Gefürchtete Nebenwirkung |
Juliane Brüggen |
15.02.2022 12:00 Uhr |
Bei Arzneimitteln, die potenziell lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen, gilt der Krankengeschichte des Patienten ein besonderes Augenmerk. / Foto: Adobe Stock/Tomasz Warszewski
Meist kurz, aber heftig: So könnte man die Torsades-de-pointes-Arrhythmie beschreiben. Die Herzfrequenz ist stark erhöht, auf etwa 200 bis 250 Schläge pro Minute. Das Elektrokardiogramm (EKG) zeigt ein charakteristisches Muster von Wellen, die sich um die Basislinie drehen und immer wieder die Amplitude ändern. Diese spezielle Form der Kammertachykardie macht sich bei den Betroffenen durch Herzstolpern, Schwindel oder plötzlichen Bewusstseinsverlust bemerkbar. Oft ist sie selbst limitierend. Lebensbedrohlich wird es aber, wenn sie in Kammerflimmern übergeht und zum plötzlichen Herztod führt.
Die Schwere der potenziellen Folgen erklärt, warum ein besonderes Augenmerk auf den Risikofaktoren liegen muss. Zu ihnen gehört unter anderem die Verlängerung der QT-Zeit durch Arzneistoffe oder eine seltene, genetische Veranlagung (angeborenes Long-QT-Syndrom). Im EKG beschreibt die QT-Zeit die Erregungsdauer der Herzkammer, von der Q-Zacke bis zur T-Welle (s. Abb.). In dieser Zeitspanne findet die Erregung der Kammer mit daraus folgender Muskelkontraktion sowie die Rückbildung der Erregung mit resultierender Entspannung statt.
Im EKG: PR-Intervall = Zeitdauer zwischen Start der Vorhofdepolarisation und Beginn der Kammerdepolarisation; ST-Strecke = vollständige Kammerdepolarisation; QT-Zeit: Zeitdauer zwischen Beginn der Kammerdepolarisation und Ende der Kammer-Repolarisation / Foto: Adobe Stock/lukpedclub
Das für die Erregung erforderliche Aktionspotenzial entsteht in sogenannten Schrittmacherzellen und wird von dort aus an die anderen Herzmuskelzellen weitergeleitet. Es verläuft dann wie folgt: Zunächst steigt das Membranpotenzial rasch an (Depolarisation), danach folgt eine für die Herzmuskulatur charakteristische Plateauphase und schließlich die Repolarisation und Rückkehr zum Ruhemembranpotenzial. Die zahlreichen Stromflüsse beruhen auf der Aktivierung bestimmter Ionenkänale wie Natrium-, Calcium- und Kalium-Kanälen. Ein Aktionspotenzial dauert in Herzmuskelzellen etwa 300 Millisekunden.
Ist die Zeitspanne verlängert, können beispielsweise in der empfindlichen Phase der Repolarisation frühe Nachdepolarisationen auftreten und potenziell eine Arrhythmie auslösen. Als kritisch gilt eine QTc-Zeit von über 500 Millisekunden. »QTc« bedeutet frequenzkorrigierte QT-Zeit. Ärzte nutzen diesen Parameter für die klinische Beurteilung der QT-Zeit.
Das Spektrum der Arzneistoffe, die das QT-Intervall verlängern, ist breit. Fast immer hemmen sie einen bestimmten Kaliumkanal in der Herzmuskelzelle, den HERG-Kaliumkanal (HERG = human ether-à-go-go-related gene). Dieser ist für die Repolarisation mitverantwortlich. Die Bindungsstelle im Kanal ist sehr unspezifisch, was erklärt, warum so viele, strukturell unterschiedliche Arzneistoffe ihn blockieren können.
Nicht immer ist bewiesen, dass QT-verlängernde Wirkstoffe auch das Risiko für Torsades de pointes (TdP) erhöhen. Manchmal sind zusätzliche Faktoren ausschlaggebend, wie eine sehr hohe Dosis, eine durch Interaktionen erhöhte Plasmakonzentration oder Hypokaliämie.
Eine aktuell gehaltene Liste mit potenziell torsadogenen Arzneistoffen ist unter www.crediblemeds.org zu finden. Dort wird unterschieden in
Das TdP-Risiko steigt nicht nur mit höherer Dosis, sondern auch, wenn zwei oder mehrere QT-verlängernde Arzneistoffe kombiniert werden. Ein höheres Risiko haben außerdem Frauen, ältere Menschen über 65 Jahre, Personen mit Long-QT-Syndrom oder QTc-Zeit über 500 Millisekunden sowie Patienten mit eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion oder mit kardiovaskulären Krankheiten wie Herzinsuffizienz, Bradykardie, AV-Block oder Herzinfarkt. Auch Multimedikation gilt als Risikofaktor.
Arzneistoffgruppe | Wirkstoffe (Beispiele) |
---|---|
Antiarrhythmika der Klasse III | Amiodaron, Dronedaron, Sotalol |
Antipsychotika | Chlorpromazin, Haloperidol, Levopromazin, Sulpirid, Thioridazin |
Antibiotika (Fluorchinolone) | Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin |
Antibiotika (Makrolide) | Azitrhomycin, Clarithromycin, Erythromycin, Roxithromycin |
Antidepressiva | Citalopram, Escitalopram |
Magen-Darm-Mittel | Domperidon, Ondansetron |
Sonstige | Fluconazol, Methadon, Propofol, Sevofluran |
Eine wichtige Rolle spielt der Elektrolythaushalt: So erhöht eine Hypokaliämie das torsadogene Risiko von Arzneistoffen entscheidend. Entstehen kann das Kaliumdefizit unter anderem nach Erbrechen, Durchfall oder durch die Einnahme von Thiazid- und Schleifendiuretika. Ebenso problematisch ist eine Hypomagnesiämie, die zum Beispiel durch die dauerhafte Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) wie Pantoprazol entstehen kann. Um Komplikationen zu vermeiden, sollten die Kalium- und Magnesium-Spiegel regelmäßig kontrolliert werden. Nicht zuletzt sind Interaktionen zu bedenken, die den Plasmaspiegel eines QT-verlängernden Stoffes erhöhen. Dies kann beispielsweise durch Hemmung von bestimmten Enzymen des Cytochrom-P450-Systems passieren.
Insgesamt betrachtet hängt das Risiko für Torsades de pointes von verschiedenen Faktoren ab. Nicht jeder Arzneistoff, der die QT-Zeit verlängert, muss bei bestimmungsgemäßem Gebrauch mit einem erhöhten TdP-Risiko einhergehen. Wichtig ist, dass sowohl Ärzte als auch Apotheker und PTA für die Problematik sensibilisiert sind und Patienten erkennen, die möglicherweise gefährdet sind. Dann können entsprechende Maßnahmen, wie die Analyse von Risikofaktoren oder EKG-Kontrollen, die Sicherheit der Therapie erhöhen.