Haut aus der Balance |
Rötungen, Trockenheit und oft quälender Juckreiz: Mit der richtigen Therapie und Pflege kann die Haut wieder ins Gleichgewicht kommen. / © Getty Images/Evgeniia Gordeeva
Neurodermitis ist die häufigste chronische Hauterkrankung. In den westlichen Industrienationen sind etwa 10 Prozent aller Kinder und schätzungsweise 2 bis 5 Prozent aller Erwachsenen davon betroffen, Tendenz steigend. Meist beginnen die Hautveränderungen in den ersten beiden Lebensjahren. Bei etwa 70 Prozent wächst sich die Erkrankung noch vor der Einschulung aus, bei weiteren 10 bis 20 Prozent bis zur Pubertät. Doch der Rest nimmt die chronisch-entzündliche Hauterkrankung ins Erwachsenenalter mit.
Wenn der Kopf eines Babys von Schuppen übersät ist, sorgen sich viele Eltern und suchen Rat in der Apotheke. In den ersten Lebenswochen handelt es sich dabei meist um den sogenannten Kopfgneis, auch seborrhoische Dermatitis genannt. Die PTA kann die Eltern beruhigen, der Kopfgneis mit seinen weichen und fettigen Schuppen ist harmlos. Sollten die Schuppen optisch stören, kann das Apothekenteam empfehlen, sie über Nacht mit etwas Babyöl einzuweichen und am nächsten Tag mit einem Babyshampoo auszuwaschen. Bis zum Ende des ersten Lebensjahres heilt der Kopfgneis bei den meisten Babys ab.
Anders der Milchschorf: Der Ausschlag ist dem Kopfgneis vom Erscheinungsbild ähnlich, setzt aber meist erst nach den ersten drei Lebensmonaten ein. Milchschorf kann eine Neurodermitis ankündigen. Charakteristisch sind entzündete, stark juckende Hautveränderungen mit harten, gelblichen Schuppen und Krusten auf geröteter Kopfhaut. Auch Stirn und Wangen können betroffen sein.
Weshalb ein Mensch an Neurodermitis erkrankt, lässt sich bislang nicht eindeutig klären. Wissenschaftler führen als Erklärung ein multifaktorielles Zusammenspiel an: eine Mischung aus einer überschießenden Reaktion des Immunsystems, Umwelteinflüssen und genetischer Veranlagung. Ungefähr zwei Drittel der erkrankten Kinder weisen eine entsprechende Familienanamnese auf.
Atopie ist eine erbliche Neigung, die das Auftreten allergischer Erkrankungen begünstigt. Das Immunsystem eines Atopikers identifiziert völlig harmlose Substanzen fälschlicherweise als Gegner und feuert mit Antikörpern vom Typ Immunglobulin-E dagegen. In der Folge gelangen Botenstoffe ins Gewebe und lösen eine Entzündungskaskade aus.
Verantwortlich ist nicht nur ein einzelnes Gen, sondern ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene in unterschiedlichen Bereichen der Erbsubstanz. Atopiker entwickeln im Laufe ihres Lebens oft eine oder auch mehrere Erkrankungen aus dem sogenannten atopischen Formenkreis: So können Haut (atopisches Ekzem), Atemwege (allergisches Asthma), Augen- und Nasenschleimhäute (allergische Rhinokonjunktivitis) oder der Verdauungstrakt (Nahrungsmittelallergie) betroffen sein. Diese »Ortlosigkeit« beschreibt der altgriechische Begriff »atopía«.
Viele Atopiker sind zum Beispiel Träger der sogenannten Filaggrin-Genmutation. Sie können kein funktionsfähiges Filaggrin bilden, ein Protein, das für eine intakte Hautbarrierefunktion eine wichtige Rolle spielt. Eine defekte Barriere erleichtert Krankheitserregern sowie Allergenen das Eindringen, außerdem verdunstet vermehrt Feuchtigkeit. Eine verminderte Lipid-Synthese in der Oberhaut des Atopikers verstärkt diese Trockenheit. Weitere gesicherte Faktoren sind eine gestörte Schweißproduktion und ein Hautmikrobiom mit einer unphysiologisch starken Besiedelung durch Staphylococcus aureus.
Die Diagnose muss durch einen Arzt gesichert sein. Nur er kann das Beschwerdebild von anderen ähnlichen Erkrankungen wie einer Schuppenflechte oder einem Kontaktekzem abgrenzen. Laut der aktuellen S3-Leitlinie »Atopische Dermatitis« fußt die Diagnose auf dem extrem trockenen Hautzustand sowie dem Auftreten von körpersymmetrischen Ekzemen und Juckreiz. Weitere Kriterien sind ein chronisch rezidivierender Verlauf, eine positive Familienanamnese sowie die altersabhängige charakteristische Verteilung der Ekzeme. Während bei Säuglingen und Kleinkindern Milchschorf und entzündliche Veränderungen an Wangen, Kopfhaut und Streckseiten der Extremitäten auftreten, sind bei Kindern und Jugendlichen Ellenbeugen, Kniekehlen und Handgelenke bevorzugte Stellen. Erwachsene leiden häufig an Beschwerden im Gesicht, in der Halsregion und an den Händen.
Die Auslöser für einen Neurodermitis-Schub sind von Person zu Person unterschiedlich. Als Trigger-Faktoren gelten unter anderem Klima, Wetter, psychischer Stress, vermehrtes Schwitzen, Kratzen, chemische Reize, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Allergien oder die Beschaffenheit der Kleidung. Häufig spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Ein Allergietest, aber auch ein Tagebuch helfen dabei, den Auslösern auf die Spur zu kommen.
Die Autoren der aktuellen Leitlinie empfehlen eine Therapie nach Stufenplan, ausschlaggebend ist der Schweregrad. Das Schema sieht vor:
Experten empfehlen darüber hinaus eine Schulung für Betroffene. Die Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung (AGNES) bietet entsprechende Kurse. Einige Krankenkassen übernehmen dafür (anteilig) die Kosten. Das gilt auch für die App »Nia«, eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA). Die Inhalte von Nia orientieren sich am Curriculum der Arbeitsgemeinschaft AGNES.
Die Stabilisierung der Hautbarriere durch rückfettende und feuchtigkeitsspendende Pflegemittel ist eine wichtige Säule der Therapie. Zweimal täglich sollte der Neurodermitiker die Emollenzien auf der Haut großzügig verteilen. Das gilt auch in beschwerdefreien Phasen. Der Verbrauch an entsprechenden Zubereitungen kann so bei einem erwachsenen Patienten monatlich bis zu einem Liter betragen.
Die PTA kann aus vielen Produktlinien wählen, die ein entsprechendes Sortiment für die atopische Haut führen (zum Beispiel Allergika®, Avene® Xera Calm AD, Benevi neutral®, CeraVe®, Cetaphil® PRO ItchControl, Dermifant®, Dermasence® Viotop, Dexeryl, Eucerin® Atopi Control, Linola®, Neuroderm®, Physiogel® Calming Relief A.I., Roche Posay® Lipikar). Idealerweise gibt sie bei der Erstversorgung kleine Proben mit. So kann der Patient die Verträglichkeit testen.
Das gewählte Präparat muss zum aktuellen Hautzustand passen. Das kann unter Umständen bedeuten, dass der Patient für verschiedene Körperstellen unterschiedliche Produkte benötigt. Je trockener die Haut, desto höher der Fettanteil der Basispflege. Im Winter benötigt die Haut einen besonders hohen Lipidanteil. Als Feuchthaltefaktoren eignen sich Glycerol und Harnstoff (3 bis 10 Prozent). Wichtig: Harnstoffzubereitungen sind für Säuglinge und Kleinkinder wegen möglicher brennender Missempfindungen nicht geeignet. Bei feuchten, offenen und nässenden Hautstellen greift das Prinzip »feucht auf feucht«: Je entzündeter die Haut, umso höher sollte der Wasseranteil der Creme oder Lotion sein.
Da die Haut eines Atopikers schlechter gegen Keime gewappnet ist, sollten PTA folgende Hygiene-Tipps geben:
Die Autoren der Leitlinie betonen, dass die Hauthygiene eine wichtige Rolle bei der Behandlung der atopischen Dermatitis spielt, besonders bei Säuglingen und Kleinkindern. Tägliches Baden oder Duschen mit Bade- oder Duschölen verschlechtert den Hautzustand nicht. Allerdings sollte die Wassertemperatur maximal 35 °C betragen und der Wasserkontakt eine Dauer von zehn Minuten nicht überschreiten. Topische Emollienzien werden vorzugsweise direkt nach dem Trockentupfen aufgetragen, wenn die Haut noch feucht ist.
Bei leichten bis mittelschweren entzündlichen Hautveränderungen kommen laut Leitlinie topische Glucocorticoide zum Einsatz. Sie werden in Abhängigkeit von ihrer Wirkstärke in vier Klassen eingeteilt.
Viele Patienten sind dankbar für eine Beratung zu den befürchteten Nebenwirkungen der Glucocorticoide. Die PTA kann beruhigen: Da in der Regel nur wenig Wirkstoff über die Haut in den Körper aufgenommen wird, ist das Risiko für systemische Nebenwirkungen gering. Zu den möglichen lokalen Nebenwirkungen zählen Atrophie, Pigmentveränderungen, Steroidakne, Einblutungen in die Haut, vermehrtes Haarwachstum und Hautstreifen. Stark wirksame Glucocorticoid-Präparate sollten nicht plötzlich abgesetzt werden. Die PTA kann empfehlen, die Anwendungshäufigkeit schrittweise bis zum Absetzen zu reduzieren. Andernfalls könnte es – besonders nach längerer Behandlungsdauer – zu einem Rückfall kommen.
Im Hinblick auf die Basistherapie mit Emmolenzien gilt generell: Zuerst das wirkstoffhaltige Präparat auftragen, 15 Minuten warten, dann mit dem Pflegeprodukt eincremen. Cortisonsalbe oder -creme wird ein- bis zweimal täglich aufgetragen. Wie viel hängt von der Größe der betroffenen Hautfläche ab. Zur Orientierung wird die sogenannte Fingerspitzeneinheit (FTU) verwendet. Sie entspricht der Menge Salbe, die mit einer Tube auf das letzte Fingerglied eines Erwachsenen gedrückt wird und beträgt etwa 0,5 g. Diese Menge genügt zum Beispiel für die Anwendung auf zwei Handflächen eines Erwachsenen oder für Brust und Bauch eines Säuglings.
Der Hygiene wegen: Ist die Basispflege in einem Tiegel verpackt, immer mit einem Spatel entnehmen. / © Getty Images/Mariya Borisova
Als topische Glucocorticoid-Alternative eignen sich Calcineurin-Inhibitoren wie Tacrolimus (Protopic® Salbe) oder Pimecrolimus (Elidel® Creme). Der Arzt verschreibt sie, wenn Glucocorticoide nicht vertragen werden, nicht ausreichend wirken oder Körperstellen betroffen sind, wie Gesicht, Kopf, Hals oder Genitalbereich, auf denen Glucocorticoide möglichst nicht angewendet werden sollten. Die Calcineurin-Hemmer unterdrücken das Immunsystem, sind also Immunsuppressiva. Sie verhindern die Freisetzung von Zytokinen in den T-Zellen.
PTA sollten bei der Abgabe darauf hinweisen, dass die Wirkstoffe die Empfindlichkeit gegenüber UV-Strahlen erhöhen und ein UV-Schutz notwendig ist. Auch ein Hinweis zu unerwünschten Wirkungen ist angebracht: vorübergehendes Brennen, Juckreiz und Wärmegefühl.
In der Regel werden die Cremes zweimal täglich auftragen, bei Besserung kann auf einmal täglich reduziert werden. Calcineurin-Antagonisten werden nicht nur zur Akuttherapie, sondern auch zur Vorbeugung weiterer Schübe eingesetzt. Dieses Therapieregime wird als proaktiv bezeichnet. Dazu werden die normalerweise betroffenen Hautstellen an zwei Tagen pro Woche behandelt, zwischen den beiden Anwendungen wird ein paar Tage pausiert, die Basistherapie bleibt.
Bei schwerer Neurodermitis ergänzt der Arzt die Therapie mit systemischen Medikamenten und gegebenenfalls einer UV-Therapie. Als systemisch wirksame Arzneistoffklassen kommen Immunsuppressiva wie Ciclosporin (Sandimmun®), Biologika wie Dupilumab (Dupixent®), Lebrikizumab (Ebglyss®) und Tralokinumab (Adtralza®) sowie sogenannte Januskinase (JAK)-Inhibitoren infrage.
Die monoklonalen Antikörper hemmen gezielt die Aktivität bestimmter Interleukine und sind damit entzündungshemmend. Die Biologika sind als Fertigspritze erhältlich, der Patient kann sie sich selbst subkutan spritzen, zum Beispiel in Bauch, Oberschenkel oder Oberarm. Nach einer Anfangsdosis ist alle zwei bis vier Wochen eine Injektion erforderlich. Die Fertigspritzen werden kühl gelagert (2 bis 8 °C). Erst vor der Injektion werden sie auf Raumtemperatur gebracht. Dabei gilt: nicht schütteln! Die PTA sollte auch darauf hinweisen, dass die Wirkung nicht sofort eintritt. Erste Verbesserungen zeigen sich oft erst nach zwei bis vier Wochen.
Dupilumab kann eine Konjunktivitis verursachen. Zur Vorbeugung kann die PTA bei der Abgabe reizlindernde Augentropfen, zum Beispiel mit Hyaluronsäure oder Dexpanthenol, empfehlen. JAK-Inhibitoren wie Upadacitinib (Rinvoq®), Abrocitinib (Cibinqo®) und Baricitinib (Olumiant®) gibt es in Tablettenform. Der Patient schluckt sie einmal täglich, möglichst zur gleichen Zeit.
Die Multizytokinhemmer unterdrücken mehrere entzündungsfördernde Interleukine. Laut Fachinformationen gehören neben Herpes-Infektionen gastrointestinale Beschwerden und Kopfschmerzen zu den häufigen Nebenwirkungen, bei Upadacitinib auch Infektionen der oberen Atemwege.
Eine weitere antientzündliche Maßnahme stellt die Bestrahlung mit ultraviolettem Licht (UV-Licht) bestimmter Wellenlängen dar. Bei schwerem atopischen Ekzem kommt meist langwelliges UV-A-Licht, die sogenannte Kaltlichttherapie zum Einsatz.
Das quälendste Symptom bei Neurodermitis ist der extreme Juckreiz. Das Fatale: Wer kratzt, schwächt die Hautbarriere zusätzlich, erhöht die Gefahr für Sekundärinfektionen und setzt damit einen Teufelskreis in Gang. Ein Kratzverbot ist aber vor allem bei Babys und Kleinkindern wenig zielführend.
Auch feuchte, kühlende Umschläge mit schwarzem Tee sind hilfreich. Sie wirken adstringierend, antibakteriell und juckreizstillend. Wickel mit Wirkstoffzusatz können für einige Tage eine wirksame Akutmaßnahme sein. Auf die Haut kommt zuerst eine Cortison-Zubereitung, darüber ein warmes feuchtes Baumwolltuch, das mit einem trockenen Tuch bedeckt wird. Auch die Basispflege lässt sich mit dieser Wickeltechnik kombinieren. Systemische Antihistaminika der ersten oder zweiten Generation sollen nicht als Langzeitbehandlung gegen Juckreiz verwendet werden, so die Autoren der Leitlinie. Zugelassen sind Cetirizin, Loratadin und Desloratadin sowie Levocetirizin ab einem Alter von zwei Jahren.
Sekundärinfektionen werden häufig durch Herpes- oder Dellwarzen-Viren, Hefen oder Dermatophyten sowie Staphylokokken ausgelöst. Gegen Letztere zeigen antiseptische Mittel wie Chlorhexidin oder Octenidin gute Wirksamkeit, entsprechende Rezepturen finden sich zum Beispiel im Neuen Rezeptur Formularium (NRF). Generell spielen Rezepturen eine wichtige Rolle in der Neurodermitis-Versorgung. Sie ermöglichen eine Behandlung, die genau auf den Hautzustand oder das Alter abgestimmt ist, unnötige Zusatzstoffe vermeidet und oft von der Krankenkasse erstattet wird.
Das atopische Ekzem ist weit mehr als eine Erkrankung der Haut, es belastet auch die Psyche. Neurodermitiker fühlen sich oft stigmatisiert. Das kann Ängste und sogar Depressionen begünstigen. Je ausgeprägter die Neurodermitis-Symptome, desto größer die seelische Belastung. Die PTA kann daher durch die Beratung zu Hautpflege und der richtigen Anwendung der Arzneimittel nicht nur die Hautgesundheit, sondern auch das seelische Wohlbefinden der Betroffenen spürbar verbessern.