Gesichtslähmung meist nicht von Dauer |
Eine Gesichtslähmung mit herunterhängenden Mundwinkeln oder halb geschlossenem Auge kann für Betroffene sehr belastend sein. / Foto: Getty Images/nensuria
Herabhängende Mundwinkel, halb geschlossene Augenlider – wer einmal an sich selbst oder anderen erlebt hat, wie es ist, wenn einem im wahrsten Sinne des Wortes »die Gesichtszüge entgleisen«, der weiß, warum eine Gesichtslähmung eine große psychische Belastung sein kann. In neun von zehn Fällen bildet sich eine solche Fazialisparese aber ohne Komplikationen innerhalb weniger Wochen zurück, berichtet Professor Dr. Gereon Nelles, Vorstandsmitglied im Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN), im Gespräch mit PTA-Forum. Mediziner sprechen von einer idiopathischen Fazialisparese, die aus sich selbst heraus und nicht als Folge einer möglicherweise unerkannten Krankheit auftritt. »Typischerweise kann es dabei neben einem hängenden Mundwinkel und Schwierigkeiten beim Schließen des Augenlids auch zu Geschmacksstörungen oder einer Überempfindlichkeit gegenüber Schall kommen«, erklärt Nelles weitere Symptome.
Benannt ist das Phänomen nach dem siebten Gehirnnerv, dem Nervus facialis oder mimischen Gesichtsnerv, der die Muskulatur des Gesichts versorgt und steuert. Ist seine Funktion beeinträchtigt (Parese = griechisch für Erschlaffung), kommt es zu besagten Lähmungen. Sie treten in der Regel nur auf einer Gesichtshälfte auf und können über mehrere Stunden bis Tage fortschreiten, erläutert Nelles. Manche Patienten wachten morgens auch mit diesen Symptomen auf. »Bei den meisten bilden sich die Beschwerden auch unbehandelt innerhalb weniger Wochen zurück. Allerdings begünstigt eine Behandlung mit Cortisol die Rückbildung, und es ist ganz wichtig, behandlungsbedürftige Ursachen auszuschließen.«
Allgemein unterscheidet man bei der Fazialisparese zwischen einer peripheren und einer zentralen Form. Bei der peripheren Form ist nur der Gesichtsnerv selbst in seinem Verlauf geschädigt, bei der zentralen Form ist ausschließlich seine Steuerung in Bereichen des Gehirns gestört – etwa infolge eines Schlaganfalls. Im Fall einer solchen zentralen Lähmung bleiben bestimmte Funktionen, etwa die Steuerung der Stirnmuskeln, erhalten, dafür treten meist noch andere Lähmungen an Arm, Bein oder einer ganzen Körperseite auf. Periphere Lähmungen dagegen erfassen meist alle Äste bis in die Stirn: Stirnrunzeln, Grimassieren und Blinzeln bereiten Probleme, in schweren Fällen ist das Auge weitgestellt und lässt nicht mehr komplett schließen. Auch Geschmacks- und Hörstörungen, Schmerzen im Ohrbereich oder ein gestörter Tränenfluss können dazukommen.
Bei der peripheren Gesichtslähmung sei in der Regel keine unmittelbare Ursache erkennbar, erläutert Dr. Bernhard Junge-Hülsing, Sprecher des Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohrenärzte. »Man geht aber davon aus, dass Entzündungsherde an den Nerven zu Schwellungen mit Gewebewasseransammlungen, also Ödemen, führen, die den Nervenkanal verengen und so Druck auf den Nerv ausüben.« Je schneller der Nerv also abschwillt, desto besser. »Deshalb sollte eine periphere Gesichtslähmung so schnell wie möglich mit bis zu 250 mg Cortisol behandelt werden«, sagt Junge-Hülsing.
Auf jeden Fall ist es wichtig, mögliche Erkrankungen auszuschließen, die Entzündungen im Nervenverlauf und damit auch eine Fazialisparese auslösen können. Dazu gehören Infektionen mit dem Herpes-Simplex-Virus, Herpes zoster (Gürtelrose) oder dessen Sonderform Zoster oticus, bei dem speziell der Ohrbereich angegriffen wird. Ebenso können eine Borrelieninfektion oder, seltener, das Melkersson-Rosenthal-Syndrom (entzündliche Gefäßerkrankung unbekannter Ursache), eine Sarkoidose (Erkrankung des Bindegewebes) oder das Sjögren-Syndrom (Autoimmunerkrankung) dahinterstecken. Auch Verletzungen des Gesichts, des Unterkiefers oder der Ohrspeicheldrüse kommen als Ursache infrage, ebenso Operationen in diesen Bereichen oder auch gut- oder bösartige Tumoren im Verlauf des Gesichtsnervs. Letztere können durch ihr Wachstum auf den Nerv drücken.
Als Risikofaktoren für eine Gesichtslähmung gelten hoher Blutdruck und Diabetes. Beides schädigt nicht selten die Nerven und kann auch den mimischen Gesichtsnerv betreffen. »Zu den seltenen Nebenwirkungen von Impfungen zählt auch die Fazialisparese«, so Junge-Hülsing (siehe auch Kasten). Das sei nicht problematisch, weil diese dann mit Cortisol oder gegebenenfalls mit Medikamenten gegen Herpes zoster im Keim erstickt werden könne.
Eine zentrale Fazialislähmung ist dagegen das Ergebnis einer Funktionsstörung direkt im zuständigen Hirnbereich. Sie kann durch eine Hirnblutung, einen Hirntumor, einen Schlaganfall oder eine Gehirnentzündung (Enzephalitis) hervorgerufen werden, berichtet Neurologe Nelles. In allen Fällen wird die Blutversorgung des Gehirns gestört, sodass es zu Ausfällen des zentralen Nervensystems und Lähmungserscheinungen bestimmter Körperteile kommen kann.
Egal um welche Art von Lähmung es geht: Lähmungserscheinungen sind immer ein Alarmzeichen. Wer bestimmte Muskeln im Gesicht plötzlich nicht mehr gezielt bewegen könne, sollte umgehend einen Arzt aufsuchen, auch wenn er sich ansonsten wenig beeinträchtigt fühlt, betont Nelles. Bestehen Anzeichen für einen Schlaganfall wie plötzlich auftretende Seh- und Sprachprobleme, einseitige Lähmungserscheinungen oder starke Kopfschmerzen, gilt es, sofort den Rettungsdienst unter der Notrufnummer 112 zu kontaktieren. Der Betroffene muss so rasch wie möglich in ein Krankenhaus – am besten in eine Klinik mit einer Schlaganfallstation (Stroke Unit).
Liegt die Ursache der Gesichtslähmung in einer Grunderkrankung wie etwa Borreliose oder einer Ohrentzündung, wird diese vorrangig behandelt. Bei einer diabetischen Neuropathie zielt die Behandlung auf eine optimale Stoffwechseleinstellung und Schmerztherapie. Bei Brüchen wiederum kann ein bedrängter oder beschädigter Nerv operativ entlastet oder wieder hergestellt werden, ebenso bei Tumoren. Die besten Heilungsaussichten haben die häufigen idiopathischen Fazialislähmungen, die in aller Regel spontan oder zumindest nach einer Behandlung mit Cortisol zurückgehen. Die idiopathische Fazialisparese ist die häufigste Störung beziehungsweise Beeinträchtigung der Hirnnerven: Auf 100.000 Personen kommen durchschnittlich 20 bis 25 Erkrankungen pro Jahr.
Als allgemeine Therapiemöglichkeiten bei Gesichtslähmung kommen krankengymnastische Übungen der Gesichtsmuskulatur infrage, die nach vorheriger Anleitung selbst vor einem Spiegel durchgeführt werden können. Im Fall von trockenen Augen durch einen unzureichenden Lidschluss kann die Gabe von künstlicher Tränenflüssigkeit notwendig sein und auch ein mechanischer Schutz der Hornhaut des Auges durch einen Uhrglasverband.
Ist die Gesichtslähmung dauerhaft und behindert und belastet den Patienten sehr, bietet die rekonstruierende Chirurgie eine Reihe von Möglichkeiten. Hierzu gehören die Transplantation von Nerven auf der betroffenen Seite oder die Verbindung mit Nerven der gesunden Seite ebenso wie die Implantation von Gold- oder Platingewicht in das Oberlid, um den Lidschluss zu verbessern. Zur Wiedererlangung der Mimik ist es außerdem mit speziellen Techniken möglich, Teile der Kaumuskulatur oder Teile aus dem Oberschenkel in die Wange zu verpflanzen.
Immer wieder wird über Gesichtslähmungen als Folge einer Impfung gegen Covid-19 berichtet. Richtig ist: Alle Impfungen können, wenn auch selten, die Entwicklung von Fazialisparesen triggern. Ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen der Coronaimpfung und dem Auftreten von Gesichtslähmungen ist aber laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie eher unwahrscheinlich.
Das legen auch die Zulassungsstudien zu Comirnaty® von Biontech/Pfizer nahe. Hier traten zwar vereinzelt Gesichtslähmungen auf, allerdings sowohl in der Verum- als auch der Placebogruppe. Nach millionenfacher Anwendung des Impfstoffs weltweit seien keine Signale in den nationalen Monitoringsystemen zur Impfstoff-Sicherheit bezüglich Gesichtslähmungen nach einer Corona-Schutzimpfung aufgetreten, heißt es auf einer Webseite des Bundesministeriums für Gesundheit.