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Stuhltransplantation

Heilen mit Darmbakterien

Es klingt eklig, eignet sich aber als Medizin: die Übertragung von Stuhl eines Menschen auf den Darm eines anderen. Denn Studienergebnisse belegen, dass eine Stuhltransplantation bei bestimmten Darmerkrankungen wirksam sein kann. Ein erstes Arzneimittel wurde nun in den USA zugelassen.
Nicole Schuster
03.02.2023  09:00 Uhr

Die Biodiversität der gastrointestinalen Mikrobiota kann durch zahlreiche Medikamente gestört werden. Dazu zählen Antibiotika, Glucocorticoide, hormonell wirksame Steroide, Protonenpumpeninhibitoren oder nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Acetylsalicylsäure, Diclofenac oder Ibuprofen. Die Ernährung und Stress wirken sich ebenfalls auf die Darmflora aus. Eine Dysbiose könnte Erkrankungen wie Darmentzündungen, Darmkrebs oder Adipositas begünstigen. Störungen außerhalb des Darms etwa neurologische Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Morbus Alzheimer werden ebenfalls mit einer veränderten Mikrobiota in Zusammenhang gebracht. Wird die Eubiose im Darm wieder hergestellt, könnte das den Verlauf einiger Krankheiten günstig beeinflussen, manche sogar heilen. Eine Hoffnung dabei sind Präbiotika und Probiotika.

Ein anderer Ansatz ist der fäkale Mikrobiota-Transfer (FMT), auch Stuhltransplantation genannt. Dabei wird die intestinale Mikrobiota eines gesunden Spenders auf einen Menschen übertragen, dessen Darmflora pathologisch gestört ist. Besonders gut ist die Wirksamkeit der FMT bei rekurrenten Clostridioides-difficile-Infektionen (rCDI) belegt. Das Bakterium C. difficile kann sich bei einer Antibiotikatherapie im Darm stark vermehren. Die Folge sind schwere Durchfälle und Darmentzündungen, die sogar tödlich verlaufen können. Menschen, die einmal eine CDI hatten, haben ein hohes Risiko für Rezidive. Die Autoren eines Reviews bezeichneten 2020 »die FMT als bestes Mittel zur Behandlung der antibiotikarefraktären CDI«. Bereits 2014 hatten Wissenschaftler im Rahmen eines systematischen Reviews 20 Fallserien, 15 Fallberichte und eine randomisierte kontrollierte Studie ausgewertet. Sie schlussfolgerten, dass die FMT bei der Behandlung von rezidivierender CDI wirksam und sicher zu sein scheint.

Hoffnung bei Colitis ulcerosa

Es gibt auch Hinweise, dass die FMT bei der Behandlung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wirksam sein könnte. Eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse aus 2022 zeigte den Nutzen der FMT bei der Kurzzeitbehandlung der aktiven Colitis ulcerosa. Das Sicherheitsprofil war ähnlich wie unter Placebo. In die Untersuchung schlossen die Wissenschaftler sechs doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs) mit erwachsenen Patienten mit aktiver Colitis ulcerosa ein. Es erreichten mehr Patienten mit FMT als mit Placebo eine kombinierte klinische und endoskopische Remission. Die Autoren halten weitere RCTs für erforderlich, um die Studienprotokolle zu standardisieren und Informationen für eine Erhaltungstherapie zu sammeln.

In einer Netzwerk-Metanalyse aus 2021 wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von gezielten Pharmakotherapien wie Infliximab oder Adalimumab und der FMT zur Behandlung der Colitis ulcerosa verglichen. Die Analyse der 19 eingeschlossenen Studien ergab, dass die FMT ebenso wirksam und sicher wie die anderen untersuchten Therapien war. Ein weiteres Einsatzgebiet könnte Adipositas sein. Allerdings fehlen bislang Nachweise, dass die Transplantation nachhaltig hilft, da die Mikrobiota teilweise genetisch bedingt ist. Laufende Forschungsstudien untersuchen die Wirksamkeit der FMT bei anderen gastrointestinalen und nicht-gastrointestinalen Erkrankungen.

Reguliert als Arzneimittel

Präparate zum fäkalen Mikrobiomtransfer unterliegen in Deutschland dem Arzneimittelgesetz. Die Hürden für ein zugelassenes Arzneimittel sind jedoch hoch. Dieses muss nicht nur als wirksam erwiesen sein, sondern auch als sicher. Zudem ist eine standardisierte Zusammensetzung erforderlich. In Deutschland findet der FMT daher bislang nur im Rahmen von klinischen Studien oder individuellen Heilversuchen statt. Bei Letzterem wird der Patient direkt durch den behandelnden Arzt versorgt, der persönlich für die Herstellung und Qualität des Präparats verantwortlich ist. Eine Übersicht über Einrichtungen, die die FMT anbieten, ist hier zu finden.

Es gibt verschiedene Wege, das Mikrobiom des Spenders zu verarbeiten. Es kann in Kochsalzlösung verflüssigt und filtriert werden, um zelluläre Bestandteile zu entfernen. Die entstandene Suspension kann gleich dem Patienten gegeben werden oder sie wird bei –20 bis –80 °C gelagert. Wenn das Mikrobiom tiefgekühlt aufbewahrt werden soll, wird der Flüssigkeit Glycerin zugesetzt. Dieses soll die Lebensfähigkeit der Bakterien verbessern. Patienten kann Spenderstuhl entweder in flüssiger Form direkt oder in aufbereiteter Form verabreicht werden. Die Vorstellung, verflüssigten Stuhl schlucken zu müssen, ist verständlicherweise nicht angenehm. Hier kann man Patienten beruhigen. Die Zubereitung wird ihnen über einen Einlauf, per Endoskopie oder über einen nasojejunalen Schlauch zugeführt. Das verflüssigte Mikrobiom kann auch gefriergetrocknet werden. Es entsteht ein Pulver, das in magensäureresistente Kapseln verfüllt wird. Die Kapseln lassen sich im Kühlschrank lagern und können eine Langzeitbehandlung ermöglichen.

Nicht ohne Risiken

Die Übertragung von Stuhl ist mit Risiken verbunden. Wenn das fäkale Mikrobiom Pathogene enthält, könnten diese den Empfänger infizieren. Nachdem in einer Studie Patienten mit dem Mikrobiom multiresistente Bakterien zugeführt worden waren, haben sowohl die U.S. Food and Drug Administration (FDA) als auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genaue Vorgaben zum Spenderscreening veröffentlicht. Das soll die Sicherheit erhöhen. Unbeantwortet ist die Frage, ob FMT-Empfänger ein erhöhtes Risiko haben, an Krankheiten zu erkranken, die möglicherweise in einem kausalen Zusammenhang mit dem Mikrobiom stehen und die beim Spender (noch) nicht ausgebrochen sind. Bislang wird das für eher unwahrscheinlich gehalten. Damit mit dem Mikrobiom auch eine Krankheitsdisposition übertragen wird, müsste das übertragene Mikrobiom über Jahre im Empfänger erhalten bleiben, was in der Regel nicht der Fall ist.

Optimal wäre es, wenn nur die therapeutisch relevanten Bestandteile und nicht das gesamte Mikrobiom transferiert werden könnten. Möglicherweise handelt es sich bei den wirksamen Bestandteilen nicht um bestimmte Bakterienstämme, sondern um bakterielle Metaboliten. Diese könnten rekombinant hergestellt werden, was die Sicherheit erhöhen würde. Eine andere Möglichkeit könnte sein, Bakteriensporen zu verabreichen. SER-109 ist ein entsprechendes Präparat, das aus lebenden, gereinigten Firmicutes-Bakteriensporen besteht. Es wurde entwickelt, um das Risiko eines erneuten Auftretens von CDI zu verringern. SER-109 wurde bereits erfolgreich in Studien getestet.

In den USA hat die FDA im September 2022 mit Rebyota das erste Präparat aus menschlichem Faeces zugelassen. Das Arzneimittel soll bei Patienten mit CDI eingesetzt werden, die mit Antibiotika behandelt werden, um ein Rezidiv zu verhindern. Es ist zugelassen bei Personen ab 18 Jahren und wird rektal via Einlauf 24 bis 72 Stunden nach der letzten Antibiotikagabe verabreicht. Sicherheit und Wirksamkeit von Rebyota wurden in fünf klinische Studien mit mehr als 1000 Teilnehmern untersucht. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehörten Magenschmerzen, Durchfall, Blähungen und Übelkeit. In der Packungsbeilage warnt der Hersteller davor, dass mit dem Präparat möglicherweise auch Infektionserreger übertragen werden könnten. Die FDA wies in ihrer Pressemitteilung zudem darauf hin, dass unbekannt sei, inwieweit das Produkt durch enthaltene Lebensmittelallergene unerwünschte Reaktionen hervorrufen könne. Noch sind also Fragen offen. 

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