Herausforderung Spritzentherapie bei AMD |
Sicht mit AMD: Im fortgeschrittenen Stadium der feuchten Makuladegeneration sehen Betroffene graue oder schwarze Flecken im zentralen Sichtfeld. Auch die Randbereiche erscheinen unscharf. / Foto: Pro Retina/CCat82
Ein AMD-Simulator (zum Beispiel hier) vermittelt einen kleinen Einblick in die Welt eines Patienten mit fortgeschrittener AMD: Das zentrale Sichtfeld ist hinter einem grauen Fleck verschwunden, nur die – unscharfen – Randbereiche des Sichtfelds bieten ein Minimum an Orientierung. Ein Objekt zu erkennen gelingt nur, wenn man absichtlich daran vorbeischaut und es aus dem Augenwinkel betrachtet. All das erfordert eine Menge Konzentration und macht schnell müde. Im Anfangsstadium der Erkrankung erscheinen meist Konturen unscharf oder Linien sind verzerrt, wo sie eigentlich gerade sein sollten.
Die Ursache dieser Sehbeeinträchtigungen sind Ablagerungen unter der Netzhaut im Bereich des schärfsten Sehens, der Makula. Diese Drusen entstehen prinzipiell bei jedem Menschen über 60 Jahre, bereiten aber über lange Zeiträume keine Sehbeschwerden. Findet der Augenarzt Drusen bei einer Kontrolluntersuchung, ist es wichtig, diese in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Denn aus der trockenen AMD entwickelt sich bei 10 bis 15 Prozent der Patienten die feuchte Form. Bei ihnen schütten die Epithelzellen den Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) aus, der dazu führt, dass neue Blutgefäße in die Netzhaut einwachsen.
Aufgrund ihrer Instabilität verlieren die Gefäße Wasser und manchmal auch Blut, welches die Netzhaut verformt und zu den verbogenen Linien beim Sehen führt. Diese Form der AMD wird daher auch als neovaskulär oder exsudativ bezeichnet. Sie ist zwar aggressiver und führt unbehandelt schneller zur Erblindung als die trockene Form, andererseits stehen seit gut 15 Jahren spezifische Antikörper zur Verfügung, die diesen Wachstumsfaktor direkt im Augapfel einfangen und so die Gefäßneubildung hemmen (Angiogenesehemmer). Seitdem ist die Erblindungshäufigkeit aufgrund feuchter AMD um circa 70 Prozent zurückgegangen.
Das Antikörperfragment Ranibizumab (Lucentis®) war der erste VEGF-Hemmer, der 2007 für die Therapie der feuchten AMD zugelassen wurde. Er wird – wie auch die nachfolgenden Biologicals – vom Augenarzt in den Glaskörper des Auges gespritzt (intravitreale operative Medikamentenapplikation, IVOM). Nach den ersten drei Injektionen im Monatsabstand entscheidet der Arzt über das nächste Intervall. Bei Krankheitsaktivität muss Ranibizumab, von dem es mittlerweile auch Biosimilars gibt (Byooviz®, Ranivisio® und Ximluci®), weiter monatlich gespritzt werden. Der Antikörper Bevacizumab (Avastin®) ist ähnlich aufgebaut und hat den gleichen Wirkmechanismus wie Ranibizumab, ist aber nur für die Krebsbehandlung zugelassen. Da es sehr viel günstiger ist, verordnen Augenärzte es häufig off Label. Studien zeigen auch, dass Bevacizumab dem kleineren und leichteren Ranibizumab nicht unterlegen ist.
Aflibercept (Eylea®) wurde 2012 zur Behandlung der feuchten AMD zugelassen. Es handelt sich um ein Fusionsprotein, das im Auge als »Köderrezeptor« fungiert: Der Wachstumsfaktor VEGF wird gebunden, bevor er das Gefäßwachstum anregen kann. Nach den ersten drei Injektionen im Monatsabstand wird es alle zwei Monate gespritzt.
Der Wunsch, das Spritzintervall zu verlängern, führte zur Entwicklung eines weiteren Angiogenesehemmers im Jahr 2020. Brolucizumab (Beovu®) wird viermal im Abstand von jeweils vier Wochen in den Augapfel gespritzt. Danach genügt bei den meisten Patienten ein Intervall von drei Monaten.
Faricimab (Vabysmo®) ist der neueste Antikörper zur Therapie der feuchten AMD. Er besitzt einen dualen Wirkmechanismus – neben VEGF hemmt er außerdem Angiopoietin-2, einen weiteren Wachstumsfaktor. Dadurch werden die Gefäße stabilisiert, die Makula bleibt länger trocken. Das zeigt sich im Dosierungsschema: Nach der Aufsättigungsphase reicht ein Intervall von vier Monaten bei Patienten ohne Krankheitsaktivität oft aus.
Vielen Patienten ist unwohl bei der Vorstellung an den Piks in den Augapfel. Zudem müssen die Termine regelmäßig wahrgenommen werden – für die meist älteren, wenig mobilen Patienten eine Herausforderung. Im Durchschnitt werden im ersten Jahr etwa sieben bis acht Behandlungen benötigt, drei bis vier Injektionen im zweiten Jahr und circa drei Behandlungen ab dem dritten Jahr.
Patienten, die bereits 50, 70 oder mehr Injektionen hinter sich haben, sind heute keine Seltenheit. Die Behandlungen belasten die Patienten und führen zu einer gewissen Therapiemüdigkeit, die ihre Sehfähigkeit gefährden kann. Ein Port Delivery System (PDS) mit Ranibizumab könnte die Therapie deutlich vereinfachen: Dafür setzt der Augenarzt ein reiskorngroßes Reservoir in die Lederhaut des Auges ein und befüllt es alle 24 oder 36 Wochen mit der Wirkstoff-Lösung. Im Rahmen einer Studie führte das PDS, das in den USA bereits zugelassen ist, zu fünfmal weniger Ranibizumab-Behandlungen und hatte zudem ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil.
Am Behandlungstag sind leichte Schmerzen, Blendempfindlichkeit und mouches volantes (»fliegende Mücken«, kleine dunkle oder helle Objekte, die sich im Blickfeld bewegen) häufige Nebenwirkungen. Bei diesen Symptomen sollte der Patient sofort einen Augenarzt aufsuchen:
In Deutschland behandeln Augenärzte ihre Patienten entweder nach dem PRN-Schema (»pro re nata«) oder nach dem T&E-Schema (»treat and extend«). Das Ziel beider Vorgehensweisen ist, die möglichst geringste Anzahl an Injektionen durchführen zu müssen und gleichzeitig das beste Behandlungsergebnis sicherzustellen.
Pro re nata ist der lateinische Ausdruck für »wie sich die Umstände ergeben«. Er beschreibt das Motto der hierzulande am häufigsten angewendeten Therapieform. Die Patienten werden nur bei nachgewiesener Krankheitsaktivität behandelt, und dann immer mit einer Injektionsserie, das heißt sie erhalten drei Injektionen im Abstand von jeweils vier Wochen. Darauf folgt eine Therapiepause, während der monatlich eine Kontrolle stattfindet. Hierbei erstellt der Arzt eine Schichtaufnahme der Netzhautmitte mittels optischer Kohärenztomografie (OCT). Erst bei erneuter Aktivität der Erkrankung behandelt er wieder mit einer Injektionsserie. Bei der PRN-Therapie hat der Patient den Vorteil, dass er feste Termine hat und diese im Voraus planen kann. Die Augen der meisten Patienten sind im Anschluss an die Serie für längere Zeit trocken. Auch für Patienten mit beidseitiger AMD ist dieses Schema besonders geeignet.
Die T&E-Therapie wird bei Patienten angewendet, die eine erhöhte Krankheitsaktivität aufweisen und bei denen die Erkrankung besonders aggressiv verläuft. Das Ziel ist, das Intervall zu finden, das für den Patienten am besten geeignet ist, um die Makula trocken zu halten. Das bedeutet, dass nach der ersten Injektionsserie bei jeder Kontrolle eine weitere Spritze gesetzt wird. Das Intervall wird jedes Mal um zwei Wochen verlängert, falls die Kontrolle keine Hinweise auf Krankheitsaktivität gibt. Bei Anzeichen von erneuter Aktivität werden die Intervalle wieder schrittweise verkürzt.