Hilfe rund um die Uhr beim Giftnotruf |
Alles, was bunt ist, ist für Kinder verlockend: Wasch- und Reinigungsmittel liegen bei den Vergiftungsverdachtsfällen ganz vorne. / Foto: Adobe Stock / ruslanita
Acht Giftnotruf- und Giftinformationszentralen gibt es in Deutschland. Nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) erfassen sie rund 250.000 Vergiftungen und Verdachtsfälle pro Jahr. Je nach Zentrum stammt etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Anfragen von Privatpersonen. Ein weiterer großer Teil der Beratungen entfällt auf Kliniken, die Patienten mit akuten Vergiftungen behandeln und Unterstützung in Diagnostik und Therapie benötigen. Da es sich hierbei oft um komplizierte und dementsprechend zeitaufwendige Fälle handelt, werden diese seit 2014 in Rechnung gestellt. Die restlichen Anrufe verteilen sich auf medizinisches Personal wie niedergelassene Ärzte oder Rettungsdienste, aber auch Apotheken, Gesundheitsbehörden oder Kinderbetreuungseinrichtungen rufen an. Für sie ist die Beratung, ebenso wie für Privatpersonen, kostenlos. Da es in Deutschland keine tiermedizinischen Giftinformationszentren gibt, steht der Giftnotruf zudem auch Tierbesitzern und Veterinärmedizinern offen.
Ob Mensch oder Tier: Ziel der Vergiftungsberatung ist es, eine möglichst genaue Risikoeinschätzung und Therapieempfehlung zu geben. Dafür greifen die Experten zum Beispiel auf medizinische, pharmazeutische und toxikologische Datenbanken oder Datenbanken mit Rezepturmeldungen der Industrie zurück. Für die Bestimmung von Pilzen können ehrenamtliche Pilzsachverständige kontaktiert werden, bei unbekannten Pflanzen werden mitunter Gärtner um Rat gefragt.
Eine systematische Erfassung aller Vergiftungen in Deutschland findet nicht statt. Ärzte melden diagnostizierte Vergiftungen an das BfR, die Giftnotruf- und Giftinformationszentralen werten ihre erhobenen Daten eigenständig aus. Nach dem Chemikaliengesetz sind sie jedoch dazu verpflichtet, Häufungen oder Trends von Vergiftungsunfällen an das BfR zu melden. Sie fungieren damit als eine Art »Trendbarometer« und spielen eine wichtige Rolle im Verbraucherschutz.
Rückschlüsse auf das Vergiftungsgeschehen in Deutschland lassen sich aus den Jahresberichten der Giftnotruf- und Giftinformationszentralen ziehen. Hier zeigt sich, dass Arzneimittel, Haushaltsreiniger und Pflanzen die ersten drei Plätze im Vergiftungsgeschehen belegen.
Rund 12.800 Anrufe zu Medikamenten hat allein die Informationszentrale gegen Vergiftungen in Bonn 2019 gezählt. Besonders häufig wurde bei Erwachsenen von Verdachtsfällen oder Vergiftungen mit Psychopharmaka oder Analgetika berichtet. Bei Kindern waren es Analgetika gefolgt von Antitussiva. Fast gleichauf mit Wasch- und Reinigungsmitteln (5698 Anfragen) liegen Pflanzen (5144 Anfragen). Zählt man zu den Wasch- und Reinigungsmitteln noch Kosmetika und weitere Haushaltsmittel hinzu, wurden fast 12.000 Anrufe erfasst. Um welche Substanzen es sich dabei besonders häufig handelt, schlüsselt das Gemeinsame Giftinformationszentrum der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (GGIZ) auf. Demnach liegen bei Kindern Geschirrspülmittel, bei Erwachsenen die Entkalker ganz vorne. Bei den Pflanzen erfolgten in den vergangenen zehn Jahren die meisten Anrufe aufgrund der Eibe. Danach rangieren Anfragen zu Herbstzeitlosen, Bärlauch und Maiglöckchen.
Auf Anfragen bezüglich Pilze entfallen laut der Informationszentrale gegen Vergiftungen in Bonn nur 2 Prozent der Meldungen. Sie unterliegen typischen saisonalen Schwankungen. Vor allem im Spätsommer und Herbst suchen viele Menschen Rat, wie die Vergiftungsstatistik des Giftinformationszentrum-Nord zeigt. Auch Vergiftungen mit anderen Nahrungsmitteln waren ebenso wie Vergiftungen mit Schädlingsbekämpfungsmitteln, durch Drogen oder Tiere vergleichsweise selten. Anders als vielleicht vermutet, gehen Vergiftungen durch Tiere nicht von exotischen Haustieren aus. In den vergangenen zehn Jahren riefen die meisten Anrufer aufgrund der Kreuzotter an. Danach folgten sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern Fragen zu Wespen, Spinnen, Bienen und Hornissen.
Vergiftungen und entsprechende Verdachtsfälle sind bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen. Die Mehrheit der Fälle ist der kindlichen Neugier oder einem Versehen zuzuschreiben. Die Informationszentrale gegen Vergiftungen in Bonn weist in ihrem Jahresbericht von 2019 ein Prozent der Fälle als Suizidversuch aus. Ein großer Teil der kindlichen Vergiftungen ließe sich durch die kindersichere Lagerung von Kosmetika, Reinigungsmitteln und Medikamenten sowie einer kritischen Pflanzenwahl in Haus und Garten vermeiden. Zahlreiche Informationsmaterialien zum Thema, die für die Weitergabe an Kunden geeignet sind, bietet zum Beispiel die Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder e.V. an.
Bei Erwachsenen ist ungefähr die Hälfte der Fälle einem Versehen zuzuordnen. Rund 23 Prozent sind die Folgen eines Suizidversuchs, 6 Prozent entfallen auf Substanzmissbrauch. Dazu kommen Arbeitsunfälle, Nebenwirkungen oder durch ärztliche Maßnahmen verursachte Vergiftungen, Umwelteinwirkungen sowie Giftbeibringungen. Bei immerhin 8 Prozent ist die Ursache der Vergiftung unbekannt.
Ist es zu einer Vergiftung gekommen, lautet der wichtigste Rat der Giftnotrufe: Ruhe bewahren und einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen ausführen. Dazu gehört, bei Haut- oder Augenkontakt betroffene Bereiche 10 bis 15 Minuten mit Wasser zu spülen. Kontaktlinsen oder benetzte Kleidung sollten entfernt werden.
Wurde eine Substanz verschluckt, sollten eventuell vorhandene Reste aus dem Mund entfernt werden. Anschließend kann etwas getrunken werden. Bei einer Säure- oder Laugenvergiftung sollte dies so schnell wie möglich geschehen, um die Substanz aus Speiseröhre und Magen zu entfernen. Allerdings gilt dabei nicht »viel hilft viel«. Die Trinkmenge sollte auf ein bis zwei Gläser begrenzt werden, um einer »Wasservergiftung« vorzubeugen. Diese kann eintreten, wenn die Nieren nicht in der Lage sind, die großen Flüssigkeitsmengen in kurzer Zeit wieder auszuscheiden. Vor allem wenn gleichzeitig Übelkeit oder Erbrechen bestehen, droht ein Anstieg des Blutvolumens bei gleichzeitigem Abfall des Salzgehaltes im Blut. Die Folge: Wasser dringt in die Zellen ein, das Volumen der Zellen nimmt zu. Aufgrund der Begrenzung durch die Schädelknochen kann dies für das Gehirn besonders kritisch und für den Betroffenen lebensbedrohend werden.
Geeignete Getränke sind Wasser, Tee oder Saft. Von Milch und Salzwasser raten die Giftinformationszentralen ebenso wie von künstlich herbeigeführtem Erbrechen dringend ab. Zeigt der Betroffene keine oder nur leichte Symptome, kann der Giftnotruf gewählt werden. Sind die Symptome ausgeprägt oder potenziell lebensbedrohend, sollte direkt der Rettungsdienst verständigt werden.
Wer beim Giftnotruf anruft, sollte sich darauf vorbereiten, alle wichtigen Informationen zum Vergiftungsverdacht oder zur Vergiftung bereitzuhalten. Wie bei allen anderen Notrufnummern auch, stellen die Experten des Giftnotrufs die klassischen W-Fragen.
Wer ist betroffen? Wichtig für die Vergiftungsberatung sind dabei das Alter, Geschlecht und ungefähre Körpergewicht des Betroffenen.
Was wurde aufgenommen? Hier gilt, je mehr Informationen bereitgestellt werden können, umso besser gelingt die Vergiftungsberatung. So wird zum Beispiel geraten, die Verpackung des Medikaments oder des Haushaltreinigers bereitzuhalten, um den genauen Namen und Hersteller weitergeben zu können. Bei unbekannten Pflanzen oder Pilzen ist das oft gar nicht so einfach. Je nach Ausmaß der Symptome können diese anhand von Bildern oder mit Hilfe von Pflanzenkundigen identifiziert werden. Bei ausgeprägten Symptomen sollten Pflanzen, Pilze und Verpackungen mit in die Klinik genommen werden. Bei Verdacht auf eine Pilzvergiftung mit einem unbekannten Pilz, von dem kein Material mehr übrig ist, empfiehlt das Giftinformationszentrum-Nord im Fall von Erbrechen, auch dieses aufzuheben und mitzunehmen.
Wichtig für die Vergiftungsberatung am Telefon sind zudem die Fragen nach dem Zeitpunkt und der Art der Substanzaufnahme, der konsumierten Menge und dem Zustand der betroffenen Person.
Zu guter Letzt fragen die Experten noch nach einer Telefonnummer, unter der man für Rückfragen erreichbar ist. Manchmal sind intensivere Recherchen nötig, um eine Auskunft erteilen zu können.
In den meisten Fällen endet die Beratung aber glimpflich. So schilderten rund 81 Prozent der Anrufer, die 2019 Rat bei der Informationszentrale gegen Vergiftungen in Bonn suchten, dass ihr Kind asymptomatisch sei. Bei den Erwachsenen berichteten 44 Prozent von leichten Beschwerden, rund 38 Prozent zeigten keine Symptome. In leichten Fällen geben die Experten mitunter auch Empfehlungen zur Selbstbehandlung mit Entschäumern oder Aktivkohle (wie Sab Simplex®, Lefax®, Kohle-Compretten®, Ultracarbon®). Hier kann es von Vorteil sein, wenn diese bereits in der Hausapotheke vorhanden sind.