HIV-PrEP noch zu unbekannt |
Bei vielen Menschen, zum Beispiel heterosexuellen, ist die Möglichkeit zur Präexpositionsprophylaxe noch nicht bekannt. / Foto: Getty Images/Vasyl Dolmatov
»Besonders in Osteuropa steigt die Neuinfektionsrate weiter an«, sagte Infektiologe Christoph Spinner vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Fortschritte im Kampf gegen HIV seien indes in Afrika zu verzeichnen. Weltweit lebten 2022 rund 39 Millionen Menschen mit HIV, etwa 1,3 Millionen Menschen pro Jahr infizieren sich neu mit dem Immunschwächevirus.
In Deutschland sei eine Halbierung der Neuinfektionszahlen in den vergangenen 30 bis 40 Jahren gelungen, so Spinner – von fast 4000 pro Jahr Ende der 1980er auf schätzungsweise1900 im Jahr 2022. Gründe seien bessere Aufklärung, niederschwellige Testangebote und eine wirksame antivirale Therapie, die ein weitgehend normales Leben ermögliche und auch vor einer Übertragung des Virus schütze.
Zudem spiele wahrscheinlich die Verfügbarkeit vorbeugender Medikamente eine Rolle, die sogenannte HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP). Damit sei bei homo- und bisexuellen Männern die Zahl der Neuinfektionen deutlich gesenkt worden.
Kein Rückgang ist laut Robert-Koch-Institut (RKI) bei der Zahl der HIV-Neuinfektionen bei Heterosexuellen erkennbar sowie bei Menschen, die intravenös Drogen konsumieren – im Gegenteil: In beiden Gruppen stiegen die Zahlen sogar leicht an. Etwa 520 Menschen infizierten sich Spinner zufolge auf heterosexuellem Weg (davon 310 Frauen und 210 Männer), rund 370 weitere Menschen beim intravenösen Drogengebrauch. Hier sei kein Rückgang an Neuinfektionen zu erkennen, da die HIV-PrEP in diesen Gruppen bisher fast gänzlich unbekannt sei. Ein weiterer Grund ist laut RKI, dass Heterosexuelle, die mit HIV leben oder ein erhöhtes Infektionsrisiko haben, sich weniger in Großstädten konzentrieren als MSM. Außerhalb der großen Städte sei das Testangebot aber schlechter.
Den Anstieg bei Drogenkonsumenten erklärt das RKI folgendermaßen: Immer mehr Konsumenten nähmen Drogen, die nicht zur Gruppe der Opiate gehörten. Für diese Drogen gibt es laut RKI keine Substitutionstherapie. Dadurch haben Konsumenten weniger Kontakt zu medizinischen Stellen und werden weniger auf HIV getestet. Die Folge: »HIV-Infektionen werden später entdeckt und später behandelt, dadurch entstehen mehr Möglichkeiten für lokale Infektionscluster, die in den letzten Jahren zunehmend beobachtet werden.«
Um die Neuinfektionen in Deutschland weiter zu senken, müssten vor allem homo- und bisexuelle Männer außerhalb großer Städte, heterosexuelle Menschen mit Risiko und intravenös Drogenkonsumierende außerhalb der medizinischen Versorgung erreicht werden, so Spinner.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO habe sich zum Ziel gesetzt, HIV und Aids bis 2030 zu beenden, heißt es im aktuellen RKI-Bericht. Das zu erreichen ist der Einschätzung des RKI zufolge »schwer vorstellbar«. »Eine HIV-Elimination aus der menschlichen Population ist völlig unrealistisch, solange kein hochwirksamer Impfstoff zur Verfügung steht – und ein solcher ist nicht in Sicht.«
Stigmatisierte, kriminalisierte und marginalisierte Gruppen, die besonders häufig von HIV betroffen seien, würden oft nicht durch Test- und Behandlungsangebote erreicht. Zum Teil gebe es schlichtweg keine Angebote. In Deutschland seien irreguläre Migranten und Menschen ohne Krankenversicherung davon betroffen. Im internationalen Vergleich allerdings stehe Deutschland noch gut da.
Spinner übernimmt bei der 25. Welt-Aids-Konferenz in München vom 22. bis 26. Juli 2024 den örtlichen Kongressvorsitz. Bei dem weltgrößten wissenschaftlichen Treffen zum Thema HIV werden mehr als 15.000 Teilnehmende aus mehr als 175 Ländern erwartet. Wissenschaftler, Mediziner, Gesundheitsexperten und Aktivisten wollen über Wege beraten, um HIV und Aids einzudämmen.