Grippeimpfung soll Demenzrisiko senken |
Katja Egermeier |
30.09.2021 11:00 Uhr |
Der Studie zufolge könnte das Demenzrisiko durch regelmäßige Grippeimpfungen um 12 Prozent gesenkt werden und allein in Deutschland jährlich etwa 330.000 Demenz-Neuerkrankungen verhindern. Es sind jedoch weitere Studien nötig. / Foto: Getty Images/Westend6
Die Teilnehmer der Studie, durchweg ehemalige Militärangehörige, waren nach Angaben der DGN im Durschnitt 75,5 Jahre alt und überwiegend männlich. Bis zwei Jahre vor der Untersuchung sowie bei Studienbeginn wurde bei keinem eine Demenz diagnostiziert. Die Wissenschaftler analysierten deren Krankenakten für einen Zeitraum von zehn Jahren (2009 bis 2019). Während dieser Beobachtungsdauer erkrankten 13.933 Studienteilnehmer neu an einer Demenz. Dabei habe sich herausgestellt, so die DGN weiter, dass die Inanspruchnahme von Grippeimpfungen mit einem geringeren Demenzrisiko einherging, dieses allerdings nur, wenn mehr als sechs Grippeimpfungen in diesen zehn Jahren verabreicht wurden. Im Ergebnis sei das Demenzrisiko durch die Impfungen um 12 Prozent gesenkt worden.
Für Professor Dr. Richard Dodel ist dieser Effekt nicht unerheblich. »Bei jährlich etwa 330.000 Demenz-Neuerkrankungen in Deutschland könnten durch regelmäßige Grippeimpfungen fast 40.000 Menschen jährlich vor der Diagnose Demenz bewahrt werden«, erklärt der DGN-Demenzexperte. Man müsse jedoch beachten, dass es sich um eine retrospektive – also rückblickende – Auswertung handele, die, auch wenn sie mit einer sehr hohen Teilnehmerzahl durchgeführt worden ist, nur eine »Assoziation ohne Beweischarakter« aufzeigen könne. Studien dieser Art gebe es bereits einige, nicht zuletzt auch zu anderen Impfungen wie beispielsweise gegen Diphtherie oder Tetanus, unterstreicht der Neurologe.
Vereinfacht erklären die Studienautoren das niedrigere Demenzrisiko wie folgt: Impfungen führten zu einem Anstieg der Aktivität von Mikroglia, den »Immunzellen des Gehirns«, die krankheitsauslösende Stoffe und Abfallprodukte erkennen und abbauen. Wie Tierexperimente schon gezeigt hätten, gelte das auch für Beta-Amyloide, also Proteine, deren Abbau bei der Alzheimererkrankung gestört ist. Sie häufen sich in Form von Plaques an und schädigen so die Nervenzellen.
Auf dem Versuch, Beta-Amyloide aus dem Körper zu schleusen, bevor sie Schaden im Gehirn anrichten, beruhen laut Dodel viele Alzheimertherapien. »Wenn prospektive Studien nun zeigen, dass wiederholte Grippeimpfungen genau diesen Effekt haben und Beta-Amyloide abbauen, wäre das ein Durchbruch für die Demenztherapie.« Die Daten der vorliegenden Studie deuteten darauf hin, hätten aber noch keine Beweiskraft. Es könnten auch weitere Effekte eine Rolle spielen, beispielsweise, dass Menschen, die sich regelmäßig impfen lassen, auch sonst gesünder lebten und somit ein geringeres Krankheitsrisiko hätten. »Wir brauchen nun weiterführende, prospektive Studien, um den Zusammenhang eindeutig zu klären«, so Dodel. Auch im Hinblick auf die Covid-19-Impfung könne die Minderung des Demenzrisikos ein noch nicht diskutierter Zusatznutzen der Impfung sein.
Bei einer retrospektiven Studie ist das für die Forschenden interessante Ereignis (hier das Auftreten einer Demenz) bei Beginn der Studie schon eingetreten und es wird rückblickend und empirisch nach Risiko- bzw. Einflussfaktoren für das Eintreten der Krankheit gesucht. Bei der prospektiven Studie werden die Daten dagegen ab dem Zeitpunkt des Studienbeginns gesammelt und ausgewertet.