur zu Beginn erfasst wurden und unklar ist, ob die Teilnehmer während der Nachbeobachtungszeit Eisen supplementiert haben. Auch die Forschenden weisen darauf hin, dass weitere Studien mit jüngeren und nicht europäischen Teilnehmern erforderlich seien. Wenn sich danach der Verdacht bestärke, müssten randomisierte Studien mit nicht Vorerkrankten folgen, die den Effekt der Behandlung eines Eisenmangels weiter untersuchen.
Kohortenstudien sind dadurch gekennzeichnet, dass eine Gruppe von Personen (Kohorte) über einen längeren Zeitraum beobachtet wird. Dabei werden die Teilnehmer in der Regel nach bestimmten Merkmalen aufgeteilt, zum Beispiel in Personen mit Eisenmangel und Personen ohne diesen. Dann wird untersucht, ob die Teilnehmer innerhalb der Beobachtungszeit erkranken, woran sie erkranken und wie viele von ihnen sterben. Die Studie ist entweder vorausblickend (prospektiv) oder zurückblickend (retrospektiv). Mit Beobachtungsstudien lassen sich Assoziationen feststellen. Häufig geht es um die Frage, ob ein Merkmal ein Risikofaktor für bestimmte Krankheiten sein könnte (Beispiel: Rauchen/Lungenkrebs) oder wie häufig Erkrankungen in einer Population auftreten. Kausale Zusammenhänge können Beobachtungsstudien jedoch nicht liefern, hierfür müssen randomisierte, kontrollierte Studien durchgeführt werden.