Histamin-Unverträglichkeit in den Griff bekommen |
Weiche junge Käse werden meist gut vertragen, ältere Hartkäse können jedoch Beschwerden hervorrufen. / Foto: Adobe Stock/M.studio
Viele vermeintlich gesunde Lebensmittel wie Fisch, Hartkäse, Tomaten, Spinat oder Sauerkraut können bei Menschen mit einer Unverträglichkeit gegenüber Histamin – auch Histamin-Intoleranz (HIT) genannt – zu den verschiedensten Beschwerden führen: Magen-Darm-Problemen, Kopfschmerzen, einer behinderten Nasenatmung, Hautauschlägen oder Herz-Kreislauf-Problemen. Von allen Nahrungsmittelunverträglichkeiten gehört die Histamin-Intoleranz zu den umfassendsten, denn fast alle Lebensmittel enthalten Histamin in geringerer oder höherer Konzentration. Die Unverträglichkeit von Histamin hat in den vergangenen Jahren stark an Aufmerksamkeit gewonnen. Etwa ein Prozent der deutschen Bevölkerung leidet darunter, meist sind Frauen ab einem Alter von 40 Jahren betroffen. Bei der Histamin-Intoleranz handelt es sich um ein sehr umstrittenes Krankheitsbild. Da die Diagnostik häufig keine eindeutigen Beweise für eine Histamin-Intoleranz liefert, lehnen einige Ärzte das Krankheitsbild ab; andere sind überzeugt davon, dass es existiert.
Histamin ist ein biogenes Amin, das zu den sogenannten Gewebshormonen (Botenstoff) zählt. Es entsteht im menschlichen Körper durch den Ab- und Umbau der Aminosäure Histidin. Als biologisch aktive Substanz übernimmt Histamin viele wichtige Funktionen, unter anderem senkt es den Blutdruck, regt die Magensäureproduktion an und sorgt für einen ausgeglichenen Schlaf-Wach-Rhythmus. Außerdem ist es ein wichtiger Botenstoff bei Entzündungsreaktionen.
Histamin wird nicht nur vom Körper selbst hergestellt, sondern auch über viele Nahrungsmittel aufgenommen. In Lebensmitteln wird Histamin durch den bakteriellen Abbau der Aminosäure Histidin gebildet. Es entsteht vor allem in eiweißreichen Produkten in Abhängigkeit von der Lagerdauer. Histamin findet sich daher hauptsächlich in leicht verderblichen tierischen Lebensmitteln wie Fisch, die mit entsprechenden Mikroorganismen belastet sind. In langsam reifenden Wurst- und Käsesorten, zum Beispiel Rohwürsten und Emmentaler, findet man höhere Histaminwerte als zum Beispiel in jungem Gouda, da die Mikroorganismen über einen längeren Zeitraum aktiv sind und mehr Eiweiß zu Histamin abbauen können. Aber auch mikrobiell hergestellte beziehungsweise fermentierte Lebensmittel wie Käse, Wurst, Sauerkraut, Hefeextrakt, Wein und Bier enthalten größere Mengen Histamin. Der Histamingehalt in Nahrungsmitteln hängt vom Reifegrad, der Lagerdauer und Verarbeitung ab und schwankt daher sehr stark. Deshalb können die enthaltenen Histaminmengen trotz gleicher Sorte sehr unterschiedlich ausfallen. Auch pflanzliche Lebensmittel enthalten natürlicherweise Histamin, jedoch nur einige wenige in nennenswerten Mengen wie Tomaten oder Spinat.
Normalerweise wirken im gesunden menschlichen Organismus Mechanismen, die sowohl das von außen zugeführte als auch das endogen gebildete Histamin kontrollieren und inaktivieren. Wenn der Botenstoff seine Arbeit erledigt hat oder wenn zu viel davon vorhanden ist, wird Histamin genau wie andere biogene Amine (zum Beispiel Serotonin und Tyramin) über Enzyme wie die Diaminoxidase (DAO) im Dünndarm abgebaut.
Nimmt ein Mensch sehr viel Histamin auf oder versagen die Regulationssysteme, können auch beim gesunden Menschen Vergiftungserscheinungen auftreten wie Bauchschmerzen, Durchfall, Hautrötung, Kopfschmerzen, Herzklopfen und Blutdruckabfall. Eine bekannte Vergiftung durch Histamin ist zum Beispiel die Fischvergiftung. Üblicherweise treten solche Vergiftungserscheinungen erst auf, wenn die Mahlzeit 1000 Milligramm Histamin oder mehr enthält.
Besonders empfindliche Menschen können hingegen schon auf geringe Mengen mit Symptomen reagieren. Die Histamin-Unverträglichkeit basiert auf einem Ungleichgewicht zwischen anfallendem Histamin und der Möglichkeit, dieses abzubauen. Wie stark die Symptome sind, hängt dabei ab von der Schwere der Unverträglichkeit und der Histaminmenge. Die Beschwerden können sehr unterschiedlich sein und erinnern stark an eine Nahrungsmittelallergie. Kopfschmerzen, Herz-Kreislauf- oder Atemwegsbeschwerden können ebenso auftreten wie Hautausschläge oder Magen-Darm-Probleme. Die Symptome zeigen sich typischerweise unmittelbar nach dem Essen, teilweise aber auch zeitverzögert (bis zu 24 Stunden). Hierdurch wird die Suche nach den Auslösern deutlich erschwert.
Es gibt eine Reihe von Mechanismen, die als Ursache für eine Histamin-Intoleranz infrage kommen. Vermutlich spielt eine verringerte Aktivität des histaminabbauenden Enzyms Diaminoxidase (DAO) eine wichtige Rolle. Die Produktion der DAO kann beispielsweise durch eine entzündete Darmschleimhaut vermindert sein, denn die DAO stammt hauptsächlich aus den Darmschleimhautzellen. Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts wie das Reizdarmsyndrom (RDS), Morbus Crohn oder Zöliakie können solche Schädigungen in der Darmschleimhaut verursachen. Außerdem können Medikamente, Alkohol und andere biogene Amine den Histaminabbau hemmen.
Zu den Arzneistoffen, die die DAO blockieren oder im Körper vermehrt Histamin freisetzen können, gehören unter anderem Acetylcystein, Amitriptylin und Naproxen. Es ist daher wichtig, sich bei einer Histamin-Intoleranz genau zu informieren, ob die vom Arzt verschriebenen Medikamente als DAO-Blocker fungieren. Alkohol ist ein weiterer Faktor, der die Aktivität von DAO hemmt. Gleichzeitig erhöht er die Durchlässigkeit der Darmwand für Histamin, sodass noch mehr Histamine in die Blutbahn gelangen können. Die DAO ist auch für den Abbau anderer biogener Amine verantwortlich. Da diese biogenen Amine bevorzugt abgebaut werden, bleibt für den Histaminabbau nicht mehr genügend Kapazität des Enzyms übrig. Eine erworbene Histamin-Intoleranz kann nach dem Wegfall der Ursachen reversibel sein. In letzter Zeit werden auch vermehrt genetische Ursachen für eine DAO-Abbauschwäche diskutiert. Dabei ist die Produktion des Enzyms aufgrund einer genetischen Mutation eingeschränkt.
Um die Diagnose zu stellen, ist eine detaillierte Anamnese das A und O. Außerdem müssen andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen ausgeschlossen werden wie Nahrungsmittelallergien. Auch begleitende gastrointestinale Erkrankungen und Allergien sind für die Diagnosestellung wichtig. Der sicherste Weg, eine Histamin-Intoleranz festzustellen, führt über Diät und Provokation. In einer Eliminationsdiät verzichten die Patienten über mehrere Wochen auf alle histaminreichen Lebensmittel. Wenn sich die Symptome bessern, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Histamin-Intoleranz vor. Durch einen Provokationstest lässt sich die Diagnose überprüfen, indem absichtlich stark histaminhaltige Lebensmittel gegessen werden. Die Menge an Histamin, die Menschen mit Unverträglichkeit beschwerdefrei aufnehmen können, ist individuell verschieden. Am besten ist es, für einige Wochen ein Symptomtagebuch zu führen. Eine Ernährungsfachkraft kann helfen, die individuelle Histamin-Verträglichkeit festzustellen und einen Ernährungsplan zu erarbeiten, der neben der Reduktion von Histamin auch andere Aspekte einer ausgewogenen Ernährung umfasst.
Die Basis der Therapie bei einer Histamin-Unverträglichkeit beruht auf einer Ernährung arm an Histamin, je nach individueller Toleranzgrenze. Dadurch verschwinden die Beschwerden relativ schnell beziehungsweise verbessern sich deutlich. Als Faustregel gilt, je älter beziehungsweise länger gereift ein Lebensmittel (meist tierischen Ursprungs) ist, desto höher ist sein Gehalt an Histamin. Bei der Auswahl der Lebensmittel ist also drauf zu achten, dass diese möglichst frisch und unverarbeitet sind. Das sind zum Beispiel frische Milchprodukte wie Joghurt, Frischkäse, Quark oder junger Käse, frisches Fleisch und frischer Fisch. Betroffene sollten hingegen auf sehr lange gereifte Käsesorten, gepökelte Fleischwaren, geräucherten Fisch sowie fermentierte Lebensmittel verzichten. Obst und Gemüse, Brot und Getreideprodukte gehören, mit ein paar Ausnahmen, nicht zur problematischen Lebensmittelkategorie. Beispielsweise kann es sein, dass Brote mit Sauerteig, denen eine sehr lange Teigführung zugrunde liegt, oder Hefebackwaren nicht gut vertragen werden. Es gibt zudem Nahrungsmittel, Nahrungsmittelzusatzstoffe und andere Stoffe, die selbst zwar nur wenig Histamin enthalten, aber die Freisetzung von körpereigenem Histamin fördern. Die Wirkung dieser sogenannten Histamin-Liberatoren ist denen, die viel Histamin enthalten, sehr ähnlich (siehe Kasten).
Lässt sich der Verzehr histaminhaltiger Nahrungsmittel einmal nicht vermeiden, zum Beispiel auf Reisen, können Antihistaminika die Symptome lindern. Bei einer konsequenten Diät scheinen Antihistaminika keinen wesentlichen zusätzlichen Nutzen zu bringen. Bei Patienten, die einen Mangel an Vitamin B6 und C zeigen, könnte die Gabe der beiden Vitamine hilfreich sein. Vitamin B6 und C arbeiten eng mit dem Enzym DAO zusammen. Seit einiger Zeit sind außerdem DAO-Kapseln als diätetisches Lebensmittel auf dem Markt. Sie sollen den Darm dabei unterstützen, Histamin abzubauen. Manchen Menschen kann die Einnahme der Kapseln helfen, eine Wirkung ist aber noch nicht ausreichend untersucht.
Für Menschen mit einer Histamin-Unverträglichkeit existiert keine Pauschaldiät. Neben dem Verzicht von histaminhaltigen Nahrungsmitteln hängen die Symptome vom Gehalt anderer biogenen Amine, Histamin-Liberatoren und der schwankenden Bandbreite an Histamin in ein und demselben Lebensmittel ab. Außerdem müssen weitere Faktoren wie Medikamente, Stress, Infekte und Hormonstatus berücksichtigt werden. Zudem ist ein intaktes Verdauungssystem wichtig, denn ein gesunder Darm kann zu einer verbesserten Produktion des Enzyms DAO beitragen. Aus dieser Sichtweise könnte die Histamin-Unverträglichkeit auch die Folge einer anderen Störung im Körper sein als ein eigeständiges Krankheitsbild. Um all dem gerecht zu werden, empfiehlt es sich, unter ernährungstherapeutische Begleitung eine individuelle Strategie zu erarbeiten.