Gesunde und nachhaltige Ernährung |
Günstig statt gesund: In deutschen Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas, Pflegeheimen und Krankenhäusern werde selten auf eine ausgewogene nachhaltige Ernährung geachtet, kritisiert die Initiative Health for Future. / Foto: Getty Images/romrodinka
Dass Nahrungsmittel wie Milch oder Zitrusfrüchte die Wirkung bestimmter Medikamente abschwächen, verstärken oder auf andere Art beeinflussen, ist in der Ausbildung von PTA und im Pharmaziestudium zu Recht ein wichtiges Thema. Jenseits dieser Wechselwirkungen aber erfahren Heilberufler viel zu wenig über das präventive und therapeutische Potenzial einer ausgewogenen und nachhaltigen Ernährung, kritisiert Anne Schirmaier, Ökotrophologin bei der Initiative Health for Future der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).
Den Faktor Ernährung bei Beratungsgesprächen im Sinne einer ganzheitlichen Medizin und Pharmazie einzubeziehen, würde sich gleich mehrfach auszahlen, betont auch Professor Dr. Karsten Müssig, Mitglied des Ausschusses Ernährung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). »Von einer vollwertigen, überwiegend pflanzenbasierten Kost, wie sie die Initiative Health for Future bewirbt, profitieren Menschen mit einem erhöhten Risiko für einen oder einem bereits bestehenden Diabetes beispielsweise enorm«, berichtet der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Franziskus-Hospital Harderberg, Niels-Stensen-Kliniken, im Gespräch mit PTA-Forum. So legten sowohl die Mittelmeer- als auch die DASH- («Diätetischer Ansatz zum Stopp von Hypertension«) und die Flexitarier-Diät großen Wert auf Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte und Nüsse. Es handelt sich um die drei häufigsten Kostempfehlungen für Menschen mit erhöhtem Blutzucker, Bluthochdruck und/oder Übergewicht. Zudem befürworteten die Ernährungsformen Milchprodukte nur in Maßen und Fleisch – insbesondere rotes – nur in sehr geringen Mengen, erläutert Müssig. »Studien belegen, dass sich das Körpergewicht allein durch Ernährungsumstellung um 15 Prozent reduzieren lässt und dass sich eine vorwiegend pflanzliche Ernährung auch positiv auf Blutzucker und Blutdruck auswirkt.«
Wer seine Patienten oder Kunden in Praxis oder Apotheke auf derlei Zusammenhänge hinweist, kann sie damit motivieren. Heilberufler genießen in der Bevölkerung laut Umfragen nach wie vor viel Vertrauen und Anerkennung. Dazu kommt der positive Aspekt der Selbstwirksamkeit: »Für viele Menschen ist es eine zusätzliche Motivation, wenn sie mit ihrem (Ess-)Verhalten nicht nur selbst ausgewogener leben, sondern auch etwas Gutes für die Umwelt tun können«, berichtet der Ernährungsmediziner. Denn global gesehen verursacht unser Ernährungssystem mit einem hohen Anteil tierischer Lebensmittel etwa 30 Prozent aller menschengemachten Treibhausgasemissionen.
Schirmaier ermutigt auch PTA dazu, in Beratungsgespräche stets den ganzheitlichen Aspekt einzubeziehen. »Wenn jemand beispielsweise Kopfschmerzmittel verlangt, ist es sinnvoll und naheliegend, die Person auch zu fragen, ob sie genug getrunken hat.« Sind Blutdrucksenker gefragt, sieht Schirmaier für Heilberufler sogar eine gewisse Pflicht, die Ernährung anzusprechen: »Klar, das ist ein sehr persönliches Thema, und es geht auch nicht darum, die Menschen auszufragen oder unter Druck zu setzen.« Aber mit einer kurzen Nachfrage à la »Sie wissen, dass die meisten Fertiggerichte den Blutdruck eher erhöhen und dass Gemüse und Vollkornprodukte ihn eher senken?« dürfte man niemandem zu nahe treten. Es ist ein Beratungsangebot, das viele gerne annehmen.
Ein wichtiger Aspekt, auf den das aktuelle Positionspapier der Initiative Health for Future hinweist, ist das Essen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Gemeinschaftsverpflegung bietet – nicht nur, aber vor allem im klinischen Bereich – eine Gelegenheit, ausgewogenes und nachhaltiges Essen breit verfügbar zu machen, Menschen dabei zu informieren und ihnen den Wert einer gesunden, nachhaltigen Ernährung näherzubringen. Ausgewogene Ernährung sei ein zentrales Element für Prävention und Therapie zahlreicher hochprävalenter und kostenintensiver chronischer Erkrankungen, betont Schirmaier. »Dabei ist die aktuelle deutsche Krankenhausernährung in der Regel weder gesundheitsförderlich für die Menschen noch gesund für die Ökosysteme unseres Planeten.«
Ein großes Problem sieht sie in der mangelnden Finanzierung der Klinikverpflegung: »Für durchschnittlich etwa 5 Euro pro Tag und Mensch müssen drei Mahlzeiten zubereitet werden.« Die Patientenverpflegung zählt aktuell zu den nicht medizinischen Leistungen im DRG-System (Diagnosis Related Groups) und steht finanziell in Konkurrenz beispielsweise zu Haustechnik, Reinigung oder Wäsche. Dabei könne eine hochwertige und ausgewogene Verpflegung für Kliniken nicht zuletzt auch ein Wettbewerbsvorteil um die Patientengunst und um knappe Arbeitskräfte sein.
Health for Future fordert daher, als ersten Schritt die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens, also vor allem in Kliniken, Rehabilitationseinrichtungen und Pflegeheimen, aber auch in öffentlichen Kantinen (etwa in Schulen, Kitas, Mensen) als verpflichtenden Mindeststandard einzuführen. Dazu brauche es mehr finanzielle und personelle Unterstützung von Kliniken bei der Verbesserung der Verpflegung für Patienten und Personal. »Mit der aktuellen Finanzierung von oft weniger als 5 Euro pro Person und Tag als Teil der nicht medizinischen Leistungen lässt sich eine hochwertige Ernährung kaum umsetzen«, erklärt Netzwerkkoordinatorin Sonja Schmalen. »Deshalb fordern wir Klinikträger und Krankenkassen auf, die Verpflegung bei der Kostenabrechnung den medizinischen Leistungen gleichzustellen und damit ihrem Stellenwert bei der Gesundheitsförderung, Prävention und Unterstützung der Genesung der Patienten gerecht zu werden.« Ganz im Sinne dieser Betrachtung der Ernährung mit medizinischem Blick wäre auch ein verpflichtendes Screening von Klinikpatienten und Bewohnern von Einrichtungen auf mögliche Mangelernährung sowie Ernährungsteams für ernährungsmedizinische und ernährungstherapeutische Betreuung in Krankenhäusern.
Die Verantwortung dafür, dass sich die Menschen dauerhaft ausgewogen und nachhaltig ernähren können, sehen Fachleute vor allem bei der Politik, aber auch bei Unternehmen und Einrichtungen und natürlich auch beim Individuum. Die Politik hat beispielsweise durch die Besteuerung einen wirksamen Hebel, ausgewogene und nachhaltige Ernährung zur günstigsten und einfachsten Wahl zu machen – etwa durch eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf unverarbeitetes und niedrig verarbeitetes Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte.
Kinder wiederum sind dauerhaft Werbung für unausgewogene, hochkalorische Lebensmittel ausgesetzt. Das fördert nachweislich und langfristig ungünstige Ernährungsgewohnheiten und Adipositas. Genau wie bei Tabak müsse deshalb auch die auf Kinder zielende Werbung für hochkalorische Nahrungsmittel eingeschränkt werden, fordern sowohl Health for Future als auch die DDG. Auch Bundesernährungsminister Cem Özdemir sieht das so: Er will Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder unter 14 Jahren richtet, künftig sogar weitestgehend verbieten. Kann er seine Pläne umsetzen, dürfte dann beispielsweise im Fernsehen, Radio und online zwischen 6 und 23 Uhr nicht mehr für Kinder-Lebensmittel, die zu viel Zucker, Salz oder Fett enthalten, geworben werden.
Um Lebensmittel günstig zu halten, werden Gesundheits- und Umweltfolgekosten heute auf die Gesamtgesellschaft externalisiert, betont Schirmaier. »Dabei geht es beispielsweise um Behandlungskosten bei Ernährungs-mitbedingten Erkrankungen durch verarbeitete tierische Produkte oder die Kosten durch Nitratüberschüsse, Klimafolgeschäden und Biodiversitätsverlust durch Massentierhaltung.« Würden die wahren Kosten ermittelt, könnten die bisher nicht berücksichtigten Kosten der Fleisch- und Milchproduktion sichtbar gemacht und damit auch eine Lenkungswirkung hin zu nachhaltigerer und vorteilhafterer Ernährung erreicht werden. Damit gesundheitsförderliche und nachhaltige Ernährung für alle Menschen bezahlbar wird, brauche es überdies Maßnahmen wie eine kostenlose Kita- und Schulverpflegung für alle Kinder und die bereits erwähnte Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf ausgewogene pflanzliche Lebensmittel.
Um Menschen bei ihren täglichen Kaufentscheidungen eine bessere Orientierung zu geben, fordern die DDG und Health for Future zudem verbindliche Kennzeichnungssysteme auf EU-Ebene für Tierwohl sowie Gesundheits- und Nachhaltigkeitsaspekte. Die verpflichtende Anwendung des Nutriscores wäre dazu ein erster Schritt, der idealerweise um ein Klima- oder Umweltlabel, das unter anderem CO₂- und Nitratemissionen abbildet, ergänzt werden könnte. »Dies ließe auf den ersten Blick erkennen, wie schädlich ein Produkt für uns und unseren Planeten ist«, betont Schmalen.
Last, but not least unterstützt Health for Future konkrete Vorgaben zur Lebensmittelverschwendung an Einzelhandel und Gastronomie. Wie beispielsweise in Frankreich solle es Supermärkten verboten werden, genießbare Lebensmittel wegzuwerfen. »Die Öffentlichkeit muss für die Haltbarkeit und Genießbarkeit von Lebensmitteln sensibilisiert werden, um nicht allein auf das Mindesthaltbarkeitsdatum angewiesen zu sein.«