Helfende Hände für sichere Therapie |
Achtung, Rote-Hand-Brief: Dessen mögliche Forderungen zu sicherheitsrelevanten Arzneimittelaspekten ist Folge zu leisten. / Foto: Adobe Stock/pointstudio
Pharmakovigilanz meint das Analysieren und Abwehren von Arzneimittelrisiken. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO umfasst das alle Aktivitäten, die sich mit der Aufdeckung, der Bewertung und der Prävention von Nebenwirkungen oder von anderen Arzneimittel-bezogenen Problemen befassen. Und da die Apotheken die letzte Instanz sind, bevor der Verbraucher sein Arzneimittel anwendet, sind ihre Mitarbeiter gefordert, aktiv am Spontanmeldesystem von Neben- und Wechselwirkungen sowie von Qualitätsmängeln teilzunehmen. Ja, man könnte behaupten, dass die Arzneimittelsicherheit zu einem guten Stück direkt von der Meldefrequenz und von der Qualität der Meldungen abhängig ist.
Dieser Aufgabe kommen die Apothekenmitarbeiter hervorragend nach. So meldeten im Jahr 2019 die Apotheken mehr Qualitätsmängel und Nebenwirkungen von Arzneimitteln an die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) als jemals zuvor. Die AMK erhielt fast 11 000 Spontanberichte aus 5274 verschiedenen Apotheken. Die große Mehrheit von rund 7700 Meldungen betraf Qualitätsmängel, knapp 3000 Meldungen gingen zu Nebenwirkungen ein.
Ohne Frage sind klinische Studien wichtige Instrumente, um die Wirksamkeit und Sicherheit von neuen Arzneistoffen zu untersuchen. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass die Wahrscheinlichkeit von unerwünschten Arzneimittelwirkungen mit der Anzahl der beobachteten Patientenzahl ansteigt. In der klinischen Erprobung werden die Arzneimittel schließlich nur an einer relativ kleinen Probandenzahl getestet. Deshalb muss ein Arzneimittel in der sogenannten Post-Marketing-Phase überprüft werden, schreibt das Arzneimittelgesetz (AMG) vor. Danach sind Hersteller verpflichtet, über die Zulassung eines Arzneimittels hinaus kontinuierlich Daten zu Erfahrungen bei der Arzneimittelanwendung zu sammeln und systematisch auszuwerten.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist Metamizol: Zwar seit annähernd 100 Jahren im Handel, erschien im Dezember 2020 ein Rote-Hand-Brief zu dem Wirkstoff. In diesem informierten Hersteller über mögliche arzneimittelinduzierte Leberschäden unter der Einnahme von Metamizol und riefen Fachkreise dazu auf, Patienten über mögliche Frühsymptome zu informieren.
Apotheken sind ein wichtiger Teil dieses Pharmakovigilanz-Systems: Sie sind dazu verpflichtet, bei der Ermittlung, Erkennung und Erfassung von Arzneimittelrisiken mitzuwirken. So haben sie die Aufgabe, bei Verdacht auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen, bei Wechselwirkungen oder vermuteten Resistenzbildungen der AMK oder bei Qualitätsmängeln rund um das Arzneimittel zusätzlich der zuständigen Behörde Meldung zu erstatten. Die AMK leitet die aufgearbeiteten Berichte dann an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beziehungsweise Paul Ehrlich Institut (PEI) weiter, die ihre Berichte wiederum an die »Eudra Vigilance«, eine europäische Pharmakovigilanz-Datenbank, übermitteln. Zur Abwehr von Gefahren könnte daraufhin ein Stufenplanverfahren eingeleitet werden.
Auch Patienten sind dazu angehalten, unerwünschte Arzneimittelwirkungen ihrem Apotheker, Arzt beziehungsweise dem BfArM oder PEI zu melden. Das dürfte dieser Tage vermehrt bezüglich der Covid-19-Impfstoffe der Fall sein. So hat das PEI die App SafeVac 2.0 eingerichtet, die den Patienten ermöglicht, Angaben zur Verträglichkeit der Covid-19-Impfstoffe zu machen. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening informiert: »Wer kein Smartphone hat oder lieber mit einem Arzneimittel-Experten sprechen möchte, kann in die Apotheke kommen. Dort ist man auf diese Aufgabe durch Jahrzehnte lange Praxis vorbereitet und die AMK tauscht sich dabei regelmäßig mit dem Paul-Ehrlich-Institut aus.«
Was die Arzneimitteleinnahme betrifft: Für die Meldung genügen Verdachtsfälle, wobei nicht nachgewiesen werden muss, ob das beobachtete Symptom ursächlich mit der Arzneimittelanwendung in Zusammenhang steht. Für den Verdacht genügt es, dass ein zeitlicher Zusammenhang zu der Arzneimitteleinnahme besteht und dass keine weiteren Ursachen für den Meldenden erkennbar sind.
Die AMK nimmt nicht nur Meldungen aus Apotheken entgegen, sondern informiert diese zudem über Arzneimittelrisiken und Maßnahmen zu deren Abwehr. Hier nehmen etwa die Rote-Hand-Briefe eine wichtige Funktion ein. Erscheint in der Apotheke ein Briefumschlag mit dem Symbol einer roten Hand, bedeutet dies: wichtige Mitteilung über ein Arzneimittel. In dem Rote-Hand-Brief informiert der pharmazeutische Unternehmer sowohl Apotheker als auch Ärzte über aktuelle und sicherheitsrelevante Informationen zu bestimmten Arzneimitteln. Sie werden in Absprache mit der jeweils zuständigen Bundesoberbehörde, also dem BfArM oder dem PEI, versendet.
Die Handbriefe sind ein wichtiges Instrument zur Erhöhung der Sicherheit im Arzneimittelverkehr. Das offizielle Schreiben enthält beispielsweise Hinweise auf bislang unbekannte Arzneimittelrisiken, pharmazeutische Änderungen, beispielsweise den Anwendungsbereich betreffend, oder Informationen über Rückrufe.
Bei einem Chargenrückruf zu einem Arzneimittel beispielsweise müssen Apotheken ihren Bestand auf betroffene Chargen überprüfen und gegebenenfalls an den Großhandel oder Hersteller zurücksenden oder vernichten. Zudem müssen sie alle Aufzeichnungen über den Rückruf sowie die Rückgabe der Arzneimittel vollständig und mindestens bis ein Jahr nach Ablauf des Verfalldatums, jedoch nicht weniger als fünf Jahre, aufbewahren.
Neben dem Versand durch den Hersteller erhalten Apotheken Rote-Hand-Briefe auch über AMK-Meldungen in Fachzeitschriften. Bei der PZ sind diese im Serviceteil des Heftes unter »AMK-Nachrichten« zu finden. Sie können außerdem online tagesaktuell beispielsweise über die Internetseite der AMK oder über den ABDA-RSS-Feed abgerufen werden. Darüber hinaus sind sie im sogenannten Plus X-Modul der ABDADatenbank² enthalten, sodass Apotheken über ihre Warenwirtschaft Zugriff auf die PDF-Versionen dieser Dokumente haben.
Beim sogenannten Blaue-Hand-Brief handelt es sich um offizielles Schulungsmaterial zu Arzneimitteln. Das Symbol der blauen Hand ist dem des Rote-Hand-Briefs nachempfunden und dient als Kennzeichnung dafür, dass das vorliegende Material behördlich geprüft und genehmigt wurde. Es dient als Ergänzung zur Packungsbeilage und zur Fachinformation und kann durch die zuständige Bundesoberbehörde angeordnet werden, wenn besondere Informationen zur Minimierung bestimmter Arzneimittelrisiken für erforderlich gehalten werden. Die zuständige Behörde kontrolliert und genehmigt das vom jeweiligen Hersteller zur Verfügung gestellte Material anschließend. Inhaltlich kann es sich dabei zum Beispiel um Leitfäden und Checklisten für Fachkreise oder Informationsbroschüren und Ausweise für Patienten handeln. Die Verteilung an Ärzte und Apotheken erfolgt durch den pharmazeutischen Unternehmer. BfArM und PEI stellen die Materialien außerdem online zur Verfügung.
Anlass für die im Jahr 2016 eingeführte Kennzeichnung waren Hinweise der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), dass besagtes Schulungsmaterial beim Empfänger offenbar leicht mit Werbung verwechselt und entsorgt wird, was in der Vergangenheit vereinzelt zu Medikationsfehlern führte.