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Histamin-Unverträglichkeit

Gezielt reduzieren statt ganz verzichten

Patienten mit einer Histamin-Unverträglichkeit passen beim Essen oft genau auf, denn verschiedene Nahrungsmittel können Beschwerden verursachen. Bevor jedoch die Diät zu strikt wird, sind eine differenzierte Betrachtung und eine Ernährungsberatung sinnvoll.
Caroline Wendt
20.12.2024  08:30 Uhr

Sauerkraut, Wildfleisch und dazu ein Glas Rotwein: Was für die meisten nach einem leckeren Weihnachtsessen klingt, ist für Menschen mit Histamin-Unverträglichkeit eine absolut ungenießbare Mahlzeit. Denn all diese Komponenten enthalten hohe Mengen des Gewebshormons Histamin, welches in Lebensmitteln durch mikrobiellen Verderb, Fermentation oder Reifung entsteht. Die Konzentration in einem Lebensmittel hängt stark vom Reifegrad, der Dauer der Lagerung und der Verarbeitung ab.

Eine Vielzahl an Symptomen gehört zum Beschwerdebild. Häufig berichten Betroffene von Juckreiz, anfallsartigem Erröten im Gesicht (Flush-Symptomatik) oder Magen-Darm-Problemen. Weitere Beschwerden können unter anderem den Respirationstrakt (zum Beispiel Niesen, laufende oder verstopfte Nase) oder das Herz-Kreislauf-System (zum Beispiel Schwindel oder Blutdruckabfall) betreffen. Diese große Bandbreite an Symptomen verunsichert die Patienten, und die Liste der möglichen Beschwerden, die sie auf zu viel Histamin zurückführen, wird immer länger. Im Gegenzug wird der Speisezettel mit den vermeintlich tolerierten Nahrungsmitteln immer kürzer. Viele Betroffene neigen dazu, ihre Nahrungsmittelauswahl stark einzuschränken – zu stark laut den Autoren der aktuellen Leitlinie zum »Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin«. Die Einschränkungen beträfen mitunter nicht nur die Lebensmittelvielfalt, sondern auch das Sozialleben, heißt es in der Leitlinie.

Nicht reproduzierbar

Die gemeinsame S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie, der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin, des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen sowie der Schweizerischen und der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie von 2021 soll Abhilfe schaffen und aufklären. Den Autoren zufolge sind die Symptome nicht reproduzierbar und die These, dass oral aufgenommenes Histamin die alleinige Ursache für die Beschwerden ist, ist nicht gesichert.

Betroffene merken dennoch Reaktionen ihres Körpers beim Verzehr von stark Histamin-haltigen Nahrungsmitteln. Der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB) erklärt es auf seiner Internetseite so: Der Spiegel an Histamin im Körper – endogenes sowie oral aufgenommenes – ist bei Betroffenen mit einem randvollen Wasserglas zu vergleichen. Manchmal bedarf es nur eines kleinen Stoßes und das Glas läuft über. Eine sinnvolle Therapie besteht demnach darin, den Wasserstand im Glas zu senken, nicht aber, gar kein Histamin mehr zuzuführen.

Ein weiteres Problem: Es gibt bisher keine eindeutigen Diagnoseverfahren, die eine Histamin-Unverträglichkeit bestätigen können. Die im Handel befindlichen Tests auf die Aktivität des Enzyms Diaminoxidase (DAO) im Blut oder Darm sowie die Bestimmung des Histamin-Gehalts in Urin oder Darm sind gemäß der Leitlinie alle nicht aussagekräftig.

Und warum vertragen einige Menschen nun Histamin-haltige Lebensmittel schlechter als andere? Als Ursache wird eine verminderte Abbauleistung der DAO diskutiert. Aussagekräftige Studien darüber fehlen jedoch bislang. Darüber hinaus wird Histamin auch noch über ein zweites Enzym, die Histamin-N-Methyltransferase (HNMT), abgebaut. Daher ist es gemäß den Autoren der Leitlinie nicht korrekt, von einer Histaminintoleranz (analog zur Lactoseintoleranz bei Milchzuckerunverträglichkeit infolge eines Enzymmangels) zu sprechen.

Ausführliche Anamnese

Wer nach dem Genuss bestimmter Lebensmittel unter Beschwerden leidet, sollte zunächst ein ausführliches Gespräch mit dem Arzt führen. Andere Erkrankungen, die ähnliche Symptome auslösen, oder Allergien können so ausgeschlossen werden. Zudem sollten die Patienten ein Ernährungs-Symptom-Tagebuch führen, in dem sie Nahrungsmittel, Getränke und die aufgetretenen Beschwerden mit Datum und Uhrzeit dokumentieren. Auch eingenommene Medikamente oder sportliche Aktivitäten sollten dem behandelnden Arzt bekannt sein, um beispielsweise mögliche Arzneimittelnebenwirkungen auszuschließen.

Der Anamnese folgt idealerweise eine dreistufige Ernährungsumstellung. Diese dient sowohl dazu, herauszufinden, welche Nahrungsmittel Probleme machen, als auch dazu, nachhaltig zu einem neuen Essverhalten zu finden.

Zu Beginn müssen die Patienten eine 10 bis 14 Tage andauernde Karenzzeit einhalten, in der sie eine gemüsebetonte, histaminarme Mischkost zu sich nehmen. In dieser Phase sollen die Betroffenen möglichst beschwerdefrei werden. Im nächsten Schritt werden gezielt verdächtige Nahrungsmittel wieder eingeführt, um die individuelle Histamin-Verträglichkeit zu ermitteln. Einflussfaktoren wie Stress, Medikamenteneinnahme oder Menstruation sollten mitberücksichtigt werden. Diese Testphase kann bis zu sechs Wochen dauern. Darauf folgt die sogenannte Dauerernährung, in der die Patienten ihren individuellen Ernährungsempfehlungen folgen können. So kann die Verdauungsleistung des Darms optimiert und die Lebensqualität wieder gesteigert werden.

Bei vielen Lebensmitteln kann der Histamin-Gehalt stark variieren. Daher ist eine generelle Einteilung in »genießbar« und »ungenießbar« oft nicht sinnvoll. Vielmehr hat die Frische der Zutaten großen Einfluss. Betroffene sollten daher auf eine möglichst gute Kühlung und kurze Lagerzeiten achten.

Andere Lebensmittel enthalten selbst nicht viel Histamin, gelten aber als sogenannte Histamin-Liberatoren. Das sind Substanzen, die endogen gespeichertes Histamin freisetzen. Neben einigen Nahrungsmitteln wie Tomaten, Schokolade oder Schalentieren wird dies auch bei einigen Arzneimitteln vermutet. Hierzu zählen unter anderem nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), Morphin oder Codein. Auch bei einigen Zusatzstoffen wie Glutamat, Gelatine oder Konservierungsmitteln wird ein Zusammenhang vermutet.

Dünne Datenlage

Des Weiteren kann der Abbau von Histamin verringert werden. So hemmen zum Beispiel Alkohol und Nikotin die DAO. Auch einige Medikamente wie Acetylcystein, Furosemid oder Metamizol stehen im Verdacht, Einfluss zu nehmen. Für eine genauere Beurteilung ist jedoch die Datenlage nicht ausreichend.

Wenn Stoffe den Abbau von Histamin hemmen, liegt der Gedanke nahe, dass die Einnahme des Enzyms Diaminoxidase den gegenteiligen Effekt haben kann. Die Autoren der Leitlinie bewerten die Studien zu den auf dem Markt befindlichen Nahrungsergänzungsmitteln jedoch negativ, da die Ergebnisse keine klaren kausalen Effekte zeigen und ein hohes Risiko für Placeboeffekte bestehe.

Eindeutige Studien gibt es auch nicht zur Wirksamkeit von Antihistaminika. H1- und H2-Rezeptorblocker könnten jedoch kurzzeitig angewendet werden, um die Symptome einer Histamin-Unverträglichkeit über einen definierten Zeitraum zu lindern. Gemäß der Leitlinie ist ein pragmatisches Vorgehen denkbar: Patienten könnten bei einer massiven Fehlernährung – beispielsweise bei einem Weihnachtsessen – die Beschwerden vorübergehend mildern.

Generell sind beim Thema Histamin-Unverträglichkeit noch viele Fragen offen. Zurzeit steht daher im Mittelpunkt, den Patienten so zu beraten, dass er möglichst wenige Einschränkungen bei der Auswahl geeigneter Lebensmittel hat. Mehr Flexibilität verspricht ein Schnelltest, entwickelt von Wissenschaftlern der Universität Tübingen. Dieser soll ähnlich wie ein Schwangerschaftstest funktionieren und den Histamin-Gehalt in Lebensmitteln messen. Wann der Test jedoch marktreif ist, bleibt unklar.

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