Glutamin unter der Lupe |
Hilft Glutamin Sportlern? Sicher lesen lässt sich das aus den bisher vorliegenden Studien nicht. / Foto: Adobe Stock/Microgen
Aminosäuren stehen bei vielen Sportlern hoch im Kurs. Sie sind wichtige Eiweißbausteine des Körpers und essenziell für Stoffwechselvorgänge. Außer in der normalen Ernährung sind sie in Proteinpulvern enthalten. Einige Aminosäuren wie Glutamin werden in Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) zudem isoliert angeboten. Glutamin trägt als proteinogene Aminosäure zur Proteinsynthese bei und ist unverzichtbar für das Säure-Basen-Gleichgewicht im Körper. Es stellt außerdem Aminogruppen bereit, die für die Produktion von Purinen und Nukleotiden gebraucht werden und ist ein Kohlenstoff-Donor im Citratzyklus. Besonders wichtig ist die Aminosäure als Energielieferant für sich schnell teilende Zellen wie Leukozyten oder Epithelzellen der Darmschleimhaut. Daraus leitet sich ihre Bedeutung für die Immunfunktion ab.
Glutamin ist ferner an der Glutathionsynthese beteiligt. Glutathion ist der quantitativ bedeutsamste endogene Radikalfänger und baut oxidativen Stress ab. Eine Vorstufe von Glutamin ist L-Glutaminsäure. Diese Aminosäure kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden und wird im Gehirn zu Gamma-Aminobuttersäure (GABA) umgewandelt. GABA ist der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter.
Der Glutaminbedarf ist bei gesunden Menschen in stressigen Lebensphasen, bei reduzierter Nahrungsaufnahme und bei fordernden körperlichen Aktivitäten wie mehrstündigen Ausdauerbelastungen erhöht. Ursache dafür ist die verstärkte Ausschüttung von Cortisol. Ein erhöhter Cortisolspiegel erhöht den oxidativen Stress im Körper. Außer bei einem erhöhten Bedarf kann eine (vorübergehende) Unterversorgung entstehen, wenn die körpereigene Produktionsfähigkeit gestört ist.
Die körpereigene Glutaminproduktion reicht normalerweise aus. Bei Verletzungen, Operationen und chronischen Darmerkrankungen kann der Bedarf jedoch erhöht sein. Die Aminosäure kann Intensivpatienten parenteral als Immunonutrition verabreicht werden. Voraussetzungen für die Supplementation sind, dass die Patienten parenteral ernährt werden und kein schweres Leber-, Nieren- oder Multiorganversagen haben. Ziel ist es, dadurch das Immunsystem zu modifizieren, um die Heilung zu begünstigen. Die Gabe ist allerdings umstritten und es liegen widersprüchliche Studienergebnisse vor. Eine enterale Glutamin-Pharmakotherapie wird nicht empfohlen.
Die Hersteller von NEM mit Glutamin legen mit ihren Produktbeschreibungen nahe, dass der Konsum mit positiven physiologischen Wirkungen verbunden sei. Offiziell dürfen sie allerdings nicht mit sogenannten Health Claims werben. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat 2011 eine wissenschaftliche Stellungnahme zu gesundheitsbezogenen Angaben für Glutamin herausgegeben. Darin ging es um Health Claims in Bezug auf L-Glutamin und das Wachstum beziehungsweise die Erhaltung der Muskelmasse, die schnellere Wiederherstellung der Muskelglykogen-Speicher nach anstrengender körperlicher Betätigung, die Reparatur des Skelettmuskelgewebes, die Aufrechterhaltung normaler neurologischer Funktionen, die Steigerung der Aufmerksamkeit und die Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses, die Aufrechterhaltung der Abwehr gegen pathogene gastrointestinale Mikroorganismen, die Darmproteinsynthese, die Verringerung der Darmpermeabilität und die Stimulierung immunologischer Reaktionen.
Bei jedem von den Interessenvertretern vorgeschlagenen Claim kam das Gremium zu dem Schluss, dass zwischen dem Verzehr von L-Glutamin und der suggerierten Wirkung auf der Grundlage der vorgelegten Daten kein kausaler Zusammenhang hergestellt werden könne. Das hält einige Hersteller nicht davon ab, ihren Produkten weiterhin einige der mutmaßlichen Wirkungen zuzuschreiben.
Eine wissenschaftliche Basis dafür fehlt, weil die Studienlage dünn ist. Die vorliegenden klinischen Untersuchungen schlossen meist nur wenige Teilnehmer ein. So prüften beispielsweise Forscher aus den Niederlanden im Jahr 2000, wie sich die Zufuhr von freiem Glutamin und Peptiden auf die Geschwindigkeit der Muskelglykogen-Resynthese nach intensiver körperlicher Betätigung beim Menschen auswirkt. Acht Probanden nahmen nach einem Training eines von vier Getränken (Kontroll-, Glutamin-, Weizen- und Molkenhydrolysatgetränk) zu sich. Der Plasma-Glutaminspiegel sank während der Erholungsphase um etwa 20 Prozent, wenn das Kontrollgetränk getrunken wurde. Bei Einnahme eines Hydrolysates veränderte er sich nicht und stieg um das Zweifache, wenn ein Glutamingetränk zugeführt wurde. Allerdings unterschied sich die Glykogen-Resyntheserate nach Genuss der vier Getränke nicht signifikant. Der postulierte Nutzen blieb also aus.
Im Jahr 2017 hat die FDA ein oral einzunehmendes L-Glutamin-Pulver (Endari) zugelassen. Das Arzneimittel dient als Orphan Drug dazu, akute Komplikationen der Sichelzellkrankheit bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten ab fünf Jahren zu verringern. Der Wirkmechanismus der Aminosäure ist dabei nicht vollständig geklärt. Vermutlich spielt eine Rolle, dass Sichelzellen anfälliger für oxidative Schäden als normale Erythrozyten sind. L-Glutamin kann dem entgegenwirken, in dem es die Verfügbarkeit von Glutathion erhöht. Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Endari in klinischen Studien zählten Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Husten, Schmerzen in den Extremitäten, Rückenschmerzen und Brustschmerzen.
Ähnlich wie die Erhöhung der Glykogen-Resyntheserate sind auch andere mutmaßlich günstige Auswirkungen von Glutamin kaum untersucht. Wenn Studien vorliegen, sind die Ergebnisse oft widersprüchlich oder nicht eindeutig. Im Jahr 2019 veröffentlichten Wissenschaftler eine systematische Überprüfung und Metaanalyse, um den Nutzen einer Glutamin-Supplementierung für Sportler zu prüfen. Sie extrahierten aus den eingeschlossenen klinischen Studien Daten zu Körpermasse, fettfreier Körpermasse, Körperfettanteil, maximaler Sauerstoffaufnahme (VO2max), Lymphozyten-, Leukozyten- und Neutrophilenzahlen. Glutamin zeigte zwar eine signifikante Wirkung auf die Gewichtsreduktion und reduzierte die Zahl der Neutrophilen. Diese steigen normalerweise bei stark belastenden Sportarten in der Nachbelastungsphase an.
Die Autoren schlussfolgerten jedoch, dass die Einnahme von Glutamin im Allgemeinen keinen Einfluss auf das Immunsystem, die aerobe Leistung und die Körperzusammensetzung von Sportlern habe. Die Frage nach der Bedeutung von Glutamin für Sportler interessierte auch andere Forschergruppen.
Ebenfalls in 2019 wurden in einer Übersichtsarbeit die Auswirkungen einer Glutamin-Supplementierung, allein oder in Verbindung mit anderen Nährstoffen, auf Ermüdungsmarker und die Leistung im Rahmen körperlicher Betätigung untersucht. In den meisten der ausgewerteten Studien wurde zwar festgestellt, dass Glutamin einige Ermüdungsparameter verbessern konnte. Das steigerte allerdings nicht die körperliche Leistungsfähigkeit.
Starke oder längere sportliche Betätigung kann die Funktion des Magen-Darm-Trakts beeinträchtigen und zu Verdauungsproblemen führen. Kann Glutamin dem entgegenwirken? In einer Übersichtsarbeit untersuchte Wilson 2021, ob NEM die Darmfunktion verbessern und trainingsbedingte gastrointestinale Symptome reduzieren können. Für Glutamin waren die Ergebnisse positiv. Die Aminosäure konnte nachweislich Marker für Magen-Darm-Schäden und Permeabilität bei sportlicher Betätigung reduzieren. Die klinischen Auswirkungen blieben jedoch ungewiss, da sich die Symptome nicht durchgängig verbessert hatten.
Wenn es um den Einfluss von Glutamin auf die Funktion des Magen-Darm-Trakts geht, lohnt sich ein näheres Hinsehen. Intestinales Glutamin ist wichtig, damit die Schleimhäute regenerieren können. Die essenzielle Aminosäure stellt eine wichtige Energiequelle für sich schnell teilende Epithelzellen dar. Ein Mangel an Glutamin kann die Darmepithelzellen atrophieren lassen und zu einer Hyperpermeabilität des Darms führen.
Nicht bestätigt ist bislang jedoch die These, dass eine Nahrungsergänzung mit Glutamin die normale Permeabilität des Darms wiederherstellen kann und das Risiko verringert, dass sich Bakterien und Toxine nach einer Darmverletzung verlagern.
Allerdings gibt es Hinweise aus kleineren Studien, dass es funktionieren könnte. So haben Wissenschaftler eine Glutamin-Substitution erfolgreich an Patienten getestet, die an einem postinfektiösen Reizdarmsyndrom mit Durchfall (IBS-D) litten. Die gastrointestinale Störung äußert sich in Bauchschmerzen, Harndrang, Blähungen und lockeren, wässrigen Stühlen. Aktuell gibt es keine Standardtherapie für Menschen, die nach einer Darminfektion ein IBS-D mit intestinaler Hyperpermeabilität entwickelt haben.
In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie wurde untersucht, ob eine orale Nahrungsergänzung mit Glutamin bei diesen Patienten die gastrointestinalen Symptome verbessert. Nach einer Einnahme über acht Wochen (5 Gramm dreimal täglich) verringerte sich in der Glutamin-Gruppe signifikant die Punktzahl im Irritable Bowel Syndrome – Severity Scoring System (IBS-SSS), einem Fragebogen, mit dem die Krankheitsschwere beim Reizdarmsyndrom erfasst werden kann. Eine Verbesserung im IBS-SSS um mindestens 50 Punkte war als primärer Studienendpunkt definiert gewesen und diesen erreichten 43 Patienten mit Glutamin, aber nur drei Patienten aus der Kontrollgruppe. Glutamin verbesserte in der Studie auch signifikant die sekundären Endpunkte einschließlich der Stuhlhäufigkeit und der Stuhlform. Ob Glutamin Beschwerden wie Durchfall oder einen Blähbauch auch bei Menschen ohne IBS-D verringern kann, wurde damit allerdings nicht gezeigt.
Ebenso unklar wie der Nutzen der Supplementierung ist die ideale Einnahmemenge. Die Tagesdosis bewegt sich laut Herstellerangaben zwischen zwei bis 20 Gramm Glutamin pro Tag. Kann es auch zu viel des Guten sein? Die Aminosäure kommt natürlicherweise in der Ernährung vor und hat in normaler Dosierung keine toxischen Wirkungen. Bei Überdosierung lassen sich jedoch unerwünschte Wirkungen wie Durchfall, Magen-Darm-Probleme oder Kopfschmerzen nicht ausschließen.
Wer lange zu hohe Dosen einnimmt, kann erhöhte Glutaminspiegel entwickeln. Die Folgen davon, besonders auch für Risikogruppen wie Menschen mit chronischen Darmerkrankungen, sind ungewiss. Menschen, die meinen, ihre Glutaminspeicher auffüllen zu müssen, brauchen die Aminosäure nicht zwangsläufig zu supplementieren. Das Apothekenteam kann empfehlen, verstärkt glutaminsäurereiche Nahrungsmittel in den Speiseplan zu integrieren. Dazu zählen als tierische Lebensmittel Parmesan, Kochschinken, Roastbeef, Edamer oder Gouda. Veganer können zu Sojabohnen, Erdnüssen, Dinkelmehl, Linsen oder Weizenprodukten greifen. Aus der Vorstufe Glutaminsäure kann der Körper Glutamin selbst herstellen.