Gesundheit versus Nachhaltigkeit |
Fisch zu essen, ist gesund, aber meist nicht nachhaltig. Viele Arten gelten als überfischt, was die Ökosysteme der Meere gefährdet. / Foto: Getty Images/
Jean-Philippe Tournut
Ob Forelle Müllerin, Scholle Finkenwerder Art oder der klassische Heringssalat nach Omas Rezept mit Roter Bete – die deutsche Küche kennt viele Fischgerichte. Traditionell ist vor allem der Speiseplan der küstennahen Bundesländer von Fisch und Meeresfrüchten geprägt; dem Fischinformationszentrum zufolge sind in Deutschland die Haushalte in Hamburg Spitzenreiter beim Einkauf von Fisch. In der EU liegt der Fischverbrauch pro Kopf bei 25 Kilogramm pro Jahr, während in Deutschland lediglich 14 Kilogramm verzehrt werden. Am meisten Fisch wird innerhalb der EU in Portugal und Spanien konsumiert, wo der Pro-Kopf-Verbrauch drei- bis viermal so hoch ist wie in Deutschland. Auch Länder wie Luxemburg, Malta, Frankreich und Italien liegen an der Spitze. Wenig verbreitet als Nahrungsmittel ist Fisch dagegen in den osteuropäischen EU-Ländern.
Fisch ist ziemlich gesund. Er enthält Omega-3-Fettsäuren, eine spezielle Gruppe innerhalb der ungesättigten Fettsäuren. Zur Erinnerung: Der Name leitet sich von der Platzierung der letzten Doppelbindung in der meist mehrfach ungesättigten Kohlenstoffkette ab - vom Carboxyl-Ende aus gesehen an der drittletzten C-C-Bindung. Besonders die beiden Vertreter Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) spielen eine wichtige Rolle. Sie sind natürliche Bestandteile der Zellmembranen und halten die Hüllen der Zellen geschmeidig. Langkettige Omega-3-Fettsäuren spielen auch eine wichtige Rolle beim Wachstum und der Entwicklung des Gehirns. Sie beeinflussen die Fließeigenschaften des Blutes und beugen so Ablagerungen in den Blutgefäßen vor. Darüber hinaus bilden sie im Körper wichtige Strukturlipide und beeinflussen die Muskelfunktion sowie Entzündungs- und Immunreaktionen. Außerdem werden sie für die Produktion verschiedener Gewebshormone herangezogen.
Die DGE hat in ihrer evidenzbasierten Leitlinie »Fettzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten« gezeigt, dass EPA und DHA die Triglyceridkonzentration im Blut mit überzeugender Evidenz senken. Das Risiko für die koronare Herzkrankheit verringern sie mit wahrscheinlicher Evidenz. Allerdings war der günstige Einfluss auf die Triglyceridkonzentration im Blut nur bei einer Zufuhrmenge zu beobachten, die über die Nahrung üblicherweise nicht zu erreichen ist. Da für diese Leitlinie keine Studien mit Lebensmitteln berücksichtigt wurden, hat die Fachgesellschaft ergänzend mehr als 50 Studien zum Fischverzehr ausgewertet und die Erkenntnisse in der Fachinformation »Fischverzehr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten« zusammengestellt. Ein regelmäßiger Fischverzehr – insbesondere von fettreichem Fisch – kann demzufolge das Risiko für einen tödlichen Herzinfarkt, ischämischen Schlaganfall und Fettstoffwechselstörungen mindern. Letzteres ist dadurch bedingt, dass regelmäßiger Fischverzehr die Triglyceridkonzentration im Blut reduziert und die HDL-Cholesterolkonzentration erhöht. Welchen Einfluss Fischverzehr auf das Bluthochdruckrisiko hat, ist derzeit nicht eindeutig.
Nach derzeitiger Datenlage reichen 250 mg EPA und DHA pro Tag aus, um von deren positiven Wirkungen zu profitieren. Fettarme Salzwasserfische wie Kabeljau, Seelachs, Seehecht, Scholle oder Rotbarsch liefern zwischen 280 mg und 840 mg EPA und DHA pro 100 g, vergleichbare Gehalte weisen auch Süßwasserfische wie Forelle oder Karpfen auf. Fette Seefische wie Hering oder Lachs kommen auf bis zu 3000 mg EPA und DHA pro 100 g. Ein guter Lieferant ist auch Thunfisch. Eine ausreichende Menge an Omega-3-Fettsäuren lässt sich abhängig von der gewählten Fischsorte über ein bis zwei Fischmahlzeiten pro Woche abdecken, zum Beispiel durch einen Mix aus fettreichem (70 g) und fettarmem (150 g) Fisch. Daneben liefert Fisch wertvolles, leicht verdauliches Protein, Selen, Vitamin D und Jod.
Schwangeren und Stillenden empfiehlt die DGE mindestens 200 mg DHA pro Tag. Schwangere Veganerinnen und Vegetarierinnen, die auf Fisch verzichten, sollten stattdessen zu Supplementen mit Omega-3-Fettsäuren aus pflanzlichen Quellen greifen. Eine Alternative zu tierischen Quellen können Präparate mit Algenöl sein, die aus der Mikroalge Schizochytrium sp. gewonnen werden.
Fisch kann allerdings auch eine Quelle für unerwünschte Stoffe sein. Im Laufe der Evolution haben Fische die Fähigkeit erworben, den Mangel an essenziellen Stoffen in ihrem Lebensraum, dem Wasser, auszugleichen, indem sie bestimmte Stoffe anreichern. Damit einher geht die Fähigkeit, Stoffe, die bei einer bestimmten Konzentration toxikologisch problematisch werden können, auszuscheiden oder zu metabolisieren. Quecksilber beispielsweise entschärfen Fische zu Methylquecksilber, das allerdings beim Menschen eine höhere Toxizität besitzt als das rein anorganische Quecksilber. Es beeinträchtigt die Entwicklung des Nervensystems, was Föten im Mutterleib und Kleinkinder am stärksten gefährdet. Das EFSA-Gremium für Kontaminanten hat die wöchentlich tolerierbare Aufnahmemenge (Tolerable Weekly Intake, TWI) für Methylquecksilber auf 1,3 µg pro kg Körpergewicht festgelegt.
In den meisten Fischarten sind die natürlich zustande gekommenen Quecksilbergehalte so niedrig, dass von ihnen kein gesundheitliches Risiko ausgeht und die Vorteile überwiegen. Hohe Dosen können sich aber in Fischen anreichern, die ein hohes Lebensalter erreichen und in der Nahrungskette weit oben stehen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) rät Frauen in Schwangerschaft und Stillzeit daher, den Verzehr von Hai, Schwertfisch, weißem Heilbutt und Thunfisch einzuschränken.
Ein anderes Problem ist Mikroplastik. Die maximal fünf Millimeter großen, festen und wasserunlöslichen Kunststoffpartikel – so die Definition des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und des Umweltbundesamtes (UBA) – gelangen auf vielen Wegen in die Umwelt und sind längst in der Nahrungskette angekommen. Vielfach wurde es bereits im Magen-Darm-Trakt von Fischen oder Muscheln nachgewiesen, die unterschiedlich darauf reagieren: Einige Organismen scheiden die Partikel ohne offensichtlichen Schaden wieder aus, andere reagieren auf Additive wie Weichmacher oder Flammschutzmittel, die dem Plastik gewünschte Eigenschaften verleihen. Längst haben Wissenschaftler der Medizinischen Universität Wien Mikroplastik auch in menschlichem Stuhl nachgewiesen. Ob es aus Fischen stammt und mit dem Filet auf den Tellern gelandet ist, ist unklar. Auch die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus müssen noch weiter erforscht werden.
Das treibt die generelle Frage mit voran, wie lange Fisch überhaupt noch auf den Tellern der Weltbevölkerung liegen darf. Denn die Ressource ist endlich. Laut des Fischereiberichts der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization, FAO) aus dem Jahr 2020 gelten etwa 34 Prozent der kommerziell genutzten Bestände weltweit als überfischt: Sie befinden sich außerhalb »sicherer biologischer Grenzen«, ihre Erholung wäre also selbst bei einem sofortigen Fangstopp unsicher. Weitere 60 Prozent gelten als »maximal wirtschaftlich befischt«. Nur rund 6 Prozent aller Bestände gelten als »unterfischt«.
Gut die Hälfte des weltweit verspeisten Fischs stammt daher mittlerweile aus Aquakultur, welche jedoch eigene Nachteile mit sich bringt. Lachs beispielsweise ist ein Raubfisch, der sich in freier Wildbahn von Garnelen, Krebstieren und anderem Fisch ernährt. Er braucht also eine Mindestmenge an Wildfisch, der eigens dafür aus dem Meer gefischt wird, um ihn zu Futtermittel zu verarbeiten. Ein großer Anteil seines Hungers wird heute mit pflanzlichen Bestandteilen gestillt, was aber zur Folge hat, dass Lachse aus Aquakultur deutlich weniger Omega-3-Fettsäuren enthalten. Zudem bringt die Massenhaltung im Wasser ähnliche Probleme mit sich wie die an Land: große Bestände auf engem Raum, große Mengen an Kot und Urin, Medikamente, das Verdrängen heimischer Wildarten.
Trotzdem kann Fisch aus Aquakultur eine Möglichkeit sein, den Hunger der Weltbevölkerung auf Fisch zumindest anteilig zu decken. Einen vollständigen Verzicht halten die 28 Wissenschaftler und Experten von Universitäten und Institutionen für unnötig, die vom Marine Stewardship Council (MSC) und Aquaculture Stewardship Council (ASC) befragt wurden. Das bedeutet jedoch im Gegenzug nicht, dass Fisch unbedacht und unbegrenzt gegessen werden sollte. »Im Hinblick auf die Überfischung der Meere müsste man auf eine Fischmahlzeit pro Monat hinuntergehen«, sagt der Ernährungswissenschaftler Hans-Helmut Martin vom Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB). Fisch ist als Delikatesse anzusehen und sollte nicht täglich, sondern bewusst konsumiert werden. Der UGB rät, beim Kauf von Fisch auf eine anerkannt nachhaltige Herkunft zu achten. Eine bewusste Auswahl kann eine bestandserhaltende und umweltschonende Fischerei unterstützen. Hilfe beim Einkauf bieten Siegel der verschiedenen Organisationen und Verbände, beispielsweise das MSC-Siegel.