Herzkrank durch Lärm und Luftverschmutzung |
Im Gegensatz zu anderen Risikofaktoren wie beispielsweise übermäßiger Nikotin- und Alkoholkonsum sind umweltbedingte Risikofaktoren kaum oder gar nicht durch den Einzelnen beeinflussbar. / Foto: Getty Images/Bernd Friedel / EyeEm
Zwar seien die Emissionen mancher Luftschadstoffe in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. »Es besteht jedoch weiter Handlungsbedarf«, kritisiert Professor Thomas Münzel, Mainz. Denn: »Die Konzentration für Feinstaub, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihren Richtlinien vorgibt, wird hierzulande noch immer weit überschritten.«
In Deutschland gibt es studiengemäß allein 123.000 frühzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung pro Jahr, von denen etwa 42.200 auf ischämische Herzerkrankungen, 6700 auf Schlaganfälle und 47.000 auf andere Leiden wie Diabetes mellitus zurückgeführt werden.
Besonders die Staubpartikel mit einem aerodynamischen Durchmesser von 2,5 Mikrometer und kleiner seien gesundheitlich bedenklich. Diese bestehen aus einer Mischung von Ruß, anorganischen Säuren, Salzen und flüchtigen organischen Verbindungen und dringen tief in die Atemwege vor. Schon in geringen Konzentrationen können sie dort für chronischen oxidativen Stress sorgen, der zur Entstehung beispielsweise von Asthma und Erythemen beiträgt, warnt der Kardiologe. Gelangen die Mini-Partikel weiter in die Blutbahn und in die Gefäße, könnten sie zudem chronisch-systemische Entzündungen mit Minderung der Elastizität der Blutgefäße, einer gestörten Blutgerinnung und Arteriosklerose sowie Herzrhythmusstörungen (Vorhofflimmern) als Basis von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorrufen.
Durch das Anstoßen physiologischer Stresskaskaden durch einen erhöhten Stresshormonausstoß, Störung der zirkadianen Rhythmik des Organismus, oxidativen Stress und Inflammationen komme es langfristig zu Gefäßschäden, die ebenfalls zur Erhöhung des Blutrucks, des Blutzuckers, des Cholesterins und der Blutviskosität und somit zu koronaren Herzerkrankungen, Schlaganfall und Herzinfarkt führen können.
Dringend notwendig sei daher die Minderung der Luftschadstoffe – nicht nur durch die Umstellung von der Nutzung fossiler Brennstoffe auf erneuerbare Energiequellen, sondern auch durch entsprechende Stadtplanungs- und Straßenbaumaßnahmen, macht Münzel, auch Gastherausgeber des Ende 2021 erschienenen Schwerpunkthefts »Kardiologie und Umweltmedizin« der Fachzeitschrift »Aktuelle Kardiologie«, deutlich. Wie andere Experten fordert auch er eine stärkere Regulierung von Umweltnoxen und -lärm.
»Die aktuellen Europäischen Grenzwerte sind mit 25 µg/m3 fünfmal so hoch wie die aktuellen Vorgaben der WHO mit 5 µg/m3«, hebt Münzel hinsichtlich der Feinstaubbelastung hervor. Auch andauernder Umgebungslärm gelte als potenzieller Krankmacher, der nicht nur zu Lasten der Ohren, sondern gleichermaßen des Herzens geht. »Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur (EUA) sind mindestens 20 Prozent der europäischen Bevölkerung schädlichen Tag-Abend-Nacht-Lärmpegeln von 55 Dezibel (dB) ausgesetzt. Die Grenzwerte der WHO liegen, abhängig von der Lärmquelle, bis zu 10 dB darunter«, so Münzel weiter. Die Einführung entsprechender Lärmgrenzwerte in Orientierung an den WHO-Richtwerten sei auch hier erforderlich – vor allem angesichts der Tatsache, dass Verkehrslärm und Feinstaub insbesondere in Kombination zudem das Risiko für Depressionen und Angststörungen erhöhten.
Im Gegensatz zu anderen klassischen Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie übermäßiger Nikotin- und Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung oder körperliche Inaktivität, seien umweltbedingte Risikofaktoren wie spezifische Luftschadstoffe und Umgebungslärm kaum oder gar nicht durch den Einzelnen beeinflussbar.
Aufgrund der hinreichend belegten Evidenz müssten Luftverschmutzung und Umgebungslärm daher verstärkt nicht nur als generelle Gesundheits-Gefahren in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden, sondern explizit auch als bedeutende Risikofaktoren in die Leitlinien der medizinischen Fachverbände aufgenommen werden.
Die Weltbevölkerung werde bis 2050 auf 10 Milliarden Menschen wachsen, von denen 75 Prozent in Städten mit per se erhöhter Luftverschmutzung und Lärmbelastung leben. Zwingend seien die entsprechenden gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen zu ziehen. Ein »radikales Umdenken« zum Schutz der menschlichen und planetarischen Gesundheit sei unumgänglich, so der eindringliche Appell der Studienautoren.