Gewichtszunahme in den Wechseljahren stoppen |
Isabel Weinert |
15.08.2023 08:30 Uhr |
Sich das Naschen abzugewöhnen, ist eine der schwersten Übungen auf dem Weg zu einem schlanken Essverhalten. / Foto: Adobe Stock/Ulrich Abels
Die gute Nachricht: Solange der zunehmende Bauchumfang in den Wechseljahren aus weichem Fett besteht, dessen Speckrollen sich mit den Händen leicht und weich greifen lassen, belastet das Fett das Herz-Kreislauf-System nicht. Denn dieses Schwimmringfett zeigt an, dass es sich im Unterhautfettgewebe angesammelt hat. Anders bei den prallen, harten Bäuchen, bei denen sich kein bisschen Speck greifen lässt. Diese dicken Bäuche – bevorzugt, aber nicht nur bei Männern – stehen für Fett, dass sich um die Organe angelagert hat, das sogenannte viszerale Fett. Dessen Stoffwechsel bedeutet Gefahr für Herz und Kreislauf.
Schon vor den Wechseljahren ist es bei Frauen aber in erster Linie das weiche Unterhautfett, das sich wie von Geisterhand zu vermehren scheint. Warum? »Dafür gibt es mehrere Gründe«, sagt Riedl. »Zum einen lagert sich im Rahmen der Hormonumstellung mehr Wasser im Gewebe ein, zum zweiten baut sich einfach auch mehr Muskulatur ab. Und wo kein Muskel, da mehr Fett, so auch am Bauch. Misst man bei Frauen in diesem Alter Muskel- und Fettmasse, dann stellen wir immer wieder fest, dass die Muskelmasse zugunsten der Fettmasse abgenommen hat.« Die Speckrollen zeigen das optisch an.
Zudem sinkt der Energiebedarf deutlich, wenn der Eisprung wegfällt, denn der ganze Menstruationszyklus kostet den Körper pro Tag etwa 200 Kilokalorien. Diese Kalorien seien dann einfach zu viel, was das Gewicht automatisch steigere, spare man diese Energie nicht extra beim Essen ein.
Betroffene Frauen, die sich selbst nur zu gut mit schlanker Taille und flachem Bauch kennen, sowie diejenigen, die ohnehin schon etwas fülliger waren und das nun noch mehr werden, reagieren oft mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und Resignation auf die anschwellende Körperfülle. Riedl: »Diese Frauen haben den Eindruck, gar nichts an ihrem bisherigen Essverhalten verändert zu haben und dennoch zuzunehmen. Und egal, was immer sie versuchen, um den Gewichtsanstieg zu bremsen, nichts funktioniert.« Das schade dem Gefühl der Selbstwirksamkeit, und nicht wenige geben irgendwann auf – meist nach mehreren erfolglosen Diätversuchen –, und lassen die Dinge rund um die Figurveränderung einfach laufen.
Der als »Ernährungs-Doc« bekannte Diabetologe Matthias Riedl empfiehlt den Verzehr von 500 g Gemüse am Tag. / Foto: Medicum Hamburg/Andreas Sibler
Dabei gibt es Wege aus der (Bauch-)Fettfalle, weiß Riedl, auch unter solch schwierigen Voraussetzungen wie den Wechseljahren. An erster Stelle steht für den Experten, den Frauen das Gefühl zu nehmen, selbst am Mehrgewicht schuld zu sein und daran, einfach nicht abnehmen zu können. »Die Sache mit der Schuld am eigenen Übergewicht hat uns die Gesellschaft eingeredet«, sagt Riedl. Wer dick sei, gelte als willensschwach. »Die Selbst-schuld-Geschichte ist tief verankert. Da machen es sich auch die Krankenkassen leicht damit, zu sagen, das sei Privatsache. Und auch Politiker, die etwas an unserem Ernährungsangebot so ändern wollen, dass all das Ungesunde mehr kostet, haben es hierzulande sehr schwer.«
Riedl spricht von einer ernährungsfeindlichen Umgebung. Damit meint er, dass es diejenigen, die von Natur aus schnell zunehmen, beim westlichen Überflussangebot sehr schwer haben, schlank zu bleiben oder es wieder zu werden.
»Etwa 80 Prozent der Produkte hierzulande sind maßlos überzuckert«, so der Mediziner. Dazu komme ein hoher Anteil von fast 90 Prozent verarbeiteter Lebensmittel. »Das wird uns zum Verhängnis, denn hoch verarbeitete Produkte sind sehr gesundheitsschädlich.« Den Menschen werde es zu leicht gemacht, ungesunde Lebensmittel zu kaufen. Dazu liege der Schwerpunkt vonseiten der Industrie ganz klar genau auf solchen Produkten.
»Die Industrie hat es geschafft, dass 25 Prozent der Weltproduktion an Haselnüssen in einem Schokoladenaufstrich landen«, konstatiert Riedl. Den Beweis dafür, dass süße und fette Fertignahrungsmittel der Gesundheit des Menschen schaden, fordert die Nahrungsmittelindustrie allerdings von denjenigen, die diese Aussage treffen. Riedl sieht die Beweislast umgekehrt bei den Produzenten: Sie seien es, die beweisen müssten, dass ihre Produkte keine negativen gesundheitlichen Folgen hätten.
Wer sich klargemacht hat, dass Schuldgefühle fehl am Platze sind und dass das Älterwerden ein Ernährungsverhalten wie in der Jugend eben nicht mehr verzeiht, kann den nächsten Schritt gehen. Der liegt in einer ganz rationalen Bestandsaufnahme dessen, was man Tag für Tag so hinunterschluckt. »Dieses Ernährungstagebuch kann handschriftlich geführt werden oder mithilfe einer App, wie etwa der myFoodDoctor-App.« Hat man über zehn Tage die eigenen Essgewohnheiten dokumentiert – in der App sieht man immer auch direkt, wie viel Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate man zu sich genommen hat – dann gehe es darum, zu schauen, an welcher kleinen Stellschraube man zuerst das Gewichtsrad drehen wolle.
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Wichtig sei, dass man an sich selbst keine überzogenen Anforderungen stelle, sondern nur eine Kleinigkeit ändere. Ein Beispiel: Trinkt ein Mensch zwei Cappuccino am Tag und isst dazu regelhaft jeweils zwei Riegel Schokolade oder einige Kekse, dann wäre es zum Beispiel ein Schritt, entweder beim zweiten Cappuccino auf die Schokolade zu verzichten oder ihn komplett wegzulassen. Ein richtig dicker Hebel sei das Snacken, so der Autor unter anderem des Erfolgsbuches »Abnehmen nach dem 20:80 Prinzip«. Dieses Zwischendurchessen sieht zunächst nicht schwerwiegend aus, ist ja immer nur eine Kleinigkeit, es addiert sich aber zu einer hohen Energiezufuhr, die das Gewicht deutlich steigert. Wer sich auf zwei bis drei Hauptmahlzeiten pro Tag einlässt und dazwischen zunächst seltener, dann gar nicht mehr nascht, ist schon ein gutes Stück weiter. Denn die Summe dieser nach und nach in die Tat umgesetzten kleinen Änderungen ergibt eine hohe Kalorienersparnis – und das lässt mittelfristig zwangsläufig die Pfunde schmelzen. »Diese kleinen Verhaltensänderungen heißen im englischen ›Tiny habits‹ und es ist erwiesen, dass die meisten Menschen damit mehr Erfolg haben als mit dem einen großen Rundumschlag«, weiß Riedl.
Der Mediziner empfiehlt zwei bis drei Mahlzeiten am Tag oder Intervallfasten. Dabei sei es natürlich besonders wichtig, dass die Mahlzeiten alles enthielten, was der menschliche Organismus brauche. Eiweiß spiele hier eine wichtige Rolle, weil es zum einen Muskelaufbau unterstützt und zum anderen satt macht. Riedl empfiehlt etwa 1,0 bis 1,2 Gramm Eiweiß pro Kilogramm (angestrebten) Körpergewichts. »Den Eiweißgehalt der wichtigsten Eiweißträger hat man auch schnell auswendig gelernt«. Anders sieht das mit den Kaloriengehalten der Nahrungsmittel aus. »Wir verzichten auf das Kalorienzählen, weil das im Alltag doch sehr umständlich ist«, so Riedl.
Wer also vorrangig auf Gemüse, Pilze, Hülsenfrüchte und Nüsse setze und diese Lebensmittelgruppen ausreize, der habe auf Dauer weniger Gewicht und fühle sich wohler, so Riedl. Anzustreben seien 500 Gramm Gemüse pro Tag – eine Menge, mit der man in Kombination mit der richtigen Menge Eiweiß gut satt werden kann. Viel Gemüse und Eiweiß, dafür wenig Fett, weniger Kohlenhydrate und am besten keinen Zucker: Werden ungünstige Gewohnheiten in Minischritten ersetzt, kann der Körper gar nicht anders, als Körperfett abzubauen. Das passiert nicht ad hoc wie bei Crash-Diäten, sondern über einen längeren Zeitraum, dafür aber umso nachhaltiger.
Viele Menschen haben ihre Kilos zuviel Verhaltensweisen zu verdanken, die sie seit Jahrzehnten verinnerlicht, automatisiert haben. Deshalb ist es so schwer, dem Gehirn etwas Neues anzutrainieren. Ein Beispiel: der Konsum von Schokolade oder Salzigem abends vor dem Fernseher, wenn der Alltag vollbracht ist. Muße wird heute oft mit Snacken kombiniert.
Dieses Verhalten, zum Beispiel die Schokolade immer auf dem Sofa vor dem Fernseher zu essen und die Menge nicht mehr zu kontrollieren, nennt Riedl Gewohnheitssucht. Gerade bezogen auf Schokolade sei es äußerst schwer, das ungesunde durch ein gesundes Verhalten zu ersetzen, denn Schokolade habe einen suchtartigen Charakter.
Der Reiz beigefügter Aromastoffe, die der Schokolade den »typischen« Geschmack eines bestimmten Herstellers verleihen, sei sehr groß. Riedl rät, auf Schokoladensorten zu wechseln, die keine künstlichen Aromen enthalten, sondern natürliche Geschmacksstoffe wie zum Beispiel Vanille. Außerdem solle man überlegen, auf was man sich am Abend ebenso freuen könne wie auf den zarten Schmelz, ob vielleicht eine Tasse Kaffee oder ein besonderer Tee die Rolle der Schokolade ersetzen könnte.
Wer das nicht schafft, sollte sich auf jeden Fall in der Menge der Schokolade begrenzen und nicht die ganze Tafel parat legen, sondern eine Rippe oder klein abgepackte Einheiten. Hier komme auch die Genussfähigkeit zum Tragen. »Es ist wichtig, das bewusste Genießen wieder zu üben. Das hilft sehr dabei, nicht automatisch zu große Mengen zu essen.« Einfach ist das nicht, aber notwendig, will man nicht weiterhin zulassen, dass die eigene Körpersilhouette mehr und mehr verschwimmt – mit allen möglichen gesundheitlichen Folgen.