Gesunde Lebensverhältnisse für alle |
Kinder aus Familien mit höherem Bildungsstand und Einkommen wohnen eher naturnah und an weniger stark befahrenen Straßen. / Foto: Getty Images/Gary John Norman
Bildung und Einkommen, ein Migrationshintergrund und das soziale Umfeld beeinflussen die Wohnbedingungen und den Lebensstil, die verfügbaren Ressourcen und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken eines Menschen. Das konnten sozial- und umweltepidemiologische Studien eindeutig nachweisen. So berichteten etwa in der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) des Robert-Koch-Instituts (RKI) 28,3 Prozent der Befragten mit niedrigem Sozialstatus, an einer stark oder extrem stark befahrenen Straße zu wohnen. Im Vergleich dazu waren es bei den Befragten mit hohem Sozialstatus nur 14,8 Prozent.
Bei Kindern konnte die Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen IV (GerES IV) nachweisen, dass Familien mit niedrigem Sozialstatus häufiger an stark befahrenen Haupt- oder Durchgangsstraßen wohnen als Familien mit mittlerem oder hohem Sozialstatus. Auf mögliche gesundheitliche Folgen des Wohnortes weist die Schulanfängerstudie aus Sachsen-Anhalt hin. Kinder, die in einem verkehrsstarken Umfeld wohnen, leiden demnach häufiger unter einer Bronchitis oder Lungen- und Nasennebenhöhlenentzündungen als Kinder aus ruhigen Wohngebieten.
Auch Lärm trifft Menschen mit niedrigem Sozialstatus häufiger. So konnten Wissenschaftler vom Institut für Geographie der Universität Hamburg für das Hamburger Stadtgebiet nachweisen, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit haben, in Gebieten mit einer stärkeren Lärmbelastung zu wohnen als Haushalte mit höherem Einkommen. Die objektiven Messungen decken sich mit den subjektiven Empfindungen von Betroffenen. Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus fühlen sich laut GerES IV durch Straßenverkehrslärm häufiger belästigt als Kinder aus Familien mit höherem Sozialstatus. In der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA) des RKI gaben Befragte zudem an, dass Lärm durch Nachbarn oder Schienenverkehr ebenfalls eine Rolle spielt.
Lärm gilt als psychosozialer Stressfaktor, der das Wohlbefinden, die Lebensqualität und die Gesundheit beeinträchtigen kann. Ein wichtiger Ausgleichsfaktor, vor allem im städtischen Raum, sind Parkanlagen oder der Zugang zur freien Natur. Doch auch hier gibt es einen Zusammenhang zwischen Einkommen, Bildung und der Anzahl der zugänglichen Grünflächen in der Wohnumgebung. Das konnten Wissenschaftler vom Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung der Technischen Universität Berlin mit der Auswertung von Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) und des European Urban Atlas (EUA) für Deutschland nachweisen. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes müssen Kinder und Jugendliche in Städten (ab 20.000 Einwohnern) längere Fußwege zu einer öffentlichen Grünfläche zurücklegen, wenn sie aus einer Familie mit niedrigem Sozialstatus stammen.
Das Bewusstsein für die ungleiche Verteilung von Umweltressourcen, Wohnbedingungen und den damit verbundenen gesundheitlichen Auswirkungen existiert seit gut 20 Jahren. Viele Städte und Gemeinden haben inzwischen in regionalen Projekten mit unterschiedlichen Ansätzen versucht, die Umwelt- und Lebensbedingungen in besonders belasteten Gebieten zu verbessern. Dabei zeigt sich immer wieder, dass Umweltgerechtigkeit ein Thema ist, bei dem zahlreiche Akteure aus Verwaltung, Politik und Verbänden gefragt sind. Besonders wichtig ist auch das Einbeziehen der Anwohner vor Ort. Hier zeigt sich immer wieder, dass Menschen mit geringem Sozialstatus seltener in der Lage sind, ihre Anliegen einzubringen und durchzusetzen als Menschen mit höherem Sozialstatus.
Am Anfang eines Umweltgerechtigkeitsprojektes steht in der Regel die Erhebung von Daten und Informationen. Mehrfach belastete Gebiete müssen identifiziert, analysiert und der konkrete Handlungsbedarf ermittelt werden. Am Ende wird ein sogenanntes Stadtquartier eingegrenzt. Dieses Gebiet hebt sich räumlich sowie in der sozialen oder ethnischen Struktur der Bewohner von anderen Bereichen der Stadt ab, muss aber nicht zwingend entlang von Stadtteil- oder Bezirksgrenzen verlaufen. Mitunter kann es sich bei den Gebieten auch um sehr kleinräumige Bereiche oder um einzelne Straßenzüge handeln.
Der Maßnahmenkatalog beim Thema Umweltgerechtigkeit ist breit gefächert und richtet sich an den individuellen Problemen einzelner Gebiete aus. In den städtebaulichen Bereich fallen zum Beispiel der Bau einer Umgehungsstraße zur Verkehrsentlastung von besonders betroffenen Wohngebieten. Das Einführen von Innenstadt- und Citymautgebühren kann Verkehrslärm und Luftschadstoffbelastung reduzieren. Das Errichten von Tempo-30-Zonen erhöht zusätzlich die Verkehrssicherheit. Gefragt ist oft auch der Ausbau von Fuß- und Radwegen, der öffentlichen Verkehrsmittel und von Car-Sharing-Angeboten.
Die Bewohner betroffener Bereiche sind selbst gefordert, wenn es etwa um die Umgestaltung vorhandener, aber unattraktiver Grünflächen geht. Begrünungsprojekte wie Baumpflanzungen oder das Errichten von Urban-Gardening-Bereichen bieten nicht nur aktive Naturerfahrung, sondern haben darüber hinaus soziale Komponenten. Sie fördern die Vernetzung der Nachbarschaft und leisten einen wichtigen Beitrag zur Stadteilkultur. Zusätzlich bieten sie Raum für Umweltbildungsprojekte mit Kindern und Jugendlichen. Ihr Ziel: von klein auf für Umweltgerechtigkeit zu sensibilisieren und das notwendige Wissen für eine erfolgreiche Umsetzung zu vermitteln.
Wissen und Aufklärung sind ebenfalls gefragt, wenn es um die Innenraumbelastung geht. Hier zeigt sich ein komplexes Bild, in dem Familien aller sozialen Schichten betroffen sind. In sozial schwachen Familien ist vor allem das Rauchen in der Wohnung ein zentrales Problem. Laut GerES IV sind die Kinder häufiger Tabakrauch und einem erhöhtem Benzolgehalt in der Kinderzimmerluft ausgesetzt. Das ließe sich durch einen Rauchverzicht der Eltern in der Wohnung vermeiden.
In der Kinderzimmerluft von Familien mit hohem Sozialstatus konnte im Rahmen der GerES IV eine stärkere Belastung mit alpha-Pinen nachgewiesen werden. Alpha-Pinen kommt in zahlreichen Pflanzen und unter anderem in Kiefern vor. Es kann aus verbautem Holz und Möbeln ausgasen und bei Kindern die Augen und Atemwege reizen. Abhilfe schafft regelmäßiges Lüften.
Gestillte Kinder zeigen höhere Konzentrationen an polychlorierten Biphenylen im Blut als nicht gestillte. Gesundheitliche Beeinträchtigungen dadurch sind allerdings nicht bekannt, Stillen ist die beste Ernährung für Säuglinge. / Foto: Adobe Stock/jfk design
Unterschiede gibt es zudem, wenn die Umweltschadstoffbelastung mit Hilfe von Blutuntersuchungen bestimmt wird. Laut GerES IV und V haben Kinder mit niedrigem Sozialstatus eine höhere Bleikonzentration im Blut als Kinder mit mittlerem oder hohem Sozialstatus. Blei kann bereits in geringen Konzentrationen die Reifung des Nervensystems beeinträchtigen. Kinder mit höherem Sozialstatus sind oft stärker mit polychlorierten Biphenylen (PCB) belastet. Experten sehen die Ursache in einem unterschiedlichen Stillverhalten der Mütter. PCB werden mit der Nahrung aufgenommen, können im Körper akkumulieren und werden über die Muttermilch an Säuglinge weitergegeben. Sozial starke Mütter stillen im Durchschnitt häufiger und länger als sozial schwache Mütter. Zusätzlich sind sie zum Zeitpunkt der Geburt im Durschnitt bereits älter, die eigene PCB-Belastung und der Gehalt in der Muttermilch somit höher. Es ist bekannt, dass chlororganische Substanzen wie PCB das Immunsystem und das Nervensystem schädigen können. Nach bisherigem Wissensstand sind jedoch keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen für gestillte Kinder bekannt. Vielmehr überwiegen nach wie vor die positiven Effekte, weshalb sich an der ausdrücklichen Empfehlung zum Stillen durch die Daten nichts geändert hat.